Elmar L. Kuhn

Die Reformation in Oberschwaben


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4.5 1546-1555: Vom Krieg zum Religionsfrieden

Gegen den evangelischen Schmalkaldischen Bund paktierten die katholischen Fürsten mit dem Kaiser 1538 den Nürnberger Gegenbund. Angesichts der sich zuspitzenden Konflikte unternahm der Kaiser einen letzten Versuch zu einer friedlichen Einigung, er lud Theologen beider Seiten zu zwei Glaubensgesprächen 1540 und 1541 in Worms und Regensburg ein, um noch eine Einigung in der Glaubensfrage zu versuchen. Insbes. über die Transsubstantationslehre und die Rolle der Kirche als Heilsinstitution konnte man sich nicht einigen. Aber selbst den Artikeln, über die sich die Theologen verständigt hatten, verweigerten sowohl Luther wie die römische Kurie ihre Zustimmung. Zwar suspendierte der Kaiser vorläufig alle früheren gegen die Protestanten gerichteten Beschlüsse, aber der Streit über die Teilnahme am endlich für 1545 einberufenen Konzil blockierte alle weiteren Verständigungsversuche. Der Kaiser setzte zwar weiterhin Hoffnung auf eine Verständigung durch das seit langem eingeforderte Konzil, aber die Erwartung auf ein wirklich souveränes, nicht vom Papst abhängiges Gesprächsforum erwies sich als Illusion.

4.5.1 Der Schmalkaldische Krieg

Nachdem alle Aussichten auf eine friedliche Einigung geschwunden waren und der Kaiser momentan außenpolitisch den Rücken frei hatte, eröffnete er im Juni 1546 den Krieg gegen den Bund der evangelischen Reichsstände und damit auch gegen die mittlerweile evangelischen Reichsstädte in Oberschwaben. Von Lindau aus warben die evangelische Städte Landsknechte aus der Schweiz an und konnten außer den eigenen Fähnlein 3000 Mann zum Sammelplatz der evangelischen Truppen in Leipheim entsenden. Zunächst erzielten die Schmalkaldischen Truppen in Süddeutschland Überraschungserfolge und brachten den Kaiser in eine gefährliche Lage. Im Allgäu besetzten diese Truppen im Juli die Gebiete des Hochstifts Augsburg, der Klöster Kempten und Ottobeuren sowie der Grafschaft Rothenfels der Grafen von Montfort. In einer Tagung in Kempten Anfang August einigten sich die Gesandten der oberschwäbischen Reichsstädte über die Verwaltung der eroberten Gebiete und verordneten ihnen die Reformation ebenso wie den besetzten Klöstern. Mitte August besetzten die schmalkaldischen Truppen die Klöster Gutenzell, Heggbach, Weingarten und Weißenau, letztere beide wurden Ravensburg unterstellt, das dort ebenfalls die neue Lehre einführen sollte. Die Geistlichen, die die neue Lehre nicht annehmen wollten, wurden aus der Stadt vertrieben. Weingarten sollte 20.000, Rot 5.000, Schussenried und Weißenau je 4.000, Baindt 500, Heggbach 400 und Löwental 350 fl. Schatzung bezahlen. Den Mönchen wurde die Messe verboten, in einigen Klosterdörfern Prädikanten eingesetzt. Die Reichsstadt Ulm besetzte die Abtei Ochsenhausen, die unter ihrer Schirmvogtei stand, verbot die Messe, erlaubte aber weiter den Psalmengesang. Ende August beschloss ein Städtetag wieder in Kempten die Einführung der Reformation in allen reichsstädtischen Landgebieten, soweit nicht schon geschehen. Lindau nutzte nun die Gelegenheit, die Reformation auch in den Pfarreien Bösenreutin, Hergensweiler, Ober- und Unterreitnau einzuführen. Die Äbtissin des Damenstifts wurde gezwungen, mit ihren Stiftsdamen die Predigten in St. Stephan anzuhören.

Aber schon im Oktober wendete sich das Kriegsglück, die sächsischen und hessischen Truppen zogen sich nach Norddeutschland zurück, den Reichsstädten ging das Geld für die weitere Kriegsführung aus. Lindau hatte zuletzt angeboten, dem schmalkaldischen Heer statt Geld zu zahlen, Wein zu liefern. Eine Stadt nach der anderen unterwarf sich dem Kaiser, im Januar 1547 hatten nur Konstanz und Lindau dem Kaiser noch nicht gehuldigt, aber im Februar knieten auch die Lindauer Gesandten vor dem Kaiser nieder, bezeugten „Reu und Leid, da sie zum Teil verführt und aus Unverstand geirrt“ hätten. Die Bedingungen waren hart, hatten die Städte schon große Summen für die Kriegsführung aufbringen mussten, so hatten sie jetzt riesige Strafzahlungen an den Kaiser zu leisten und alle angerichteten Schäden zu ersetzen. Der Abt von Weingarten Gerwig Blarer erhielt den ehrenvollen, aber unangenehmen Auftrag, die Strafgelder bei den Städten einzuziehen. Er musste feststellen, dass die Zahlungen die Städte an den Rand des Ruins bringen. Die Biberacher bezeichnete der Abt als „heillos arme Leute“, Memmingen empfiehlt er der kaiserlichen Gnade wegen „Unvermöglichkeit und Armut“, die allerärmsten seien die Isnyer.

Kosten

Biberach: 30.000 fl. Strafgeld
Isny: 12.000 fl. Strafgeld
Kempten: 20.000 fl. Strafgeld
Leutkirch: 3.000 fl. Brandschatzung
Lindau: 21.600 fl. Kriegskosten, Strafgeld 4.000 fl., 8.000 fl. Schadenersatz
Memmingen: 80.000 fl. Strafgeld
Ravensburg: 30.000 fl. Strafgeld

Lindau kam glimpflich davon, ein Bruder eines Lindauer Ratsherrn war kaiserlicher Rat und setzte sich für die Stadt ein. Die Stadt hatte mit 4.000 fl. Strafe eine ungleich geringere Summe zu bezahlen als andere Städte. „Es ist uns wohl gangen nach Gestalt der Sachen.“

Die Prädikanten aus den Landgebieten sollten abberufen werden. Ravensburg hatte alle Weingarten und Weißenau zustehenden Pfarrkirchen mit allen Rechten und Besitzungen zurückzugeben, und der verbliebene katholische Teil der Bürgerschaft durfte in seiner Religionsausübung nicht behindert werden. Die 1546 vertriebenen altgläubigen Geistlichen mussten wieder aufgenommen werden, dafür musste Konrad Konstanzer, der Hauptvertreter der Reformation in Ravensburg, die Stadt verlassen. In das Karmeliterkloster kehrten die Mönche zurück. Die Stadt wurde vier Monate von spanischen Truppen besetzt.

4.5.2 Das „Interim“

Nach seinem glänzenden Sieg im April 1547 bei Mühlberg konnte der siegreiche Kaiser auf dem „geharnischten“ Reichstag von Augsburg von 1547/48 die Zustimmung der Mehrheit der evangelischen Stände zur Teilnahme an der 2. Sitzungsperiode des Konzils von Trient erreichen und das sog. „Interim“ diktieren, eine Zwischenlösung bis zum endgültigen Entscheid des Konzils. Danach wurde den Protestanten die Priesterehe, die Kommunionspendung in beiden Gestalten, Milderung der Fastengebote zugestanden und die Messe als Gedenk-, nicht als Sühneopfer definiert. Was als Kompromisslösung für beide Konfessionen gedacht war, lehnten die Katholiken sofort ab. In den größeren evangelischen Territorien ließ sich das Interim gegen den Widerstand der Pfarrer und der Bevölkerung nicht durchsetzen, es fügten sich schließlich nur die oberdeutschen Reichsstädte. Den Reichsstädten Ulm, Biberach und Ravensburg entzog der Kaiser auch die Schirmvogtei über die Reichsklöster (Ulm: Ochsenhausen, Roggenburg, Söflingen, Ursberg, Biberach: Heggbach, Ravensburg: Weißenau) und übereignete sie Österreich, um die Katholizität dieser Klöster auf Dauer zu sichern.

In Lindau zeigte man sich trotz der Niederlage im Krieg mutig, zunächst lehnten der Kleine Rat, dann die Gemeindeversammlung zwei Mal die Annahme des Interims ab: „Man wolle lieber der Wahrheit willen leiden, als die Missbräuche annehmen“. Aber im August 1548 sah der Rat keinen Ausweg mehr, wenige Tage nachdem die ebenfalls die Annahme verweigernde Stadt Konstanz in die Reichsacht erklärt und von kaiserlichen Truppen belagert worden war, nahm der Rat das Interim an. So entging Lindau dem Schicksal von Konstanz, das seine Eigenschaft als Reichsstadt verlor und zur österreichischen Landstadt degradiert wurde.

Als erste Auswirkung vertrieben montfortische Amtleute die evangelischen Pfarrer aus den Pfarreien Laimnau, Sigmarszell und Weißensberg, die erst 1546 reformierten Dörfer waren schon nach Ende des Krieges wieder katholisch geworden. Auch sollten die Kirchen wieder mit Altären, Kirchengeräten und Messgewändern versehen werden. Ab Frühjahr 1549 wurde in diesen Kirchen wieder Messe gelesen. Nun konnte auch der Argensteg zwischen Laimnau und Apflau wieder errichtet werden.

In Lindau selbst entstand eine merkwürdige Situation, zwar lasen in den Kirchen wieder Interims-Priester die Messe und spendeten die Sakramente, aber nach der Messe predigten die evangelischen Prädikanten, nutzten die Gelegenheit, über die Messe, Fasten und die Sakramente zu spotten und das Abendmahl zu reichen. Mehrfach beklagten sich der Bischof von Konstanz und der Weingartner Abt Gerwig Blarer beim Kaiser über die Zustände in Lindau und anderen Reichsstädten: „In Lindau, zu Kempten und Kaufbeuren befinden sich die Sachen am ärgsten. In diesen drei Städten wird ohne alle Scheu das das zwinglische Abendmahl öffentlich gehalten, von den Prädikanten die heilige Messe als Gotteslästerung bezeichnet und das Volk ermahnt, bei der neuen Religion zu verharren.“ Die wenigen Katholiken wurden auf der Straße angepöbelt.

In Ravensburg mussten alle evangelischen Geistlichen entlassen werden, weil sie das Interim nicht annehmen wollten. Während die katholischen Gottesdienste in den beiden Hauptkirchen wieder gefeiert wurden, konnten drei neu angestellte Geistliche Gottesdienste in der Karmeliterkirche halten, wo sie „das Evangelium und andere christliche Bücher rein und unverdunkelt“ lasen und wie in Lindau gegen Messe und Altarsakrament predigten. 1549 trafen die ersten Mönche wieder im Kloster ein. Ihre Kirche wurde geteilt, die Mönche erhielten den Chor, die evangelische Gemeinde das Schiff, was sofort zu Reibereien führte.

In der Hoffnung, die religionspolitischen Maßnahmen in den Reichsstädten auf Dauer politisch abzusichern, verordnete der Kaiser als nächsten Schritt den Reichsstädten neue, deutlich autokratischere Verfassungen. Die eher reformationsfreundlichen Zünfte wurden entmachtet und die Räte wieder mehrheitlich mit den eher altgläubigen Patriziern besetzt. „Durch die Vielheit der Personen, die in die Regierung einbezogen seien, seien allerhand Zerrüttungen erwachsen.“ Da es aber in vielen Städten gar nicht genügend Patrizier gab, um die Magistratsstellen zu besetzen, mussten auch bisherige Zunftbürger in die Stadtregierung einbezogen werden. Die Verfassungsreform, die im wesentlichen bis zum Ende des Reichs in Kraft blieb, beschränkte die Stadtregierung auf eine kleine soziale Oberschicht mit all ihren Verkrustungserscheinungen. Nach dem kaiserlichen Rat Has, der den Städten die Verfassungsänderung zu verkünden hatte, wurden die neuen Räte „Hasenräte“ genannt.

Die Zünfte verloren ihre Funktion als politische Wahlkörperschaften für Rat und Verwaltung. In Lindau trat an die zünftische Einteilung der Wehrverfassung die Einteilung der Stadt in sechs Stadtviertel als militärische Bezirke. Die Zünfte konnten ihre Zunftmeister nicht mehr wählen, der Rat setzte nun ihre Obmänner auf Lebenszeit ein. Aber der Befehl, den Zünften auch die wirtschaftliche Selbständigkeit und ihre Zunfthäuser als Versammlungsstätten zu nehmen, wurde in Lindau nicht befolgt.

4.5.3 Der Fürstenkrieg

Gegen die Dominanz des Kaisers nach dem gewonnenen Schmalkaldischen Krieg formierte sich 1552 wieder ein Bündnis protestantischer norddeutscher Fürsten, unterstützt von Frankreich. Ihr Angriff überraschte den Kaiser, der nur knapp der Gefangennahme entging. Truppen der Fürsten rückten über Oberschwaben ein und besetzten das katholische Überlingen. Die Klöster Ochsenhausen und Weingarten hatten eine Schatzung von 12.000 fl. zu entrichten, die nur durch Schuldaufnahmen beschafft werden konnten. Die Reichsstädte wurden zum Anschluss an den Fürstenbund und zu Zahlungen aufgefordert. Nach ihren Erfahrungen nach dem Schmalkaldischen Krieg wollten die Städte nicht erneut die Ungnade des Kaisers herausfordern, fügten sich aber angesichts der Erfolge der Fürsten doch. Die neue Konstellation erlaubte zudem einen teilweisen Rollback der kaiserlichen Maßnahmen.

In Lindau hatte die Gemeinde einen Anschluss zunächst abgelehnt, aber schließlich als letzte Reichsstadt doch zugestimmt, nicht zuletzt auf Druck der Landbevölkerung. Man nutzte die Gelegenheit, um von der Fürstäbtissin, die Stephanskirche wieder zurück zu fordern, die Prädikanten in den Landgemeinden wieder einzusetzen und die Zunftverfassung wieder einzuführen. Nach dem Friedensschluss hob der Kaiser das Interim ausdrücklich auf, befahl aber allen Städten 1553, den Hasenrat wieder zu berufen, was die Stadt befolgte.

4.5.4 Der Augsburger Religionsfrieden

1551 war das Konzil in Trient wieder einberufen worden, an dem jetzt auch evangelische Delegationen teilnahmen. Als sich abzeichnete, dass sie mit ihren Eingaben keinerlei Chancen auch nur auf Beratung hatten, war die kaiserliche Konzilspolitik gescheitert. Auf beiden Seiten wurde man des Konflikts müde, die Bereitschaft wuchs die beiderseitigen konfessionellen Besitzstände anzuerkennen. Das Reich sollte auf jede Anwendung von Gewalt zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit verzichten. Der Reichstag in Augsburg einigte sich 1555 auf den sog. Augsburger Religionsfrieden. Der Besitzstand der Augsburger Konfession und der Katholiken wurde garantiert, ausgeschlossen waren die Reformierten. Die Landesherren konnten mit Ausnahme der geistlichen Reichsfürsten ihre Konfession frei wählen, Religionsfreiheit wurde also nach dem Grundsatz „wess‘ das Land, dess‘ der Glaube“ nur den adligen Landesherren zugestanden. Dass nach einer Konfessionsänderung andersgläubige Untertanen unter Verkauf ihres Hab und Guts frei auswandern konnten, wird als erstes bescheidenes Grundrecht nach Reichsrecht interpretiert. In den Reichsstädten wurde die beiderseitige Religionsausübung nach dem status quo garantiert, was den noch verbliebenen katholischen Minderheiten die weitere Existenz sicherte, wie in Biberach, Kaufbeuren, Leutkirch und Ravensburg.

Obwohl in Biberach und Ravensburg die Protestanten die überwiegende Mehrheit der Stadtbevölkerung bildeten, sicherte die Verfassungsänderung Karls V. den Katholiken die Vorherrschaft. In Biberach besetzten die Katholiken die Schlüsselstellungen, während den Protestanten nur die weniger wichtigen Ämter überlassen wurden. In Ravensburg versuchte man anfänglich bei der Besetzung der Stellen der drei Bürgermeister und des Stadtamanns eine Parität zwischen den beiden Konfessionen einzuhalten. Aber im späteren 16. Jahrhundert gelang es auch hier den Katholiken, alle drei Bürgermeisterposten einzunehmen, den Protestanten blieb nur der Stadtamann. Zu einer förmlichen Parität auf Dauer in Biberach, Ravensburg, Augsburg und Dinkelsbühl kam es erst nach dem 30jährigen Krieg.

Der Religionsfriede war ein tiefer Einschnitt in der Reichsgeschichte und ein erster Schritt zur religiösen Neutralität des neuzeitlichen Staates. Freilich hielt dieser Friede nur bis 1618, nach dem Krieg 1648 blieben diese Grundsätze aber weiter gültig. Kaiser Karl V. resignierte, nachdem sein Ziel, der Erhalt der Glaubenseinheit nicht mehr erreichbar, verzichtete auf die Kaiserwürde 1556 zugunsten seines Bruders Ferdinand und zog sich in das Kloster Yuste in Spanien zurück. Die spanische Königswürde erbte sein Sohn Philipp und damit endete auch die Einheit des habsburgischen Weltreiches.

4.5.5 Von Zwingli zu Luther

Mit der Aufhebung des Interims und der Zusicherung der konfessionellen Besitzstände im Passauer Vertrag 1552 durch den Kaiser konnte in den evangelischen und gemischten Reichsstädten das evangelische Kirchenwesen wieder neu errichtet werden. Einzelne Städte gingen dazu unterschiedliche Wege, bis schließlich alle in die lutherische Richtung einmündeten.

Der „Wiederaufbau des protestantischen Kirchenwesens in Ravensburg stand ganz unter der Vorherrschaft des Zwinglianismus“ (Hofacker). Der Rat berief den ehemaligen Waldseer Chorherrn Hans Willig, den der Rat zur Ausbildung nach Zürich geschickt hatte. Willig scharte die Zwinglianer um sich und geriet bald mit seinen geistlichen Kollegen in Streit. Als er von der Kanzel gegen die Lutheraner polemisierte, entließ ihn der Rat gegen den Protest der Bürgerschaft 1554. Er ging in die reformierte Pfalz, wo er als kurfürstlicher Hofprediger wirkte. Ein neuer Prediger aus Nürnberg konnte sich nur wenige Tage gegen die Opposition der Zwinglianer halten. Nun erließ der Rat ein Verbot, sich gegenseitig in Religionssachen zu beschimpfen jedermann solle „ungestört und ruhig in seinem Glauben leben“. Der im Sommer 1555 aus Augsburg berufene Prediger Georg Melhorn, der in Wittenberg studiert hatte, erwies sich als „echt lutherischer Streittheologe“ (Bossert). Im eskalierenden Abendmahlsstreit wurden zahlreiche Streitschriften produziert. Er endete mit dem Sieg der Lutheraner. 1557 unterschrieben die Führer der Zwinglianer ein lutherisches Abendmahlsbekenntnis. Aber auch Melhorn musste die Stadt 1559 verlassen, weil er jeden Eingriff des Rates in das kirchliche Leben ablehnte. Der Streit schwelte weiter, 1561 lehnte Ravensburg es ab, die Augsburgische Konfession zu unterzeichnen, 1577 erneut die nach langen Lehrstreitigkeiten gefundene lutherische Konkordienformel, wenn der Rat die evangelischen Geistlichen auch immer auf das Augsburger Bekenntnis verpflichtete. Innerstädtisch wurde der Streit erst durch die eigene Ravensburger Konkordie 1578 beendet, womit in der Stadt ein eigenes Glaubensbekenntnis galt.

In Memmingen blieb die Situation länger unentschieden. Als einer der vier Prediger, Eusebius Kleber, 1569 auf der Kanzel seine drei lutherischen Kollegen angriff, erlaubte ihm der Rat weiter, seine Thesen zu verkünden. Sie verteidigten sich mit dem eher politischen Argument, sie wollten üble Nachrede „der Augsburgischen Konfession zugewandten Theologen“ vermeiden. Als der Streit 1573 eskalierte, lud der Rat den führenden schwäbischen Theologen dieser Zeit, den moderaten Lutheraner Jakob Andreae, zu einem Glaubensgespräch ein. Aber Kleber beharrte darauf, dass das Abendmahl ein reines Gedächtnismahl sei. Darauf entband ihn der Rat seiner Pflichten. Als er seinen Gegnern vorwarf, „ihre Sakramente seien im Grund papistisch, desgleichen auch die Zeremonien“, wurde ihm jede weitere Agitation verboten. Er verließ die Stadt und wurde Prediger in St. Gallen. Ebenso entließ der Rat zwei Prediger auf dem Lande als Zwinglianer. Als Bürger den reformierten Gottesdienst in einer benachbarten Kirche aufsuchten, verwies ihnen der Rat dies mit dem Argument, dass dies „der Obrigkeit und der Stadt einen bösen Ruf im Reich“ einbringen würde. Das reformierte Bekenntnis war aber durch den Religionsfrieden nicht gedeckt, die Stadt musste also konfessionelle Abweichungen verhindern. Aber erst 1580 unterschrieb Memmingen das Konkordienbuch.

In Lindau wurde noch 1545 ein Prediger entlassen, „weil der Lutherisch und nit Zwinglisch war“. Doch ab 1553 verliefen die Konfliktlinien nicht mehr zwischen Zwinglis und Luthers Lehre, sondern zwischen moderaten und radikalen Lutheranern. Der 1553 in seine Vaterstadt zum Prediger berufene Georg Necker stieg sehr rasch zum maßgeblichen Geistlichen auf. Mit seinen älteren Kollegen geriet er bald in Streit, weil das Kirchenwesen zu wenig „auf gut lutherischen Fuß“ stehe. Der Rat berief den Lindauer Bürgersohn Dr. Johann Marbach, der in Wittenberg bei Luther promoviert hatte und Prediger in Straßburg geworden war, um den Streit zu schlichten. Er überzeugte die Lindauer Geistlichen, den Gottesdienst im lutherischen Sinne umzugestalten, was vor allem die Einführung des bei den Zwinglianern verpönten Gemeindegesangs bedeutete. Ebenso wie Ravensburg unterschrieb Lindau 1557 eine Verpflichtung auf die Augsburger Konfession. Als aber 1558 eine Vorrede zu dieser Konfession formuliert wurde, lehnte Lindau ab. Necker sah in Lindau die lutherische Lehre zu wenig ernst genommen. Es ging um unterschiedliche Interpretation Luthers Lehre im sog. Flacianismus-Streit. Necker vertrat die Interpretation, dass die Erbsünde zum Wesen des Menschen gehöre und bestritt, dass der Mensch kraft seines freien Willens zum Heil gelangen könne. Nachdem er 1574 starb, widersprach sein Nachfolger als Prediger den verbliebenen Flacianern unter seinen Kollegen. Der Rat erschrak, dass „der leidige Satan die Einigkeit unter den Kirchendienern und Bürgern störte“, befürchtete wegen des Abfalls von der Augsburger Konfession politischen Rückhalt zu verlieren und beraumte 1575 ein öffentliches Glaubensgespräch im Rathaus an, wie in den Anfängen der Reformation üblich. Auch er lud Jakob Andreae als führenden lutherischen Theologen in Schwaben ein. Dieser zog seinen Gegnern, den Lindauer Prädikanten „die Schlinge über den Kopf“. Der Rat entschied sich für die Position Andreaes und wies die beiden populären Lindauer Prediger trotz Protesten vieler Bürger und Landbewohner aus. Zwei Jahre später unterschrieben sämtliche Prediger und Schulmeister feierlich die von württembergischen Abgesandten vorgelegte und von Andreae weitgehend formulierte Konkordienformel, die in Ravensburg auf Ablehnung stieß. Lindau schwenkte damit „wie Memmingen, Ulm, Leutkirch, Kaufbeuren, Kempten und Isny auf den von Württemberg eingeschlagenen und durch Jakob Andreae bereiteten Weg einer Vereinheitlichung der lutherischen Konfession ein“ (Friess).Nach Meinung des Lindauer Stadtpfarrers um 1900 war damit „die letzte Versuchung von der reinen Lehre abzuweichen überwunden“ (Wolfart).

In Laimnau blieb die Konfessionsfrage noch etwa drei Jahrzehnte ungeklärt. Nach dem Religionsfrieden von 1555 hatte die Stadt offenbar dem Grafen von Montfort nachgegeben und einen katholischen Pfarrer eingesetzt. Gegen diesen „Meßpfaffen“ protestierten die Laimnauer. Es folgte ein Zwitterzustand mit vielen Streitigkeiten. Aber noch 1580 versprach ein neuer Pfarrer, die Pfarrei „mit dem reinen lauteren Wort Gottes nach dem Wortlaut der Heiligen Schrift zu versehen“. Nun beschwerten sich die altgläubigen Pfarrkinder aus den montfortischen Pfarrorten. 1585 musste die Stadt endgültig nachgeben und anerkennen, dass der Graf als Inhaber der hohen Obrigkeit die Konfession zu bestimmen habe. Der jetzige Pfarrer sollte versetzt werden. Viermal hatten die Pfarrkinder von Laimnau zwischen 1530 und 1590 die Konfession wechseln müssen (1534, 1548, 1552, 1585). Das evangelische Spital, de facto der Rat der evangelischen Reichsstadt, hatte nun einen katholischen Pfarrer in Laimnau dem Bischof zu präsentieren. Umstritten blieb weiterhin, ob die Stadt im Schloss Gießen einen evangelischen Stadtbürger als Vogt ihrer Herrschaft Gießen-Laimnau einsetzen könne.

Copyright 2024 Elmar L. Kuhn