Elmar L. Kuhn

Kultur als Heimat


Kultur als Heimat

„Mit der Heimat ist es nicht weit her
Das geht mir nah“1

Das Wortspiel dieses Kurzgedichtes von Manfred Bosch artikuliert eine Verlusterfahrung und eine Sehnsucht. Das Thema geht uns nah, manchen schon professionell.

Heimat2

Heimatgefühle

Ich steige in das Thema ein mit Auszügen aus ernsthafteren Gedichten, von Friedrich Hölderlin um 1800. Im ersten Gedicht beschreibt er unter dem Titel „Heimkunft“ eine Wanderung von Hauptwil im Thurgau, wo er als Hauslehrer gewirkt hatte, über Lindau zu seiner Familie in Nürtingen:

„Warm ist das Ufer hier und freundlich offene Tale,
Schön von Pfaden erhellt, grünen und schimmern mich an.
Gärten stehen gesellt und die glänzende Knospe beginnt schon,
Und des Vogels Gesang ladet den Wanderer ein.
Alles scheinet vertraut, der vorübereilende Gruß auch
Scheint von Freunden, es scheint jegliche Miene verwandt.
Freilich wohl! Das Geburtsland ists, der Boden der Heimat,
Was du suchest, es ist nahe, begegnet dir schon. …
Dort empfangen sie mich. O Stimme der Stadt, der Mutter!
O du triffest, du regst Langegelerntes mir auf!“3

Und im Gedicht „Die Heimat“ freut er sich über die Heimkunft:

„Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,
Ihr treugebliebnen!“4

Was können wir daraus entnehmen, was löst bei Hölderlin Heimatgefühle aus? „Alles scheinet vertraut, der Gruß auch scheint von Freunden“ und schließlich heilen „der Mutter Haus“ und der „Geschwister Umarmungen“ sein Herz. Es sind die Erinnerungen an vertraute Landschaft, an vertraute Verhaltensweisen der Menschen, die Freude auf die eigene Familie, in Erinnerung an Geborgenheit in Kindheit und Jugend.

Hier findet sich alles, was üblich noch heute unter Heimatgefühl verstanden wird: die Erinnerung an eine Kindheit voller emotionaler Wärme, eine Erinnerung, die auf Ort und Landschaft der Kindheit übertragen wird und ihre Menschen, da man dort in intuitiver Aneignung Verhaltenssicherheit erworben hat. Hier weiß oder wusste man, „was richtig ist“.5

Das Stichwort Sicherheit gibt einen Hinweis, wie Heimat ursprünglich materiell fundiert war. Hoimet, das war der Hof, auf dem man geboren wurde und der einen als Erbe zum vollberechtigten Mitglied der Dorfgemeinschaft machte. Wer nicht erbte oder einheiraten konnte, der hatte eben keine Hoimet mehr.

Immerhin noch Sicherheit vor dem Verhungern sicherte das Heimatrecht in der Herkunftsgemeinde, die im Notfall nicht mehr Erwerbsfähige zu versorgen hatte. Heute wird als „Menschenrecht schlechthin“ Heimatrecht in räumlich weiterem Sinne verstanden als „Recht auf anerkannte Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, ohne das … Leben … und Arbeit prekär“ bleiben.6 Rechtlosigkeit verweigert Heimat in existenziellem Sinn.

Heimat war und ist also nicht nur emotionaler Bezugsraum, sondern verbürgte und verbürgt materielle und rechtliche Sicherheit.

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