Nach dem Krieg konstatiert der Dekan 1947 eine „gewisse Abbröckelung“, aber „der gute und gesunde Kern der Gemeinde hält doch stand“.461954 bemerkt er „im Kirchenbesuch ... einen ziemlichen Rückgang“.471958 ist die „religiöse und sittliche Situation im allgemeinen noch ordentlich, wenngleich ein gewisses Schwinden der katholischen Substanz zumal in Friedrichshafen, aber auch in den Landgemeinden, spürbar wird“. Daraufhin hält nun das Ordinariat „den breiten Einsatz geschulter und opferwilliger Laienkräfte“ für notwendig und dringt auf Einrichtung von „Pfarrausschüssen“. In der Liturgie soll es aber beim Alten bleiben. „Das Drängen auf stärkere Benutzung der Volkssprache im Gottesdienst ist ein berechtigtes Anliegen, aber im Interesse der einheitlichen Ordnung sollen die geltenden römischen Bestimmungen ...eingehalten werden“.48Der Strukturwandel wird 1961 erstmals deutlich wahrgenommen. „Aus Bauerndörfer werden landauf, landab, mehr und mehr Pendlergemeinden. Die Stadt greift überall aufs Dorf hinaus. Säkularismus, Materialismus, Indifferentismus bedrohen in zeiteigener Weise überall das christliche Leben“.491963 resümiert das Ordinariat: „Gegenströmungen sind spürbar. Widrige Winde sind aufgekommen. Wetterwolken zeigen sich... Das Schifflein der Kirche hat Mühe, voranzukommen, klaren Kurs zu halten und sein Ziel zu erreichen“.50Katholisches Milieu und Weltbild zerfallen 1963: „Die unbewältigten modernen Massenmedien, besonders das Fernsehen und die Illustrierten, infizieren viele“.511964 wird der „Mangel an Priestern und hauptamtlichen kirchlichen Hilfskräften ... immer empfindlicher. ...der Einsatz von Laien und ...priesterliche Teamarbeit (sind) ... bewusst zu erstreben“.52
Die Visitationsberichte und Rezesse für die folgenden Jahre konnte ich im Diözesanarchiv wegen der Sperrfristregelung nicht mehr benutzen, einige Einzelberichte aber in der Registratur des Dekanatsamtes einsehen53Allerdings fertigen die Dekane offenbar keine Zusammenfassungen mehr an, sondern schicken nur noch die Berichte über die Visitationen der einzelnen Pfarreien nach Rottenburg. Die Rezesse des Ordinariats beschränkten sich immer mehr auf sehr allgemeine Aussagen und pastorale Ratschläge. Seit etwa 1990 verzichtet das Ordinariat ganz auf Stellungnahmen und reagiert nur noch auf Missstände der Geschäftsführung, „weil dadurch die Gemeinden realistischer und situationsgerechter ihre Situation in den Blick nehmen“.54 Die veränderte Zielrichtung drückt der neue Begriff „Pfarreibesuch“ aus. Er soll in der Regel alle fünf Jahre stattfinden und besteht aus drei Teilen, dem Pastoralbesuch, der Pfarramtsvisitation und dem Abschlussgespräch mit dem Pfarrer. Der Pastoralbesuch ist durch einen ausführlichen Bericht der Pfarrgemeinde und ein Vorgespräch des Dekans vorzubereiten, verpflichtend sind auch eine Sitzung des Pfarrgemeinderats mit dem Dekan und ein Gottesdienst mit ihm. In der Pfarramtsvisitation wird nur noch die ordentliche Geschäftsführung des Pfarramts überprüft. Für Bericht der Pfarrgemeinde, Vorbereitung, Ablauf und Bericht des Dekans hat das Ordinariat umfangreiche Vorlagen und Formulare erstellt.55 Die Berichte der Pfarreien und der Dekane schildern meist ausführlich die formalen Strukturen, heben die vielfältigen Aktivitäten hervor, halten sich aber mit Einschätzungen ihrer Ergebnisse und der Situation zurück. Sie fallen naturgemäß sehr unterschiedlich aus, von knappen Daten bis zum Ergebnis einer einjährigen Vorbereitung auf den Pastoralbesuch durch eine Gemeindeversammlung, Teamvorlagen, Klausurtagung und Redaktionssitzungen. Ich zitiere einige Aussagen:
„Die Altersgruppen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen beim Gottesdienst (sind) erheblich unterrepräsentiert“ (1979).
1980 wird die „geringe religiöse Substanz bei den Jugendlichen“ beklagt.
1988 ist von „zunehmenden atheistischen Strömungen“ die Rede.
1994 bereitet „Sorge..., dass die Bindung an die Pfarrgemeinde bei einer Reihe von Pfarrangehörigen zunehmend unverbindlicher und beliebiger wird.“ Aber es werden auch Partnerschaften mit Dritte-Welt-Gemeinden, alternative Jugend-Gottesdienste und als neues Moment „charismatische Gebetsgruppen“ hervorgehoben.
1995 bleibt die „größte Sorge ... das Abbröckeln der Gemeinde“. Als Gründe werden genannt „zunehmende Säkularisation, Liberalisierung, Gleichgültigkeit, innere Verwahrlosung“. „Bei den Erwachsenen (ist) kaum Kenntnis vom Ergebnis des Konzils und der Diözesansynode vorhanden, andererseits eine Überflutung von Papieren, Hirtenbriefen etc.“.
Immerhin ist 1999 „für viele ... der Glaube noch ein Stück weit Tradition“. Aber unter den Aktiven gibt es „Konkurrenzkämpfe zwischen ‚konservativ und progressiv’“.
Durchgehende Themen sind die Aktivierung der Laien und die überpfarrliche Zusammenarbeit angesichts des sich immer mehr verschärfenden Priestermangels.
Der Leitgedanke der Pastoralbesuche „Die Gemeinde als ganze ist Trägerin der Seelsorge“56überfordert allerdings den schrumpfenden aktiven Kern der Gemeinden. Überall dürfte zutreffen: „Die Gemeindeleitung ist sich aber noch nicht im klaren, ...welche Methoden und welche Art von ‚Neu-Evangelisierung und –Missionierung’ gefunden werden können“ (1994).