Juni 2017
Benedikt Kuhn
Vor 25 Jahren haben die europäischen Staaten den Maastricht-Vertrag unter-zeichnet. Das war die Geburtsstunde der Europäischen Union und ein starkes Versprechen in Bezug auf Sicherheit. Heute steckt alles, wofür Maastricht steht, in der Existenzkrise. Die Ursachen dafür liegen in den Millenniumsjahren, in denen ausgerechnet Deutschland als erstes Land die Maastricht-Vorgaben bezüglich der Verschuldungsquote geritzt hat – gleich viermal in Folge. Seitdem herrscht finanzpolitische Anarchie in Europa: zuerst die Aufnahme von Griechenland in die Euro-Zone, gegen alle Stabilitätskriterien für solide Staatsfinanzen und trotz offensichtlich geschönten Zahlen. Dann die massive Verschuldung der süd- europäischen Staaten, die trotz Haftungsausschluss finanziert werden mit Milliarden aus dem Norden. Seit ein paar Jahren nun die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) auf Kosten der Sparer, die still enteignet und um ihre Alters- vorsorge gebracht werden. Die Quittung dafür ist ein Europa als Feindbild. Grossbritannien zieht mit dem Brexit bereits die Reissleine. Weitere werden folgen, wenn wir nicht handeln. Wer jetzt nach mehr Zentralisierung ruft, provoziert den nächsten Austritt. Was wir brauchen, ist nicht mehr Europa, sondern ein besseres Europa. Dazu die folgenden drei Punkte:
Erstens: eine konsequente Durchsetzung geltender Regeln. Die Schuldenkrise ist nicht das Ergebnis eines Geburtsfehlers bei Maastricht, sondern eines Umsetzungsdefizits der EU. Das Prinzip ist einfach: Wer sich in guten Zeiten Regeln gibt, die er in schwierigen Zeiten nicht einhält, macht die Beliebigkeit zur Regel. Das müssen wir ändern und Europa wieder ohne Abstriche auf seine Grundsätze als Stabilitätsunion verpflichten. Dazu gehört auch ein Euro-Austritt-Verfahren für Staaten, die diese Grundsätze auf absehbare Zeit nicht umsetzen können. Gleichzeitig müssen wir der Niedrigzinspolitik ein Ende bereiten und die EZB wieder bedingungslos auf Stabilität verpflichten.
Zweitens: Klartext zur europäischen Integration. Der Mythos sagt, die europäische Integration sei alleine das Ergebnis der grossen EU-Gipfel. Die Realität sieht anders aus. In Wahrheit gibt es in Europa seit Jahrzehnten eine stille Integration durch die Eurokraten der Kommission. Das Prinzip ist immer das gleiche: Geltendes EU-Recht wird auf eine nationalstaatliche Kompetenz ausgelegt und Mitbestimmung beansprucht. Diesen Automatismus der fortschreitenden Machtverschiebung nach Brüssel müssen wir durchbrechen. Europa darf keine Irrfahrt sein. Wir müssen nicht verhandelbare nationalstaatliche Kompetenzen festlegen und klipp und klar formulieren, an welchem Punkt der europäische Integrationsprozess zu Ende ist.
Drittens: mehr Europa im Grossen, weniger Europa im Kleinen. Europa steht vor genügend Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern können: Wahrung unserer Interessen in einer neuen Weltordnung, wirksamer Schutz unserer Aussengrenzen, Begrenzung des Flüchtlingszustroms, Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung, Einhaltung der Stabilitätskriterien. Darauf muss sich eine starke EU konzentrieren. Heraushalten sollte sich Europa aus allen Belangen, die die Nationalstaaten selber regeln können. Wir brauchen keine Einmischung bei Steuern, Bildung und Sozialleistungen und auch keinen europäischen Finanzausgleich.
In Zukunft muss das Prinzip gelten: so viel Europa wie nötig, so viel Nationalstaat wie möglich.
Ich bin überzeugt: Die Krise der EU ist auch die Chance auf einen Neuanfang. Dafür muss Europa nicht mehr am Regulierungsrausch der Eliten, sondern am Willen der Bürger ausgerichtet werden. Die Menschen erwarten von Europa zu Recht Freiheit und Stärke, Ordnung und Stabilität. Das ist die Vision von Maastricht. Und sie bleibt richtig. Jetzt geht es darum, sie endlich umzusetzen. Das beste Europa liegt noch vor uns. Gestalten wir es!
Benedikt Kuhn ist Leiter Strategische Kommunikation im Deutschen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Gastkommentar in: Neue Zürcher Zeitung, Donnerstag, 4. Mai 2017, Nr. 102, S. 9