Elmar L. Kuhn

Die Säkularisierung Oberschwabens


Rückständig und glücklich?

Wer versucht, Oberschwaben zu charakterisieren, hebt die Katholizität als einen Wesenszug dieser Landschaft hervor. Darin sind sich Peter Blickle und Hans-Georg Wehling einig, auch wenn sie Oberschwaben eine regionale Identität in verschiedenen Epochen zuschreiben. Peter Blickle rekonstruiert Oberschwaben als „politische Landschaft“ aus den Strukturelementen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. „Sakrale und sinnliche Frömmigkeit gehören“ bei ihm seit dem Barock „zum Wesen Oberschwabens“. „Nicht nur Spötter (sehen) im Putto das Logo der Oberschwaben“.1

Nach Hans-Georg Wehling entstand oberschwäbische Identität erst „in und gegen Württemberg“ im 19. Jahrhundert.2Er misst dabei dem Ultramontanismus eine entscheidende Rolle zu: „es entsteht jene Gleichung von Oberschwäbischsein, Katholischsein und die katholische Partei Wählen“.3

Gilt diese Gleichung noch, wie katholisch ist Oberschwaben heute noch oder hat sich der Säkularisierungsprozeß auch in Oberschwaben durchgesetzt? Säkularisierung meint den „Schwund religiöser Bestimmungsfaktoren für die Gesellschaft“4oder genauer die „Verwandlung von Religion in ein Subsystem“.5Schon angesichts der terminologischen und methodischen Probleme masse ich mir nicht an, Aussagen über Religiosität oder gar Frömmigkeit zu machen.6Ich beschränke mich darauf, die Frage zu verfolgen, wie sich Kirchlichkeit bzw. Kirchenbindung in Oberschwaben verändert bzw. inwieweit die Kirche „die Kontrolle über die Religion verloren“ hat. „Säkularisierung wäre dann präziser als Entkirchlichung zu beschreiben.“7

Ich werde versuchen, die in den letzten drei Jahrhunderten sich ablösenden vier Kirchenmodelle in ihren Grundzügen zu skizzieren und darauf die Ergebnisse meiner Quellenerhebungen zu beziehen. Als qualitative Quellen habe ich die Visitationsberichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie für die jüngste Zeit die sog. „Standortbestimmungen“ der einzelnen Pfarreien bei der Bildung der Seelsorgeeinheiten ausgewertet.8An quantitativen Quellen habe ich die Daten der kirchlichen Statistik im 20. Jahrhundert benutzt. Beides war mir nicht für ganz Oberschwaben möglich, ich musste mich bei den qualitativen Befunden auf das südlichste Dekanat Tettnang, heute Friedrichshafen beschränken, die Daten habe ich auch für das Dekanat Biberach erhoben.

Umfassendere und eingehendere Studien zur Region liegen nur wenige, für das 20. Jahrhundert gar keine vor. Angesichts der schmalen Quellengrundlage muss die vorhandene Literatur zur allgemeinen und zur diözesanen Kirchengeschichte die Folie bilden, in die die Puzzleteile eingefügt werden.9Bei manchen Aussagen zur jüngeren Entwicklung kann ich mich auf „teilnehmende Beobachtung“ berufen. Zum Schluss versuche ich meine Ergebnisse auf die gängigen religionsoziologischen Modelle, Theorien und Thesen zu beziehen.

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