Die Revolution in Oberschwaben geht von Arbeitern aus, nicht von den meuternden Soldaten wie anderswo. Aber natürlich kann auch hier die Revolution nur erfolgreich sein, wenn und da die Soldaten sich anschließen221. In Friedrichshafen marschieren schon am 26. Oktober in der Demonstration Soldaten mit, darunter ein Offiziersstellvertreter in Uniform. Bereits etwa hundert Soldaten beteiligen sich am 5. November bei dem Zug, dem Soldaten zwei rote Fahnen vorantrugen. Die in die Rüstungswerke kommandierten Soldaten wählen an diesem Tag den ASR mit, zwei der 32 Mitglieder sind Soldaten, wohl die ersten württembergischen Soldatenräte. Am 9. November konstituiert sich dieser ASR wieder, dritter Vorsitzender, Mitglied des Vollzugsausschusses und verschiedener Kommissionen wird der Unteroffizier Götz als Soldatenrat. Am 11. November unterliegt die Befehlsgewalt der Offiziere der Kontrolle des ASR.
Auch in der Garnison Isny rumort es schon ab Ende Oktober. Am Abend des 8. November, nachdem die Vorgänge in Kiel und München bekannt geworden sind, wählt eine Soldatenversammlung „Vertrauensleute" und formuliert Forderungen an die Offiziere, doch der bald als Kommandant der württembergischen Sicherheitstruppen hervortretende Leutnant Hahn erreicht es, dass am 9. November im neugewählten Soldatenrat zwei Offiziere die Führung haben222.
Die in Ravensburg stationierten Truppen wählen am 9. November einen Soldatenrat, ein dreiköpfiger Ausschuss vereinigt sich am 10. November mit den Arbeitervertretern zum ASR Ravensburg-Weingarten. In Weingarten erfährt man erst am 10. November, dass eine Revolution stattgefunden hat und wählt am Sonntag einen vorläufigen Soldatenrat. Bei der Revolutionsfeier am Sonntag kommt das Ravensburger Bataillon geschlossen mit seinen Spielleuten anmarschiert. Der Soldatenrat erklärt, dass sich die Offiziere den Anordnungen des Soldatenrats fügen, ermahnt zu Disziplin und Ordnung, man wolle "keine russischen Zustände". Anschließend marschieren alle nach Weingarten, wo die Versammlung wiederholt wird. Am 11. November verkündet der ASR in der Zeitung: "Die Soldaten gehorchen dem gewählten Soldatenrat"223.
In Leutkirch versammelt sich die Garnison auch erst am 10. November. Ein aus Stuttgart zurückgekehrter Unteroffizier berichtet über die dortigen Ereignisse. Anschließend wählt man den Soldatenrat, der in einem gemeinsamen Aufruf mit Oberamt, Stadt und Arbeiterrat versichert, die "Angehörigen der Garnisonen Leutkirch und Isny ... übernahmen es, Bestrebungen, welche als Unruhe oder Zerstörung gerichtet sind, nicht aufkommen zu lassen"224.
Vor dem Krieg waren an Truppen in Oberschwaben nur das Infanterie-Regiment 124 in der großen Garnison in Weingarten und eine Luftschifferkompanie in Friedrichshafen stationiert. Im Krieg kommen die Ersatzeinheiten des Infanterie-Regiments 475 und des Landwehr-Infanterie-Regiments 123 in Ravensburg, des Württembergischen Gebirgs-Regiments in Isny und Leutkirch sowie die Bodensee-Flotille und Wachmannschaften in Friedrichshafen dazu. Eine Vielzahl kleiner und kleinster Militäreinrichtungen, vor allem Lazarette, ist über ganz Oberschwaben verstreut225.
Bis zum 15. November müssen in allen Einheiten für je 150 Mann in geheimer Abstimmung Soldatenräte gewählt werden. Kleinere Kommandos haben sich größeren Gruppenteilen anzuschließen. Bei den Soldatenräten sind zu unterscheiden:
die Soldatenräte der militärischen Einheiten: Kompanie-, Bataillons-, Regiments-Soldatenräte,
die Garnisonsräte, wozu die Soldatenräte aller Kompanien und ähnlicher Einheiten einer Garnison zusammentreten und einen Ausschuss von fünf Mitgliedern bilden. Solche Garnisonsräte bestehen in Oberschwaben für Weingarten (bis 30. Juni 1919), Ravensburg (bis Ende Januar 1919), Friedrichshafen (bis 31. Juni 1919), Isny-Leutkirch (bis 15. März 1919). Die Garnisonsräte entsenden wiederum Vertreter zu den vier Landesversammlungen der Soldatenräte, ein von der Landesversammlung gewählter Landesausschuss der Soldatenräte ist die organisatorische Spitze und kontrolliert Kriegsministerium und (stellvertretendes) Generalkommando. In diesem Landesausschuss ist Ravensburg und dann ab Dezember die Garnison Weingarten mit einem Mitglied vertreten.
die Soldatenräte in den Arbeiter-(Bauern-) und Soldaten-Räten.
Außer in Friedrichshafen und Ravensburg sind Soldatenräte nur in den Räten von Biberach und Saulgau vertreten. Obwohl im ASR Ravensburg-Weingarten sich die Arbeiterräte aus Ravensburg, Weingarten und Baienfurt zusammenschließen, gehören diesem Rat nur Soldatenräte aus Ravensburg an, solange hier eine Garnison besteht, nicht aber Soldatenräte der viel größeren und länger bestehenden Garnison Weingarten. Der Wangener Rat nennt sich offensichtlich nur deshalb ASR, weil ihm entlassene Kriegsteilnehmer angehören. In Leutkirch gibt es keine organisierte Verbindung zwischen den verschiedenen Räten (AR, BR, Bürgerrat, SR). Die Soldatenräte in den ASRen übernehmen (wie die Garnisonräte) in der Regel den Patrouillendienst in den Städten und z.T. anfänglich die Überwachung des Post- und Telegrafenverkehrs,“um etwa gegenrevolutionäre Strömungen zu unterdrücken"226. Über ihre Aktivitäten nach den ersten Revolutionstagen schweigen die Berichte. Aufgrund der Auflösung der Standorte scheiden alle Soldatenräte bis Ende Januar 1919 aus den Arbeiterräten aus.
Der erste Erlass vom 11. November nennt als Aufgabe der Soldatenräte: "Störungen in der öffentlichen Ordnung, in der Verpflegung und Unterbringung des Besatzungsheeres zu verhindern sowie um die von der Front in die Heimat zurückkehrenden Militärpersonen zu versorgen und weiterzuleiten"227. Ein Flugblatt des Soldatenrats Württemberg an die Bevölkerung weist zusätzlich hin auf: "Behebung und Abschaffung aller Missstände innerhalb des Militärwesens ..., Bergung von Militärgut aller Art, ... persönlicher Schutz und Schutz des Eigentums von Privatpersonen"228. Die am 16. Dezember 1918 erlassenen Richtlinien229räumen wie schon der Erlass vom 11. November 1918 den Soldatenräten gewichtige Rechte ein: Wahl der Offiziere bis zum Regimentskommandeur, Kontrolle des Dienstbetriebes, Gegenzeichnung aller Befehle, Zustimmung zu Disziplinarstrafen, Urlauben und Versetzungen, Leitung regelmäßiger Versammlungen. Die Landesversammlung der Soldatenräte soll "die höchste Instanz in allen militärischen Soldaten-Angelegenheiten" bilden. Diese Rechte im militärischen Bereich gehen beträchtlich über die Kompetenzen der Arbeiterräte gegenüber der Verwaltung hinaus. Zwar wird nicht "alle Macht den Räten", so doch die halbe Macht den Soldatenräten zugestanden.
In vielen Versammlungen auch der bürgerlichen Parteien landauf, landab werden die vielfach ungerechte Behandlung der Soldaten, das dünkelhafte und menschenverachtende Auftreten der Offiziere im Krieg kritisiert und Verständnis für die daraus resultierende Erbitterung der Soldaten gezeigt. Solche Zustände sollen nicht wiederkehren können. „Mit der bisherigen Führermacht war es vorbei, ganz ohne Führer konnte die Truppe nicht sein, so wählte die Mannschaft Leute ihres Vertrauens, die die Aufgabe hatten, die Truppenführung im Mannschaftsinteresse zu kontrollieren, in allen Zweigen der Dienstgeschäfte die Mannschaftsgesichtspunkte zu wahren". Ohne dieses Zusammenwirken sei "das militärische Chaos ... unvermeidlich gewesen", nur so kann die Ordnung in den Kasernen aufrechterhalten werden, kann die Demobilmachung mit großen Mengen an Geräten, Gütern und Pferden abgewickelt werden230Als den Mannschaften nahestehende Funktionsträger und vertraut mit militärischer Verwaltungsarbeit wird vornehmlich das mittlere Führungskorps in die Soldatenräte gewählt. Von den Soldatenräten, deren Dienstrang bekannt ist (Isny 16, Weingarten 18), stellten die Unteroffiziere in Isny und Weingarten ca. 40 %, die Mannschaften in Isny 44 %, in Weingarten 28 %, Militärbeamte in Weingarten 22 %, außerdem gehörten in Weingarten zwei Oberleutnante, in Isny drei Leutnante dem Soldatenrat an231. Ganz überwiegend verstehen sich die Soldatenräte als Anhänger und Stützen der Regierung. Mit den Beschlüssen der ersten Landesversammlungen der Soldatenräte fallen Vorentscheidungen über den weiteren politischen Weg des Landes, fast einstimmig werden baldmöglichste Parlamentswahlen gefordert. Der Landesausschuss besteht fast nur aus Sozialdemokraten, im Weingartner Vollzugsausschuss vom November 1918 gehören acht Mitglieder der SPD, zwei der USPD an.232
Die Offiziere des Heimatheeres "konnten sich nicht sofort in die neuen Verhältnisse schicken"233, finden sich aber doch bald ab. Nur einem Offizier in Weingarten wird nahegelegt, möglichst rasch zu verschwinden. Ernsthaftere Probleme gibt es, als die Truppen von der Front Mitte/Ende Dezember heimkehren. Der Garnisonsrat Weingarten erfährt, dass das "Feldregiment noch stark in den Händen der Offiziere ist und ... noch falsch aufgeklärt ist"234. Es kommt zu einer Reihe von Zwischenfällen. Als bei der Begrüßung der Truppen der Soldatenrat sprechen will, befielt der Kommandeur den Abmarsch und lässt den Soldatenrat stehen. Solange die roten Fahnen über der Kaserne flattern, will der Kommandeur nicht einziehen, muss aber schließlich doch. Bei festlichen Bewirtungen der Soldaten in Gasthäusern hindern Offiziere und Weingartner Bürger einvernehmlich den Soldatenrat am Reden. Mit dem Soldatenrat zusammenarbeitende Offiziere werden von ihren Kameraden angefeindet. Drohend weist man den Soldatenrat auf passende Bäume hin. Die Soldatenräte lassen sich nicht einschüchtern, gewinnen die Mannschaften und setzen sich durch. Drei Offiziere, darunter der Regimentskommandeur, werden vom Generalkommando auf Verlangen des Soldatenrats vom Dienst suspendiert. In Isny wählen die Soldaten neun Offiziere ab und bestätigen zwanzig. Über die politische Einstellung der Soldaten geben die Wahlen vom Januar 1919 Aufschluss, denn in Weingarten und Friedrichshafen-Löwental stimmen die Soldaten in eigenen Wahlbezirken ab: Von ca. 1.200 Wählenden in Weingarten und ca. 200 in Friedrichshafen entscheiden sich knappe 60 % jeweils für die SPD, viel mehr als ihre zivilen Mitbürger, nur um die 15 % für das Zentrum, in Friedrichshafen immerhin ca. 20 % für die USPD und 2 % in Weingarten235.
Mit den zügigen Truppenentlassungen im ersten Vierteljahr 1919 schwindet das Einsatzpotential der Soldatenräte, verschwinden immer mehr die Soldatenräte selbst. Befinden sich Ende 1918 ca. 5.000 Soldaten im südlichen Oberschwaben, so unterstehen Ende April dem hier einzig noch existierenden Garnisonsrat noch ca. 1.200 Soldaten, davon ca. 350 Kranke in Lazaretten, nur noch ca. 250 Reste der alten Regimenter, meist Deutsch-Schweizer, die nicht in die Schweiz zurückkehren können. Knappe 500 gehören bereits neuen Truppenformationen an, den drei in Weingarten, Leutkirch und Friedrichshafen untergebrachten Sicherheitskompanien.
Die Sicherheitstruppen, aufgestellt seit Dezember 1918 durch den Leutnant Hahn, Vorsitzenden des Soldatenrats Isny, zum zuverlässigen "Schutz des Staatseigentums, der militärischen Werte ... (als) Organ für Ordnung und Sicherheit ... (und) Beschützer der Revolution"236, entwickeln sich sehr rasch zum zuverlässigen Schutzorgan der Regierung gegen alle Versuche, die Revolution weiterzutreiben. "Rückgrat der Sicherheitstruppen" ist die Sicherheitskompanie 13 aus Isny/Leutkirch. Dreimal kommen diese Truppen zum militärischen Einsatz gegen Arbeiter, Anfang Januar und Anfang April im Generalstreik in Stuttgart und Umgebung, im April und Mai im Kampf gegen die Münchner Räterepublik, immer bereit zu "rücksichtslosem Draufgehen" und "blutiger Arbeit"237. Werden schon in den Sicherheitstruppen die Mitsprachemöglichkeiten der Soldatenräte eingeschränkt, so lehnt der Befehlshaber der Freiwilligenabteilung Haas, eigentlich aufgestellt zum Grenzschutz Ost, dann aber ebenfalls im Einsatz in München, "jede Soldatenratswirtschaft" ab238.
Die im März 1919 gemeinsam von Soldatenräten und württembergischem Kriegsministerium verabschiedete Konzeption eines württembergischen "Volksheeres" mit weiterhin weitgehenden Rechten der Soldatenräte bleibt ohne Chance auf Realisierung239. Die Freiwilligenabteilung Haas bildet im August 1919 den Kern der neuen Reichswehrbrigade, die Sicherheitstruppen werden in die Polizeiwehr, eine "straff organisierte Truppenpolizei" umgewandelt240, die Mitbestimmung von "Vertrauensleuten" auf ein Minimum beschränkt.
Die Soldatenräte haben sich wie die Arbeiterräte als Wächter über die "Errungenschaften der Revolution" verstanden. Als solche hat die dritte Landesversammlung der Soldatenräte aufgezählt: "Sicherung der demokratischen Volksrepublik und ihrer Verfassung, Sozialisierung der dazu reifen Betriebe und Industrien, Sicherung des 8-Stunden-Tags, Ersetzung der heutigen Heeresorganisation durch eine freiwillige Volkswehr auf demokratischer Grundlage"241. Zu lange haben sie sich mehr als treue Stützen der Regierung, denn als Wächter über diese Errungenschaften betätigt. Minderheiten in den eigenen Reihen, die früher bemerken, dass die Regierung mehr Wert auf ein Bündnis mit den alten Mächten als auf Einlösung ihrer Versprechungen legt, werden hinausgedrängt. Als der Weingartner Soldatenratsvorsitzende im Aprilstreik in Ravensburg sich für den Sturz der Regierung einsetzt, beschließt eine Soldatenversammlung unter dem massiven Einfluss von Mitgliedern des Landesausschusses der Soldatenräte die Absetzung von Knauss, der daraufhin den Dienst quittiert. Der Protest der oberschwäbischen Sicherheitskompanien gegen die neuen Reichswehrbestimmungen im Juni 1919 kommt zu spät: "Mit Einführung dieser Bestimmungen sind den Soldaten wieder sämtliche Rechte aus der Hand genommen, die sie durch die Revolution erobert haben ... Diese Bestimmungen enthalten so wenig demokratischen Geist und decken sich nicht im mindesten mit dem von den Trägern der Revolution verlangten freiwilligen Volksheer auf demokratischer Grundlage"242. Ende Juni 1919 wird der Garnisonsrat Weingarten aufgelöst.
Die Sicherheitstruppen haben vorher selbst die "Träger der Revolution" bekämpft. Nun gelten sie einer SPD-geführten Landes- und Reichsregierung als zu wenig zuverlässig. Im Misstrauen gegen ihre eigene Basis vertraut die SPD-Führung lieber dem alten Offizierskorps und gibt den Weg frei für eine Reichswehr, die schließlich mithilft, nicht nur die demokratischen, sondern alle rechtsstaatlichen Errungenschaften zu liquidieren. 1920 schießen Weingartner Reichswehrsoldaten auf Ravensburger und Weingartner Bürger. Um den Ersatz ihrer Kosten für den Soldatenrat durch das Reich kämpft die Stadtverwaltung Weingarten noch jahrelang vergebens. Ihr wird bedeutet: Die "Gemeinde Weingarten hatte den größten Vorteil durch den Garnisonsrat, indem sie durch denselben vor Ausschreitungen und Plünderungen jeder Art bewahrt blieb. Außerdem haben die Garnisonräte zur Unterbindung des Schleichhandels wesentlich beigetragen"243.