Elmar L. Kuhn

Der schwäbische Adel im "Prozess der Zivilisation"


Graf Froben von Zimmern (1519-1566). Zeichnung 17. Jahrhundert. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart.

Der schwäbische Adel im "Prozess der Zivilisation"

Die Zimmernsche Chronik wäre kaum mehr so bekannt, wenn sie nicht von einem über die Fachhistoriker hinausreichendem Publikum als Schwankbuch gelesen und geschätzt würde. Die verschiedenen Auswahlbände aus der Chronik konzentrieren sich denn auch auf diese „oft derben Erzählungen komischer Begebenheiten aus dem Volksleben“ des 16. Jahrhunderts. Diese Erzählungen sind nicht durchweg aus der Perspektive eines adelsstolzen Autors geschrieben, der die Einfalt seiner Untertanen karikiert. Die Geschichten spielen gleichermaßen in Adelsgesellschaften, im städtischen Bürgertum und in den Dörfern der Bauern, widmen sich freilich bevorzugt dem Spott über den Klerus und der Kritik an seiner Lebensführung. Graf Froben Christoph setzt diese Schwänke bewusst ein, um die Leser zur Lektüre auch der belehrenden Partien zu motivieren. „Man mueß zu zeiten den ernsthaftigen und laidigen fellen auch guete schwenk und ander bossen anhenken, damit die handlungen durch ainandern vermischt und der leser guetwillig behalten wird“.1

Was wir heute als Schwank auffassen, muss allerdings differenziert werden. Dem Autor und/oder uns scheint etwas komisch,

  • weil es dem Autor einfach eine lustige Geschichte schien,

  • weil der Autor eine Verhaltensweise schildert, die damals schon anachronistisch wirkte,

  • weil es den Autor freut, wenn eine Normabweichung bestraft wird,

  • weil sich heutige Leser über Verhaltensweisen amüsieren, die aus heutiger oder jüngst vergangener Sicht Normabweichungen darstellen

  • oder weil uns damals unerklärliche Vorgänge erklärlich scheinen.

Diese ‚Schwänke‘ erheitern nicht nur heutige Leser, sondern lassen sich als einzigartige Quellen der Kulturgeschichte, der Volkskunde und der historischen Verhaltensforschung nutzen. Die historische Volkskunde hat die Zimmernsche Chronik und gerade diese Schwänke mehrfach als Quellen für allgemeine historische menschliche Verhaltensweisen ausgewertet. Soweit ich sehe, wurden zwei Fragestellungen dabei vernachlässigt:

  • zum einen die standesspezifischen Unterschiede im Verhalten,

  • wichtiger noch die Frage, inwieweit sich in der Chronik selbst schon Aussagen zu Wandlungsprozessen finden und die Frage nach den Gründen der fundamentalen Verhaltensänderungen des Adels, die uns aus der allgemeinen Literatur bekannt sind.

Ich will hier nicht meinen Katalogbeitrags nochmals referieren,2 sondern konzentriere mich auf das Thema der Verhaltens- und Denkformen, die ich unter die Begriffe Manieren, Sexualität, Glauben und Konfliktaustragung eingereiht habe. Ich schildere dazu kursorisch Beispiele aus der Chronik und stelle anschließend Erklärungskonzepte des Wandels vor, die alle wenig befriedigen. Daraus ergeben sich Fragen nach den Quellen, die den Wandlungsprozess besser fassen, beschreiben und möglicherweise erklären lassen.

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