Elmar L. Kuhn

Die Reformation in Oberschwaben


 

 

 

 

 

 

4.3 1525-30: Von der reformatorischen Bewegung zur neuen Kirchenbildung

1526 kam es auf dem Reichstag von Speyer zu einem folgenreichen Kompromiss. Angesichts drohender Auseinandersetzung auf drei Fronten mit Frankreich, in Italien mit dem Papst und im Osten mit den Türken war der Kaiser wieder auf die Hilfe der Reichsstände angewiesen. Im Hinblick auf das Wormser Edikt beschloss der Reichstag, ein jeder Stand möge sich in der Glaubensfrage so verhalten, „wie er solches gegen Gott und kaiserliche Majestät hoffe zu verantworten“. Damit maßten sich die einzelnen Reichsstände faktisch das Entscheidungsrecht im Glaubensstreit an, eine Weichenstellung von höchster Bedeutung. Als Folge führten eine Reihe von Landesherrschaften und Reichsstädten offiziell die Reformation in ihren Gebieten ein.

4.3.1 Fürstenreformation

Nach den Erfahrungen des Bauernkriegs hatte Luther die Überzeugung gewonnen, dass die rechte Predigt des Evangeliums durch eine feste kirchliche Ordnung gesichert werden müsse. Diese Aufgabe wies er den Landesherren zu und gab nun die Vorstellung einer Gemeindekirche zugunsten einer obrigkeitlich-fürstlichen Landeskirche auf. Der Reichstag von 1526 hatte es jedem Reichsstand überlassen, nach eigener Verantwortung in der Religionsfrage zu verfahren. Als Auftakt zur Errichtung eines landesherrlichen Kirchenregiments gelten die Visitationen in Kursachsen und Hessen, mit denen die Landesherren ihre Zuständigkeit für die Pfarreien und Schulen beanspruchten. Die Visitatoren hatten die rechte Verkündigung und die Einführung der neuen Gottesdienstordnung zu kontrollieren und Irrlehrer des Landes zu verweisen. Bis 1530 ging das Herzogtum Preußen, Kursachsen, Hessen, Braunschweig-Lüneburg und Brandenburg-Ansbach zur Reformation über, später folgten u.a. Pommern, Anhalt-Dessau, das Herzogtum Sachsen und das Kurfürstentum Brandburg. Geistliche und weltliche Gewalt lagen nun in einer Hand. Mit der Ausschaltung der konkurrierenden geistlichen Gewalt, der „Monopolisierung der Herrschaft über die Köpfe“, einer intensivierten „Sozialdisziplinierung“ und einem Vermögenszuwachs aus den aufgelösten Klöstern konnten diese Landesfürsten einen beträchtlichen Machtzuwachs verbuchen. Aus einer geistlichen Bewegung zur Reform der Kirche entstand eine konkurrierende Kirchenorganisation.

4.3.2 Frühe Stadtreformation

Der oberschwäbische Adel und die Prälaten verharrten bei der alten Religion. Nur in den Reichsstädten mit ihren Räten unter Beteiligung der Zünfte bestand noch die Möglichkeit, dass sich die Reformation im von unten durchsetzte.

Katholische Städte

Evangelische Städte

Mehrh. Ev. St.

Paritätische Städte

Buchau

Isny

Kaufbeuren

Biberach

Buchhorn

Kempten

Leutkirch

Ravensburg

Pfullendorf

Lindau

 

 

Überlingen

Memmingen

 

 

 

Konstanz (später wieder kath.)

 

 

 Der Erfolg der Reformation in diesen Städten war aber nur möglich sozusagen im Windschatten des großen Machtblockes evangelischer Fürsten, gegen die der Kaiser lange Zeit nicht wagte vorzugehen. Die Abläufe in den einzelnen Städten waren sehr unterschiedlich, je nach den inneren und äußeren Faktoren.

PR=Erste Predigt, PM=Predigtmandat, AS=Abstimmungen der Bürgerschaft, M=Abschaffung der Messe, BS=Bildersturm, VSB= Vier-Städte-Bekenntnis, ZO=Zuchtordnung, PRO=Protestation auf dem Reichstag in Speyer 1529, SB=Anschluss an den Schmalkaldischen Bund, ZO=Zuchtordnung, Land=Einführung der Reformation in den Landgebieten

 

Konstanz

Memmingen

Lindau

Isny

Kempten

Biberach

PR

1519

1522

1522

1523?

1523

1523

PM

1524

1522

 

 

 

 

AS

1528

1528, 1531

1548, 1552

1533

1530

 

M

1528

1528

1528

1529

1530

1531

PRO

1529

1529

1529

1529

1529

1529

BS

1529

1531

1530

1532

1533

1531

VSB

1530

1530

1530

 

 

 

SB

1531

1531

1531

1531

1536

1531

ZO

1531

1532

1533

1533

1545

 

Land

1528

1532ff.

1534

1538, 1543

1530er

 

Blarer

1525ff.

1528, 1532

1532

 

 

 

Städte, die sich relativ früh für die Reformation entschieden, waren Konstanz, Memmingen, Lindau, Isny, Kempten und Biberach. In vier dieser Städte gab es seit langem Konflikte mit in der Stadt befindlichen, relativ unabhängigen geistlichen Institutionen, in Konstanz mit Bischof, Domkapitel und Stifte, in Memmingen der Antoniterpräzeptorei, in Lindau dem Damenstift, in Isny und Kempten Benediktinerklöster, wobei in Lindau, Isny und Kempten die geistlichen Institutionen sogar eigene Kleinststaaten neben der Reichsstadt bildeten.

In Konstanz resignierten Bischof und Domkapitel angesichts der zunehmenden Einschränkung ihrer Rechte und verließen die Stadt 1526/27, der Bischof bezog auf Dauer seine Residenz in Meersburg, das Domkapitel ließ sich in Überlingen nieder. Die Stadt beschlagnahmte daraufhin das Münstervermögen und vereinte alles Kirchenvermögen in der Stadt in der „gemeinen Kirchenpflege“. Die Kirchengeräte und 1530 sogar den Münsterschatz ließ der Rat einschmelzen. 1526 wurde die altgläubige Predigt, 1528 die Messe verboten und 1530 auch der Besuch auswärtiger Messen untersagt. 1529 ließ der Rat in einem geordneten Verfahren die Bilder und Altäre aus den Kirchen ausräumen. Unter dem Druck immer neuer Restriktionen begannen sich die Klöster aufzulösen. Um sich außenpolitisch gegen den österreichischen Druck abzusichern kündigte die Stadt den Schirmvertrag mit Österreich und schloss 1528 ein Bündnis mit Zürich und Bern, das sie von der Gemeinde beschwören ließ. Immerhin noch 10 % der Bürger stimmten dagegen. Anhänger der alten Kirche fanden sich vor allem in der Fischerzunft, die auch weiterhin katholische Gottesdienste in Überlingen besuchten.

In Memmingen mussten 1525 nicht die altgläubigen Geistlichen, sondern die Prädikanten fliehen, als die Truppen des Schwäbischen Bundes am Ende des Bauernkriegs die Stadt besetzten. Alle reformatorischen Neuerungen wurden rückgängig gemacht, die religiöse Gesinnung der Bürgerschaft änderte sich nicht. Der Speyrer Abschied von 1526, der den Ständen in religiösen Fragen freie Hand ließ, eröffnete dem Rat wieder Handlungsspielraum. Nicht mehr wie vor 1525 in Reaktion auf den Druck der Gemeinde, sondern nunmehr aktiv als Stadtobrigkeit unternahm der Rat die nächsten reformatorischen Schritte. 1527 verteilte er an zwei Prädikanten die Predigerstellen an den beiden Pfarrkirchen, ohne die bisherigen Pfarrrechte zu beachten. 1528 ließ er von den Kanzeln die neue Zucht- und Kirchenordnung verkünden. In den folgenden Jahren wurde Kirchenvermögen im „Allgemeinen Kasten“ zusammengefasst. Über die Abschaffung der Messe ließ er die Zünfte 1528 abstimmen, nur in der patrizischen Großzunft hatten die Altgläubigen noch eine kleine Mehrheit. Etliche wohlhabende Mitglieder dieser Zunft verließen darauf die Stadt. Aber auch innerhalb der evangelischen Bewegung brachen Konflikte auf. So gerieten die beiden Prädikanten, der eine Zwinglianer, der andere Lutheraner über die Abendmahlslehre in Streit. Der zu Hilfe gerufene Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer konnte den Streit nicht schlichten, worauf der Rat den Lutheraner 1529 entließ. Der heftige Protest Luthers änderte daran nichts.

In Lindau 1525 teilte der 1524 berufene Thomas Gassner erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus. Nachdem der Speyrer Reichstag jedem Reichsstand es überlassen hatte, nach seinem Gewissen zu handeln, nahm man in Lindau die Reform des Gottesdienstes in Angriff. Ab 1527 wirkten neben Gassner drei weitere Prediger in der Stadt. Erste Anordnungen zu besserer Sittenzucht wurden getroffen, das Frauenhaus abgebrochen. 1528 schaffte der Rat die Messe ab, eine neue Gottesdienstordnung nach Schweizer Vorbild mit Predigt, Gesang und Gebet wurde eingeführt, Taufe und Trauung wurden in deutscher Sprache vollzogen. Es war die erste offizielle Entscheidung des Rates für die Reformation. Im gleichen Jahr traten die letzten verbliebenen Franziskaner ihr Kloster an die Stadt ab.

Hatte der Speyrer Reichstag 1526 gewissermaßen ein Toleranzedikt beschlossen, so drehte sich auf dem Reichstag von Speyer 1529 der Wind. Nachdem König Ferdinand die noch altgläubigen Städte Kaufbeuren, Ravensburg und Überlingen gelobt hatte, berief er die Gesandten von 24 der Neuerung zugewandte Städte zu sich, darunter Lindau, Memmingen, Kempten, Konstanz und sogar Buchhorn, hielt ihnen Ungehorsam vor und drohte mit seiner Ungnade. Die altgläubige Mehrheit dieses Reichstags beschloss das Verbot aller kirchlichen Neuerungen bis zum Konzil, die Aufhebung des Toleranzartikels von 1526 und drohte den Zuwiderhandelnden mit der Reichsacht. Dagegen wiederum protestierten die Anhänger der Reformation, fünf Fürsten (Sachsen, Hessen, Brandenburg-Ansbach, Anhalt, Braunschweig-Lüneburg) und 14 oberdeutsche Reichsstädte mit dem Argument, dass in Glaubenssachen nicht durch Mehrheitsbeschluss entschieden werden könne. Aufgrund dieses Protestes wurden die Anhänger der Reformation fortan Protestanten genannt. Von den 14 Städten lagen sieben in Oberschwaben: Konstanz, Memmingen, Lindau, Isny, Kempten, Biberach, Ulm. Damit ging ein Riss durch das Reich und die Protestierenden waren sich bewusst, noch ein „kleines Häuflein“ zu sein und sich in schwere Gefahr zu begeben.

Ein Jahr nach dieser klaren Positionierung setzte Lindau demonstrativ ein weiteres Zeichen zur Bekräftigung seines neuen Glaubens. Die Schmiede beseitigten die „Altäre, Bilder und Gemälde der Heiligen, auch alle Tafeln“ in der Stephanskirche und verbrannten sie. Nur die Zerstörung der Orgel konnte der Bürgermeister noch verhindern. Die Kapellen wurden geschlossen oder abgebrochen. Es folgte damit dem Konstanzer Beispiel, Biberach, Memmingen, Isny und Kempten zerstörten ihre „Götzen“ in den folgenden Jahren.

Bildersturm

Konstanz: 1529 Anfang: Rat lässt Bilder und Altäre in den Kirchen abräumen. Bürger können von ihnen gestiftete „Götzen“ an sich nehmen.

Lindau: 1530 Juni: Pfarrkirche St. Stephan: Bilder, Altäre und Gemälde durch Lindauer Schmiede zerstört und verbrannt. Bürgermeister verhindert Zerstörung der Orgel.

Lindau-Reutin: 1534 Juni „Gözen und Bilder auß der Kirchen gethan … ordenlich und in stille“.

Sigmarszell und Weißensberg: 1536 März: „Götzen zu Sigmarszell hinwegk geton worden, also sollen sy zu Wysenperg auch wegk geton werden“.

Biberach: 1531 Juni: „Bildt- und Kirchenstirmen“, „es ist jemerlich zuogangen“. Bilderstürmer: Handwerker und Zunftangehörige.

Memmingen, Frauenkirche, St. Georgs-Altar: 1524 Weihnachten: „Gläßer zerrissen und erschlagen, die Bildlin an den Taflen gebrochen“. Täter: Memminger Frauen.

1527 Dez.: Rat erlaubt einigen Personen, die von ihnen gestifteten Gegenstände aus den Kirchen zu holen.

1531 Juli: Rat beauftragt Webermeister und Kramerzunftmeister, die Bilder aus den Kirchen wegzuschaffen.

1531 Aug.: Rat beschließt, die „Götzen“ und Altäre aus der Kirche der Kreuzherren räumen zu lassen.

Isny: 1532 Dez.: „die Götzen auß den andren drey Kirchen gerumpt, aber im Kloster stond sy noch gantz auffrecht.“

1534 Juli: Rat beschließt Entfernung der Bilder aus der Klosterkirche. Bürger dringen „mit Gewalt mit Beiln, mit Hämmern“ in die Klosterkirche ein. Rat befiehlt, „daß sie nichts nit zerbrechen noch zerschlagen sollten, sondern alle Ding auff das hofflichest abheben und hinweg thun“.

Kempten: 1525 April: Bauern verwüsten Klosterkirche und Kloster.

1533 Jan. Plebiszit der Zünfte für Abschaffung der Bilder in St. Mang. Stifter können Gegenstände aus der Kirche holen. Handwerker entfernen und verbrennen im Auftrag des Rats die Bilder.

Ravensburg: 1545 Juni: Liebfrauenkirche „die Altar abdeckt und etlich Taflen hinweg thon und sonderlich, wa unser Liebenfrawen Biltnus ingewesen ist.“

Kaufbeuren: 1545 Aug.: Beschluss des Rats, die Heiligenbilder aus den Kirchen zu entfernen. „Die Bilder waren hinaus geschafft, die Altär wurden gestürmt und davon getragen“. Andere Kirchen und Kapellen wurden geschlossen.

Leutkirch: Kein Bildersturm

Nach dem Speyrer Reichstag eskalierte die Situation, die lutherischen Stände planten ein militärisches Verteidigungsbündnis. Um ihre Basis zu verbreitern, wurde auf einem Religionsgespräch in Marburg 1529 letztmals versucht, zu einer Einigung zwischen den Anhängern Luthers und Zwinglis zu kommen, das aber an der Abendmahlsfrage scheiterte. In diese unübersichtliche politische Situation lud Karl für 1530 wieder zu einem Reichstag nach Augsburg ein, wo über „eines jeden Meinung“ in der Religionssache gesprochen werden sollte.

Die Lutheraner, fünf Fürsten und die Städte Nürnberg und Reutlingen legten das „Augsburger Bekenntnis“ als erstes Grunddokument ihres Glaubens vor, das Melanchthon formuliert und dem Luther zugestimmt hatte. Die Zwinglianer reichten ihre „Fidei Ratio“ ein und die vier Städte Straßburg, Konstanz, Lindau und Memmingen ihr vermittelndes „Vier-Städte-Bekenntnis“.

Die auf Vorschlag von Konstanz gefundene Formulierung „Christus gibt seinen wahren Leib und sein wahres Blut zu essen und zu trinken zu einer Speise und zu einem Trank der Seele, dadurch sie genährt wird zum ewigen Leben“ ließ widersprüchliche Interpretationen zu. Biberach, Isny, Kempten und Ulm wagten den Beitritt aus Furcht vor dem Kaiser nicht und unterschrieben weder das Bekenntnis ihrer Nachbarstädte noch das lutherische Augsburger Bekenntnis. In den folgenden Verhandlungen spielte aber nur die lutherische Position eine Rolle, ihr setzte der Kaiser eine scharf ablehnende Stellungnahme, die „Confutatio“ (Widerlegung) entgegen.

Das „Vier-Städte-Bekenntnis“ anzunehmen, weigerte sich der Kaiser sogar, schließlich nahm es sein Vizekanzler, der Konstanzer Bischof in Empfang. Nach vier Monaten wurden die Vertreter der vier Städte vor den Kaiser zitiert, wo ihnen vorgehalten wurde, „dass die in den vier Städten vom Abendmahl weniger glaubten als der Teufel“. Wenn sie nicht umkehrten, werde der Kaiser gegen sie vorgehen. Schließlich brach Karl die Gespräche ab und ließ das Wormser Edikt von 1521 wieder in Kraft setzen. Jede reformatorische Veränderung sollte als Landfriedensbruch geahndet werden. Aber die Städte wichen nicht zurück. Der Memminger Rat ließ erneut die Zünfte abstimmen, ob sie sich dem Augsburger Reichstagsbeschluss fügten oder nicht. Mit 751 gegen 51 Stimmen vor allem der Großzunft votierten die Bürger dafür, sich nicht zu fügen.

In den wenigen Jahren zwischen 1526 und 1530 hatten die Räte auf Druck ihrer Bevölkerung die entscheidenden Schritte zum Aufbau einer neuen Kirchenorganisation unternommen und etablierten sich als neue kirchliche Obrigkeit so wie die Fürsten in ihren Territorien. Nun suchten sie sich in ihrer räumlichen Isolierung in Oberschwaben militärisch abzusichern.

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