Elmar L. Kuhn

Die Säkularisierung Oberschwabens


Kirchensoziologie

Auf der Ebene der Trendaussagen, der empirischen Generalisierungen, ist derzeit innerkirchlich wohl Michael N. Ebertz mit seinen Thesen am einflussreichsten.

Ebertz diagnostiziert folgende „Megatrends“:85

Auf der Ebene des Individuums, der Nachfrageseite:

  • Strukturelle Pluralisierung: „Den Lebensläufen wird in der modernen Gesellschaft schon von Kindheit an die Erfahrung der strukturellen Pluralisierung eingraviert, also das Wissen, dass das Zusammenleben faktisch nicht unter einem einzigen Gesetz steht“. Das Individuum hat Erfahrungen der Unübersichtlichkeit, der Ohnmacht und der Anomie zu bewältigen.86

  • Individuelle Pluralisierung: „Sinngebung wird von einer Vorgabe durch sozial verbindliche Werte und Einstellungen ... zu einer Aufgabe, die die Einzelnen ‚selbst’ zu leisten und subjektiv zu gestalten haben.“87

  • Ästhetisierung: „Das ‚moralische’ Schema von Gut und Böse wird überlagert vom Schema Schön und Hässlich“.88 Divergierende ästhetische Urteile gewinnen an Bedeutung, auch über Gottesdienstformen.

Auf der Angebotsseite:

  • die „Dispersion des Religiösen“: Die Grenzen des Religiösen lösen sich auf, Sozialformen und Sinnanbieter aller Art erfüllen vergleichbare Funktionen: Kunst,Sport, politische Ideologien, Pop etc89

  • der „Integrationsschwund kirchlich verfasster Religion“: Die Kirche verliert das „Monopol der Definition der Heilwahrheiten und damit ... das Monopol der ‚geistlichen Produktionsmittel’“. Kirche vermag kaum noch normativ, wohl aber noch in abgestufter Weise die Kerngemeinde über ehrenamtliche Aktivitäten, den Gemeinderand über ihr Ritenangebot sozial zu integrieren.90

  • der „Wandel der kirchlichen Sozialform“: An die Stelle der „Gnadenanstalt“ tritt „Kirche als Dienstleistungsorganisation“ für soziale Dienstleistungen und auf dem „Ritenmarkt“, an die Stelle des „geistlichen Untertans“ tritt der wählerische„Kunde“.91

Diese Trends lassen sich auch in der Region wiederfinden. Kirchliche Normen werden von einer schwindenden Zahl von Gläubigen als verbindlich akzeptiert. Religion und Religiosität wird zur Angelegenheit privater, individueller Entscheidung, ist nicht mehr von (lokal-)gesellschaftlichen Zwängen vorgegeben. Das Ergebnis ist auch hier eine „Patch-Work-Religiosität“ unterschiedlichster Schattierungen. Sozial zu binden vermag die Kirche noch die Kerngemeinde durch die Aktivierung der Laien zur Übernahme einer Vielzahl von Ehrenämtern und die Randständigen durch ihr Angebot von Passage-Riten. „Die Familie ist nach wie vor die zentrale Wertidee der Gesellschaft. Unausrottbar ist das Bedürfnis nach Riten, welche Lebenswenden begleiten. Diese Passage-Riten bietet die Kirche an.“92

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