Juni 2021
1,1
								Der Mann …
								der wohl gelebt zu haben
								versichert und vergnügt mit seinem Anteil,
								vom Leben wie ein Gast von einem Mahle
								gesättigt weggeht.
								
1,4
								Ein Scherz, ein lachend Wort entscheidet oft
								die größten Sachen treffender und besser
								als Ernst und Schärfe. …
								Wenn dein Gemüt und Körper mit den Jahren
								mehr Festigkeit gewonnen haben, 
								dann wirst du ohne Kork zu schwimmen wissen.
								
1,6
								… kehre dann nach Hause
								zu einer Schüssel Erbsen, Lauch und Plinsen; …
								
2,3
								… auf dich selber zürnend, dass die Neigung
								zum Wein und Schlaf nichts, was der Rede wert ist,
								dich schreiben lässt. Was soll das endlich werden? …
								Frisch ans Werk! Es will nicht gehn?
								Du hattest doch die Miene, große Dinge
								zu Tag zu fördern, wie dein stilles Meierhöfchen
								ins laue Dach dich aufgenommen hätte.
								
2,6
								Das hatte immer zu meinen Wünschen gehört: ein nicht eben großes Stück Land,
								wo ein Garten und nahe beim Haus eine Quelle nie versiegenden Wassers
								und ein bißchen Wald darüber wäre. …
								Wann werd ich wieder selbstgepflanzten Kohl mit Speck
								Und dem Pythagoras verwandten Bohnen
								auf meinem Tische sehn! O wahre Göttermahle!
								
2
								Glücklich, wer ferne von Geschäften, …
								die väterlichen Felder mit eigenen Rindern pflügt …
								
16
								Rom fällt durch seine eigenen Kräfte; …
								Das werden wir zugrunde richten, wir verruchtes und mit Fluch beladenes Geschlecht;
								und die Stätte, wo es stund, wird den wilden Tieren wieder heimfallen. 
								Ach! Ein Barbar wird als Überwinder über der Asche stehen
								und als Reiter mit tönendem Hufe auf Rom schlagen, …
								
1,9
								Was morgen geschehn wird, kümmre dich nicht.
								Jeder Tag sei dir Gewinn, den das Verhängnis dir schenkt.
								Verschmähe die Freuden der Liebe,
								verschmäh, o Jüngling, den Reigentanz nicht.
								
1,11
								Sei weise und kläre den Wein, und schränke auf dies kurze Leben
								deine weitstrebenden Hoffnungen ein. 
								Indem wir sprechen, fliehn die neidischen Jahre,
								ergreif den Tag, und traue nicht leichtgläubig dem kommenden.
								
1,19
								Die grausame Mutter der Begierden
								und der Sohn der thebanischen Semele (Bacchus)
								und die lüsterne Freizügigkeit befehlen mir
								auf beendete Liebe den Sinn zurückzulenken.
								
1,31
								Zu genießen, was mir zuteil wurde, und gesund zu sein, mögest du,
								Sohn der Leto (Apollo), mir schenken, und ich bitte, dass ich mit heilem 
								Verstand weder ein unwürdiges Greisenalter
								verbringe noch eines, dem die Lyra fehlt! …
								Mein Mahl ist die Olive,
								Endivium und leichte Malven.
								
2,3
								Erhalt‘ im Unglück dir ein Herz voll Gleichmut,
								im Glücke unberauscht vom Lärm
								der wilden Fröhlichkeit, …
								
2,11
								Es flieht rückwärts
								die glattwandige Jugend und ihr Charme, während das verwelkte
								graue Alter vertreibt die ausgelassenen
								Amouren und den leichten Schlaf.
								Nicht immer gleich ist die Pracht der Blumen
								im Frühling und nicht glänzt der rötliche Mond mit einem einzigen
								Antlitz. Was ermüdest du den Geist, der überfordert ist
								mit Gedanken über die Ewigkeit?
								Warum liegen wir nicht unter der hohen Platane
								oder dieser Pinie einfach so und trinken, mit Rosenduft
								die grauen Haare getränkt,
								solange es vergönnt ist, mit syrischem
								Balsam gesalbt? Es vertreibt Bacchus
								die nagenden Sorgen. 
								
2,14
								Kein Frommsein verzögert
								die Runzeln, das kommende Alter,
								den unbezwinglichen Tod.
								
2,16
								Mit Wenigem lebt der beglückt, dem auf dem dürftigen
								Tische das väterliche Salzfass blinkt,
								wenn ihm nicht Furcht, nicht niedrige Habsucht den leichten 
								Schlummer entführet.
								Was ringen wir bei diesem so kurzen Leben 
								nach weitem Ziel? Was wechseln wir Gegenden, von andern
								Sonnen erwärmet? Mag, wer dem Vaterland entfloh,
								sich selber entfliehen? …
								Ein Herz, zufrieden mit dem Gegenwärtigen,
								hasst alle Sorgen für das, was künftig ist,
								und lächelt des Lebens Bitterkeiten hinweg! Nichts ist
								vollkommen beglücket.
								
3,8
								Lebe dir nun selbst und sorge nicht,
								genieß mit frohem Mut, was dieser Augenblick dir schenket,
								und verscheuche jetzt der Geschäfte Ernst.
								
3,29
								Der lebt seiner selbst mächtig
								und froh, der an jeglichem Tage
								sich sagen darf: Ich habe gelebt! Morgen mag
								Jupiter mit Nacht den Himmel schwärzen.
								
1,1
								Man geht, soweit man kann, wenn weiter
								zu geh’n nicht möglich ist. …
								Die Laster meiden ist schon Tugend, frei
								von Torheit sein der Weisheit erste Stufe.
								
1,2
								Frisch angefangen ist schon halb getan.
								Was säumst du? Wag‘ es auf der Stelle, weise
								zu sein!
								
1,4
								Nimm du den Tag, der anbricht, für den letzten;
								So wird dir jede unverhoffte Stunde,
								die noch hinzu kommt, desto werter kommen.
								
1,8
								Recht zu leben ist mir nicht möglich,
								weil ich seelisch weniger gesund bin als am ganzen Körper
								und nichts hören, nichts lernen möchte, was meine Krankheit lindern könnte,
								mich über die verlässlichen Ärzte ärgere, …
								und weil ich Dingen nachjage, die mir geschadet haben, und meide, 
								was, wie ich glaube, mir nützen könnte, …
								
1,11
								Nimm du jede frohe Stunde,
								die Gott dir schenkt, mit Dank an und verliere nie
								das Gegenwärt’ge durch Entwürfe für
								ein künftiges Vergnügen, sondern richte so
								dich ein, dass, wo du immer lebst, du gern
								gelebt zu haben sagen könnest.
								
1,15
								Gewöhnlich ist mein Wahlspruch: klein und sicher!
								Und weil ich muss, so kann ich wie ein andrer
								bei Hausmannskost den Philosophen machen.
								Doch stößt mir etwas Bessers auf, sogleich
								wird umgestimmt, und nun behaupt‘ ich laut,
								dass niemand weise sei und wohl zu leben
								verstehe als ihr andern, deren
								wohl begründete fruchtbare Kapitale
								aus fetten Gütern uns entgegen glänzen.
								
1,18
								… was meinst du, dass ich denke?...
								… lasst mich mir selber leben!
								Lasst mir‘s an Büchern nicht, auch nicht an Vorrat,
								was auf ein Jahr vonnöten ist, gebrechen,
								damit die ungewisse Zukunft im Genuss
								des Gegenwärt’gen mich nicht stören müsse!
								
2,1
								… ist es nicht
								der Dichter, …
								der gegenwärt’gen Zeit
								verworrenes Rätsel durch der ältern Welt
								Beispiele ihm entwickelt und in Not
								und kranken Tagen Trost und Lindrung schafft?
								
2,2
								Jedes Jahr
								des Lebens, wie es abgeht, nimmt auch was von uns
								als Beute mit: Sie haben Scherz und Spiel,
								sie haben Wein und Kuss mit schon entrissen
								und ringen mir nun auch die Leier aus der Hand.
								
2,3
								Entweder nützen oder unterhalten wollen die Dichter
								oder das sagen, was zugleich erfreulich ist und zweckmäßig fürs Leben.
								
Eckhard Lefèvre: Horaz. Dichter im augusteischen Rom. München: Beck, 1993. Niklas Holzberg: Horaz. Dichter und Werk. München: Beck, 2009.