Luther war 1505 auf freiem Feld in ein schweres Gewitter geraten. In seiner Angst vor einem plötzlichen unvorbereiteten Tod gelobte er den Eintritt in ein Kloster, um nach dem damaligen Verständnis mehr als ein „normaler“ Christ für sein Seelenheil zu sorgen. Er trat in das Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein, 1507 zum Priester geweiht, wurde Luther 1512 an der Universität Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert und übernahm die Professur für biblische Studien, die er bis zu seinem Lebensende versah.
Aber der Zweifel, ob all sein Bemühen um die Erfüllung der Gebote Gottes ausreichte, jemals erlöst werden zu können, bedrängte Luther weiter. Konkupiszenz verstand er nicht wie Augustinus als Bereitschaft zur Sünde, sondern bereits als Sünde. In einem sog. „Turmerlebnis“ um 1515 befreite ihn aus seiner Verzweiflung eine neue Interpretation des Römer- und des Hebräerbriefes des Apostels Paulus. „Der Gerechte lebt aus dem Glauben“, verstand Luther so, dass allein der von der unverdienten Gnade Gottes verliehene Glauben den Sünder, der sich total Gott unterwerfe, gerecht mache, also begründete Hoffnung auf das ewige Leben eröffne. Die Konsequenzen dieses Verständnisses für die Lehre von den guten Werken, vom Gnadenschatz der Kirche, von den besonderen Verdiensten des Ordenslebens, für die Sakramente und letztlich von der Notwendigkeit der Kirche als Gnadenvermittlerin erschlossen sich erst später.
Als Martin Luther im Ende Oktober 1517 seine Thesen über den Ablass zur akademischen Diskussion stellte – und wohl kaum an die Wittenberger Kirchentüre nagelte – , ging es ihm deshalb nicht nur um zeitgenössische Missbräuche des Ablasshandels. Anlass war, dass Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und nun auch zum Erzbischof von Mainz gewählt, in der Nachbarschaft von Wittenberg einen Ablass mit dem Verslein verkünden ließ: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ Gegen Geldspenden sollten nicht nur Sündenstrafen, sondern auch Sünden erlassen werden, nicht nur des Spenders, sondern auch von Seelen im Fegefeuer. Das erlöste Geld sollte zur Hälfte dem Bau des neuen Petersdomes in Rom zugute kommen, zur anderen Hälfte musste es an die Fugger abgeliefert werden, die dem Erzbischof die gewaltigen Gebühren vorfinanziert hatten, die Rom für die Bestätigung seiner Wahl verlangte. Nach kirchlicher Lehre war das Seelenheil des Menschen als Sünders ganz abhängig von der Gnade Gottes. Aber durch gute Werke konnte der Mensch einen Beitrag für sein Heil im Jenseits leisten. Als gutes Werk konnten auch Spenden für einen Kirchenbau gewertet werden und es war durchaus üblich, Kirchenbauten durch Ablassspenden mitzufinanzieren. Problematisch waren die Preislisten der Kirche mit genauen Zeitangaben erlassener Aufenthaltsdauer im Fegefeuer, der Erlass zukünftiger Sündenstrafen und die Zuwendung dieses Erlasses an bereits im Fegefeuer befindlicher Seelen.
Luther ging es folglich bei seinen Thesen über den Ablass nicht primär um die Missbräuche und auch nicht um den Ablass allein, sondern letztlich um ihn als ein besonders fragwürdiges Beispiel der nach Lehre der Kirche heilsnotwendigen guten Werke. Die Resonanz auf seine Thesen überraschte Luther, aber sehr rasch nutzte er geschickt die publizistischen Möglichkeiten, die der Buchdruck seit kurzem bot. Die lateinischen Thesen und bald danach eine Version in deutscher Sprache wurden in großen Auflagen in ganz Deutschland verbreitet.
In der Folgezeit radikalisierte sich die Position Luthers sukzessive in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern. In einer Heidelberger Disputation im April 1518 bestritt er die Fähigkeit des Menschen, aus sich heraus Gutes zu tun und die Möglichkeit eines freien Willens, nur die Gnade könne das Heil des Menschen bewirken. Nachdem im Juni 1518 der Ketzerprozess in Rom eröffnet worden war, wurde Luther auf Betreiben seines Landesherrn, des Kurfürsten Friedrichs von Sachsen, ein Verhör durch den Kardinal Cajetan in Augsburg im Oktober 1518 zugestanden, das aber die Gegensätze verschärfte. Luther bestritt die Autorität des Papstes und appellierte an ein Konzil. In der Leipziger Disputation im Juli 1519 mit seinem Hauptgegner Johannes Eck verwarf Luther nun auch die Autorität von Konzilien und damit der ganzen kirchlichen Tradition. Nicht nur der Papst, sondern das Papsttum schlechthin galt ihm nun als der in der Apokalypse verheißene „Antichrist“. Als einzige Autorität blieb nur die Heilige Schrift übrig. Die versuchte Einflussnahme Roms auf die Kaiserwahl verschaffte Luther eine kurze Ruhepause, aber im Juni 152o verurteilte eine päpstliche Bulle die Thesen Luthers und drohte ihm den Ausschluss aus der christlichen Gemeinschaft an, die seine Rechtlosigkeit im Reich zur Folge gehabt hätte. Als Luther die Bulle öffentlich im Dezember 1520 verbrannte, vollzog er von seiner Seite aus den Bruch mit Rom. In diesem Jahr hatte er die vier reformatorischen „Hauptschriften“ verfasst und publiziert, die wiederum in großen Auflagen verbreitet wurden: den „Sermon von den guten Werken“, „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“.
Im Januar 1521 wurde Luther von Rom förmlich exkommuniziert, nun wäre Luther vogelfrei gewesen, aber sein Landesherr erwirkte ein nochmaliges Verhör vor dem Reichstag zu Worms im April 1521. Auf die Aufforderung zum Widerruf sprach er die berühmt gewordenen Worte: „Solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nicht widerrufen. Gott helfe mir. Amen.“ Darauf erklärte der Kaiser im Einvernehmen mit der Mehrheit der Reichstände im Mai in die Acht. Eine Verhaftung seines Landeskindes verhinderte Kurfürst Friedrich durch eine vorgetäuschte Entführung und ließ ihn auf der Wartburg in Sicherheit bringen. Dort übersetzte Luther in wenigen Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen in die deutsche Sprache, es war nicht die erste, aber auf lange Zeit die verbreitetste Übersetzung.
In den Jahren bis 1525 vertrat eine wachsende Zahl von Predigern die Lehre Luthers. In einzelnen Städten wurden erste Änderungen des Gottesdienstes eingeführt, die Messe als von der Kirche Gott dargebrachtes Opfer in Frage gestellt und Bilder aus den Kirchen entfernt. 1522 erschien Luther in Wittenberg wieder in der Öffentlichkeit, um gegen radikalere Veränderungen, spiritualistische und revolutionäre Tendenzen aufzutreten. Vom Humanismus und dessen Betonung der Willensfreiheit grenzte sich Luther ab und bestand darauf, dass es „eine Freiheit des Menschen in Dingen des Heils nicht geben könne“.
„Das Jahr 1525 bedeutete … einen Umschlagpunkt für die reformatorische Entwicklung“ (Leppin, S. 78), die Entwicklung von Luthers Lehre hatte einen gewissen Abschluss erreicht, die er 1529 in seinem Katechismus fixierte. Persönliche Konsequenzen zog Luther, als er im 1524 seine Lebensform als Mönch aufgab und 1525 die vormalige Nonne Katharina von Bora heiratete. Die Reformation begann zwar „im Reich einen wahren Siegeslauf“ (Rabe, S. 223), neue kirchliche Organisationsformen festigten sich. Aber „die herausgehobene Stellung Luthers als Deutschlands Reformator“ endete nun, „die Reformation wurde mehr und mehr zur Angelegenheit der Städte und Territorien in der Verantwortung von deren Obrigkeiten und Theologen“ (Schnabel-Schüle).