Elmar L. Kuhn

Texte des Bauernkrieges


Texte des Bauernkriegs

Der St. Galler Chronist Johannes Kessler beklagt zu Beginn seiner Schilderung der „grusamen embörung und ufruor der bursame wider ire hoche oberkaiten“, daß die altgläubigen Herrschaften „die predig des ufgenden, bluogenden evangelion grusamlich verbotten, sunder och des selbigen diener und predicanten erbärmlich vervolget [...], zuo dem die vertütschte Testament sampt anderen buocher, so von den gottsgelerten, frommen männer ussgangen, baide weder lesen, haben, nach failtragen in kainerlai weg by hoch straf zuogelassen.“ Hätten die Herren „warhafte evangelische predicanten by den underthonen geduldet und fry zue predigen zuogeben [...], were der gemain man der warhait wol underricht und von dem flaischlichen verstand uf den gaistlichen zuo geduld und sänftmuot gezogen und vermanet, der sunst von etlichen predigen und hörsagen ainen ton und won christenlicher fryhait und gottlicher warhait empfangen haben“ und so „die fryhait der christen, so die gewissen betrifft, uf ihres libs trang [...] mißverstanden.“1

Auf Aufforderung des Schwäbischen Bundes, der Bündnisorganisation der süddeutschen Herrschaften, reichten die oberschwäbischen Bauern zunächst ihre Beschwerden einzeln ein.2Bei den beiden Bundestagen am 7. und am 15. März 1525 einigen sich die Vertreter der drei oberschwäbischen Bauernhaufen auf ein gemeinsames Programm in den „Zwölf Artikeln“ und auf Organisationsstatute in Bundes- und Landesordnung: „Nach sollicher verainbarung verfasstend sy anhellig die artikel in geschrift [...]; welche ganz vollendet und beschlossen uf zechenden tag merzens, demnach in gemainem truck geoffenbaret.“3

Dass gesellschaftliche Zustände als unerträglich empfunden werden, mag Menschen zu Protesten, auch militanten Aktionen motivieren, zur Revolution können sie erst werden, wenn ein Interpretament, eine Ideologie breit rezipiert wird, die eine Erklärung der Zustände, Normen für ihre Kritik, eine Alternative und Wege zur Veränderung bietet. Diese Ideologie muss in Form eines Korpus von Texten formuliert werden, die über Medien verbreitet werden, da sie nur so weitflächig ihre Adressaten erreichen. In Rezeption und Diskussion werden neue Texte produziert, die einen kommunikativen Zusammenhang stiften, der erst kollektive Aktion ermöglicht. Es ist nicht „hohe Literatur“, die in der ideologischen Auseinandersetzung entsteht, es sind Texte der Gebrauchsliteratur, es ist Kampf- und Tendenzliteratur.4

Das gilt auch für den Bauernkrieg, für den Peter Blickle „die Redeweise von der Revolution des Gemeinen Mannes“ für angemessener hält.5Bäuerliche Proteste, Aufstände, hartnäckiger Widerstand hatte es während des ganzen Spätmittelalters gegeben. Die „Krise des Feudalismus“ und die Versuche der feudalen Herrschaften, durch zunehmenden Druck auf die Bauern, insbes. die Intensivierung der Leibeigenschaft, ihre Position zu stabilisieren, gaben genug Anlaß zu bäuerlichem Widerstand. Solange sich die Bauern aber auf das „alte Recht“, das je lokal verschiedene „Herkommen“ beriefen, blieb ihr Protest lokal und regional zersplittert. Auch wenn es Johannes Kessler als Mißverständnis bezeichnete: Zum Flächenbrand konnte der Widerstand erst werden, als die Reformation die Legitimation der Kirche und vermeintlich von ungerechter Herrschaft generell erschütterte. Das Schlagwort vom „göttlichen Recht“ bot den Maßstab der Kritik und neuer Ordnung. Die oberschwäbischen „Zwölf Artikel“ und die Bundesordnung wurden als Schlüsseltexte, als Revolutionsprogramm vertrieben und aufgegriffen. Die Artikel erlebten 28, die Bundesordnung elf Auflagen. Ohne das neue Medium des Buchdrucks hätte die einigende Ideologie nicht diese Verbreitung erfahren und diese Wirkung erzielen können. Nicht alles gelangte zum Druck, viele Texte dienten der Nahkommunikation, der Selbstverständigung und Rechtfertigung von Aufständischen wie ihrer Gegner: Briefe, Beschwerden, Chroniken. Die Bauern konnten ihre Stimme nur kurz während des Aufstandes 1525 erheben, die Sieger hatten Zeit, i h r e Geschichte schreiben zu lassen, um für Jahrhunderte das Bild der Geschichte in den Köpfen zu bestimmen.

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