Elmar L. Kuhn

Die Reformation in Oberschwaben


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4.4  1531- 1546: Die konfessionellen Blöcke formieren sich

4.4.1 Die früh reformierten Reichsstädte

Gegen das drohende militärische Vorgehen des Kaisers schlossen sich 1531 die evangelischen Stände zum Schmalkaldischen Bund zusammen, zum Beitritt wurden trotz der Bekenntnisunterschiede auch die oberdeutschen Reichsstädte eingeladen. Außer den vier Städten traten Biberach, Isny und Ulm bei. Mit der Niederlage Zürichs gegen die altgläubigen Orte in der Schweiz und dem Tod Zwinglis hatten die oberschwäbischen zwinglianisch gesonnenen Städte ihren politischen Rückhalt verloren. Ursache der Niederlage seien die Sünden der Bürger, die Gott habe strafen wollen, verkündete der Konstanzer Rat seinen Bürgern. Zürich und Bern kündigten den Schirmvertrag mit Konstanz. Die oberdeutschen Städte sahen sich nun gezwungen, sich den lutherischen Ständen anzunähern. Im Wege standen noch die unterschiedlichen Bekenntnisse, man umging das Problem zunächst, indem die vier Städte der Tetrapolitana 1532 auch das Augsburger Bekenntnis unterzeichneten. Einen starken neuen Rückhalt erhielten die oberschwäbischen reformierten Reichsstädte, als Österreich 1534 das Herzogtum Württemberg wieder an den 1519 vertriebenen Herzog Ulrich verlor und hessische Reiter bis nach Salem, Schussenried und Weingarten streiften. Nach seiner Rückkehr führte der Herzog die Reformation in seinem Land ein, womit das Lager der evangelischen Fürsten nun über einen mächtigen Vorposten im Süden des Reichs verfügte. 1536 schloss sich der Herzog dem Schmalkaldischen Bund an, allerdings unter der Bedingung, keine Zwinglianer zu dulden. Wollten die Städte den neuen Rückhalt nicht verlieren, mussten sich die Städte zumindest verbal deutlicher von Zwinglis Lehre abzugrenzen.

1534 trafen sich Prädikanten aus Straßburg, Ulm, Augsburg, Memmingen, Isny, Kempten, Konstanz und Lindau (Thomas Gassner) zu einer Geheimkonferenz in Konstanz, um eine neue Einigungsformel in der Abendmahlsfrage zu finden. Sie bekannten sich nun klar zur Realpräsenz von Leib und Blut Christi in Brot und Wein. Aber in Lindau und Konstanz regten sich Bedenken. Man schaffe neue Dogmen, Gewissenszwang werde aufgerichtet und man kehre zum papistischen Wesen zurück. Unter dem Schirm der inneren Einheit im Glauben solle jeder seine Freiheit der Lehre und der Gebräuche haben. Dennoch unterschrieben 1536 unterschrieben die meisten oberdeutschen Theologen in Wittenberg mit Luther und Melanchthon die sog. Wittenberger Konkordie. Nur Johann Zwick, der Vertreter von Konstanz und Lindau, hatte seine Unterschrift verweigert. Beide Städte wollten bei ihrem Bekenntnis bleiben und „uns zu einiger Gleichheit der Ceremonien nicht begeben, sondern dem heilsamen Wort Gottes und christlicher Freiheit ihren freien Lauf bei uns lassen.“ Auch der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer, damals in Württemberg tätig, widersprach und gewann den Konstanzer Rat für seine Position. „Es könne am Ende geschehen, dass man nicht sagt, ich glaube, was in Gottes Wort ist, sondern: Ich glaube, was da oder dort beschlossen wurde.“ Der Rat setzte einen rein weltlich besetzten Ausschuss mit drei Ratsherren und dem Syndikus ein, der beraten von Ambrosius Blarer ein eigenes Abendmahlsbekenntnis abfassen sollte, das man Luther zusenden wollte. Lindau unterschrieb schließlich auf Drängen Straßburgs doch, „weil alle Städte unterschrieben“, obwohl „ihre Artikel den Saft und Nachdruck voriger Lehr verloren“, allerdings unter dem Vorbehalt „unbeschadet unserer früheren Konfession und Apologie“. In der Praxis blieb es beim alten Bekenntnis und Lindau entließ 1545/46 einen Prediger und einen Schulmeister, weil sie „Lutherisch und nit Zwinglisch“ seien.

Konstanz isolierte sich politisch immer mehr, im Rat gewann eine radikalreformatorische Gruppe an Einfluss mit ihrem Programm, „eine heilige Stadt Konstanz“ aufzubauen. Der Rat solle konsequenter Laster und Fehlverhalten unter den Bürgern auszurotten, „die ganze, volle, satte Reformation“ durchführen, dann würde Gott „einen Bund mit ihnen schließen und alle Feinde niederstrecken“. Andernfalls drohe Konstanz ein Schicksal wie Sodoma und Gomorrha.

 

Konstanz

Memmingen

Lindau

Isny

Kempten

Biberach

M

1528

1528

1528

1529

1530

1531

BS

1529

1531

1530

1532

1533

1531

SB

1531

1531

1531

1531

1536

1531

ZO

1531

1532

1533

1533

1545

 

Land

1528

1532ff.

1534

 

1538, 1543

1534 ff.

Blarer

1525ff.

1528,1532

 

1532

 

 

M=Abschaffung der Messe, BS=Bildersturm, SB=Anschluss an den Schmalkaldischen Bund, ZO=Zuchtordnung, Land=Einführung der Reformation in den Landgebieten, Blarer=Wirken von Ambrosius Blarer.

Parallel zu ihrer politischen Absicherung nach außen durch Annäherung an die Lutheraner trafen die anderen Städte weitere Maßnahmen zur praktischen Umsetzung und Sicherung der neuen Lehre im Innern. Als letzte der sechs Städte schuf Biberach 1531 die Messe ab, Biberach, Isny, Kempten und Memmingen räumten ihre Kirchen aus. Alle Städte führten Zuchtordnungen ein, über deren Inhalte man sich auf einer Konferenz in Konstanz 1531 verständigt hatte. Diese Ordnungen regelten das Alltagsleben der Bürger streng, „um die Laster auszurotten und die Tugend zu pflanzen“. Glaube und Leben sollte durch Zwangsmaßnahmen in Übereinstimmung gebracht werden.

In Lindau wurde der tägliche Trunk auf ein halbes Maß Wein beschränkt, bei Hochzeiten durften nur bis zu vier Tische für die Gäste aufgestellt werden. In der Kirche hatten Sünder auf einer eigenen Bank Platz zu nehmen. Die Kirchenvermögen und Stiftungen wurden in einen „allgemeinen Kasten“ und Armenfonds zusammengefasst. Der Hausbettel wurde verboten. In Lindau hatten sich die Armen am Donnerstag zu einer halbstündigen Predigt in der Kirche einzufinden, wonach ihnen der Almosen verteilt wurde. Als letzte Akte wurde das Auslaufen Altgläubiger in benachbarte katholische Kirchen verboten und den Landgebieten unter reichsstädtischer Herrschaft der neue Glaube verordnet. So wurde in Lindau 1533 der Besuch der Messe in der benachbarten Stiftskirche des Damenstifts verboten und ein Jahr später dem Stift, also einem benachbarten Staatsgebiet, untersagt, weiterhin Messe in der Stiftskirche zu halten. (Ebenso verbot die Stadt Isny 1534 dem unter der Vogtei der Truchsessen von Waldburg stehenden benachbarten Kloster Isny die Messe und inszenierte in der Klosterkirche einen Bildersturm.) Unmittelbar danach wurde den Pfarrern in den Lindauer Niedergerichtsbezirken befohlen, „das Wort Gottes in die Hand zu nehmen“, also nun im reformatorischen Sinn zu wirken. Verstieß schon die Reformation im engeren Herrschaftsgebiet der Reichsstadt, den sog. „inneren Gerichten“ gegen das Reichsrecht, so griff die 1534 verordnete Reformation der Pfarreien Laimnau, Sigmarszell und Weißenberg in die Rechte benachbarter Herrschaften ein. In Laimnau und Weißensberg besass zwar das Spital das Patronat und damit die Personalhoheit über die Pfarrer. Laimnau-Gießen war eine eigene Niedergerichtsherrschaft des Spitals als Pfahl im Fleisch der montfortischen Grafschaft Tettnang. Im Schloss Gießen amtierte der Lindauer Vogt. Sigmarszell und Weißenberg unterstanden direkt dem städtischen Niedergericht. Aber alle drei Pfarreien lagen im Hochgericht der Grafen von Montfort. 

 

Einführung Reformation

Hochgericht

Niedergericht

Patronat

Laimnau

1534

Montfort

Spital Lindau

Spital Lindau

Sigmarszell

1534

Montfort

Reichsstadt LI

Stift Lindau

Weißensberg

1534

Montfort

Reichsstadt LI

Spital Lindau

Bösenreutin

1546

Montfort

Reichsstadt LI

Stift Lindau

Hergensweiler

1546

Montfort

Reichsstadt LI

Kloster Weingarten?

Oberreitnau

1546

Montfort

Reichsstadt LI

Stift Lindau

Unterreitnau

1546

Montfort

Reichsstadt LI

Kloster Isny

In den 1530er Jahren war noch offen, wer eigentlich die Kompetenz zur Bestimmung der Konfessionszugehörigkeit hatte, der Begriff des Landesherrn war zu unbestimmt. Das sollte sich erst nach 1555 klären. Die Geistlichen in Laimnau hatten sich schon früh von sich aus der Reformation zugewandt, 1527 soll der Pfarrer bereits vom katholischen Glauben abgefallen sein und 1529 entzog der Graf von Montfort dem Frühmesser die Einkünfte, weil „er ihm nicht passe“. Die Stadt hob 1532 die Frühmesse ganz auf und schuf 1534 die Messe ab, der Pfarrer heiratete 1538 in Lindau. Zwar erhob der Graf gegen die Abstellung der Messe Protest, aber Lindau wandte sich an Hessen, Kursachsen und befreundete Städte, die beim Grafen für die Stadt eintraten. Angesichts der gespannten Verhältnisse im Reich musste sich der Graf zunächst mit den neuen Verhältnissen abfinden. 1536 wurden in Laimnau wie in Sigmarszell und Weißensberg nach Zwinglischer Übung die Bilder und Altäre aus der Kirche entfernt. Um den Besuch der nun evangelischen Pfarrkirche in Laimnau für die südlich der Argen wohnenden Pfarrkinder zu behindern, verbot der Graf 1545 den Wiederaufbau eines Argenstegs.

Aber zur Pfarrei Laimnau gehörten außer Orten des Lindauer Spitalgerichts auch Orte mit voller Montforter Landesherrschaft ( Baldensweiler, Bernried, Dietmannsweiler, Elmenau, Flunau, Gebhardsweiler, Liebenweiler, Rappertsweiler, Rattenweiler, Reisenbronn, Steinenbach, Summerau, Wellmutsweiler, Wiesertsweiler, Wittenberg). Damit wäre nun auch Untertanen der altgläubigen Grafen von Montfort die neue Lehre verkündet worden, sie wurden deshalb benachbarten altgläubigen Pfarreien zugewiesen. Um den Zugan.

Für eine Verbesserung der Lage der protestantisch gewordenen Pfarrer auf dem Land setzen sich die städtischen Geistlichen ein. Sie lebten ja u.a. von der Bewirtschaftung ihres Widumhofes. „Sie sollten Bauern sein und hätten doch nicht das Zeug dazu, und sollten Prediger des Volkes sein und hätten weder Geld noch Zeit dazu, sich Bücher zu kaufen, die Schrift zu studieren und zur Erfüllung ihrer neuen schwereren Pflichten tauglicher zu werden.“ Der Laimnauer Pfarrer bat, „mir etwas mehr zu geben, damit ich zur bloßen Notdurft ein tägliches Auskommen haben möchte.“

Konstanz besaß im Thurgau die Vogteien Altnau und Eggen sowie verschiedene Patronate. Schon 1524 verständigten sich die Räte der Städte Konstanz und St. Gallen, in ihren Landgebieten die „schriftgemäße Predigt“ vorzuschreiben. 1529 führte eine Landsgemeinde die Zürcher Kirchenordnung im Thurgau ein. Die Niederlage der Reformierten im 2. Kappeler Krieg ermöglichte die freie Wahl des Bekenntnisses. Ab 1532 setzte Memmingen in seinen Landpfarreien evangelische Prediger ein, ohne die altgläubigen Priester auszuweisen. Biberach unternahm ab 1534 die gleichen Schritte, Ravensburg war es nicht möglich, seine Landgebiete zu reformieren, da die Landvogtei alle Versuche unterband. Isny und Kempten hatten keine Territorialherrschaft außerhalb der Stadtmarkung aufbauen können.

4.4.2 Die späte Stadtreformation: Das Beispiel Ravensburg

 

Kaufbeuren

Ravensburg

Leutkirch

PR

1524

1544

1523

AS

 

1545

 

BS

1545

1545

 

M

1545

1546

1547

ZO

 

1546

 

SB

 

1546

 

PR= Predigtmandat, AS=Abstimmung der Bürgerschaft, BS=Bildersturm, BM=Abschaffung der Messe, ZO= Zuchtordnung, SB=Anschluss an den Schmalkaldischen Bund

Sehr viel später als in den bisher behandelten sechs Reichsstädten setzte sich die Reformation in den Städten Kaufbeuren, Ravensburg und Leutkirch durch. Wozu die früh reformierten Städte mehr als zehn Jahre gebraucht hatten, um die Reformation einzuführen und abzusichern, diese Entscheidungen trafen diese drei Städte in zwar spät, aber dann kurzentschlossen in wenigen Jahren, in Leutkirch gar in einem Jahr. In Kaufbeuren und Leutkirch hatte es zwar frühe Ansätze gegeben, aber in allen drei Städten ging man erst in den 1540er Jahren offiziell zum neuen Glauben über.

Ich beschränke mich auf Ravensburg. Es sympathisierten ab 1520 einige Bürger mit den reformatorischen Lehren, aber 1523 schrieb der Humanist Hummelberg, Luthers Lehren würden in Ravensburg verachtet und verhöhnt. Das Stadtgebiet war ganz von der habsburgischen Landvogtei umgeben, das Patronat über die Liebfrauenkirche hatte das Kloster Weingarten inne, dessen Abt Gerwig Blarer Haupt der katholischen Stände in Oberschwaben und wohlgelitten beim Kaiser war. So versicherte der Ravensburger Gesandte 1529 auf dem Reichstag dem Kaiser, Ravensburg werde sich in Glaubensfragen immer nach dem ihm richten. Auch wenn man zunächst beim alten Glauben blieb, unternahm der Rat Schritte zu einer städtischen Kirchenherrschaft, wie sie konsequenter die evangelischen Städte realisierten. Unter Verweis auf den „großen Widerwillen“ der Bürger gegen die Geistlichkeit erreichte der Rat in einem Vertrag mit dem Bischof eine weitgehende Befreiung vom geistlichen Gericht. 1527 setzte er den Karmeliterprior ab und griff damit in ein kirchliches Amt ein. 1531 führte der Rat nach dem Vorbild der evangelischen Nachbarstädte ein obrigkeitliches Zuchtrecht mit Zuchtherren ein. Ab 1540 bahnte sich ein deutlicherer Wandel an. Der Druck der Zünfte auf die Patrizier wurde stärker. Ein neuer Landvogt begünstigte 1541-45 reformatorische Tendenzen. 1544 hielt der Helfer an der Liebfrauenkirche Konrad Konstanzer eine erste reformatorische Predigt, wogegen der Rat nichts unternahm. Schon Ende des Jahres 1544 hatte Konstanzer die Mehrheit der Bürger für sich gewonnen. Zunächst lavierte der Rat zwischen Interventionen des Abtes von Weingarten, der den Kaiser mobilisierte, und dem offensichtlichen Willen der Gemeinde. Eine Entlassung Konstanzers war nicht mehr durchzusetzen. Als die Gemeinde den Rat aufforderte, Konstanzer mit der Verkündigung zu beauftragen, berief der Rat eine Versammlung der Bürgerschaft ein, die beschloss, „dass man hinfür das Wort Gottes hie lauter und rein verkünden und predigen solle“. Damit hatte sich die Stadt von der alten Kirche getrennt. Ab Okt. 1545 wurde im Karmeliterkloster evangelischer Gottesdienst gehalten. Ravensburg war zur Gefahr für die Katholiken in der Landvogtei geworden, ihren Untertanen wurde deshalb verboten, die Predigt in der Stadt zu besuchen. Zur politischen Absicherung schloss sich die Stadt 1546 dem Schmalkaldischen Bund an und musste sich dazu auf das Augsburger Bekenntnis verpflichten und den Zwinglianismus nicht zu dulden. Die Bürger waren allerdings „lieber zwinglisch dan luterisch“ und Konstanzer galt als Zwingli-Anhänger. Der Rat sollte also eine lutherische Kirchenverfassung gegen eine mehrheitlich zwinglianische Bürgerschaft durchsetzten. Als Gegengewicht zu Konstanzer berief der Rat lutherisch gesinnte Prediger aus Nürnberg, Straßburg und Biberach auf Zeit. 1546 wurde das Karmeliterkloster aufgehoben, eine Kirchenordnung nach Nürnberger Vorbild erlassen, der Gottesdienst lutherisch ausgerichtet,ein eigener Katechismus gedruckt, das Messelesen verboten und mit der Zuchtordnung das Reformationswerk abgeschlossen, mit ihr erhielt die Stadt auch ein geregeltes Schul- und Fürsorgewesen.

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