Elmar L. Kuhn

Revolution und Räte 1918/19


Die Bauernräte

Die Bauernräte bieten nach Entstehung, Organisation und Praxis ein nicht weniger buntes Bild als die Arbeiterräte155. Von mehreren Seiten wird die Landbevölkerung bald nach dem 9. November aufgefordert, Bauernräte zu bilden. Am 12. November ruft der Rat der Volksbeauftragten die "Bauern, Landarbeiter, Handwerker und Gewerbetreibenden auf dem Lande" zur "Bildung von Bauernräten (auf), um die Volksernährung, die Ruhe und Ordnung auf dem Lande ... sicherzustellen"156. Der Aufruf erfolgt auf Initiative des Kriegsausschusses der deutschen Landwirtschaft, der schon Anfang November die "Bildung von Orts- und Gemeindeausschüssen" propagiert hat. Dahinter steht letztlich der Bund der Landwirte, der hofft, endlich Einfluss auf die lokale Ernährungsverwaltung zu erhalten und gleichzeitig die Landarbeiter einzubinden. Am 14. November fordert der Schwäbische Bauernverein, kurz zuvor gegründete zentrumsnahe Standesorganisation der katholischen Bauern in Konkurrenz mit den regierungsfrommen landwirtschaftlichen Bezirksvereinen, seine Mitglieder auf, "an allen Orten, wo Arbeiter- und Soldaten-Räte gebildet sind, auch Bauernräte zu wählen"157. Am 15. November regt die Württembergische Zentralstelle für Landwirtschaft, oberste Landesbehörde und gleichzeitig Spitze der landwirtschaftlichen Bezirksvereine, die Bildung von Gemeindeausschüssen und Bezirksbauernräten an, am gleichen Tag fordert der Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften seine Mitglieder auf, sich aktiv an der Gründung zu beteiligen. Die etablierten Bauernverbände fürchten, ähnlich wie die Gewerkschaften bei den Arbeiterräten, dass die neue Organisationsform ihren Einfluss auf Bauern und Behörden beeinträchtigen werde: "Es gibt auch sehr radikale Bauernräte, die von den Gemeindebauern selber nicht gewählt worden sind, sondern eben als Bauernvertreter von einem kleinen Kreis ernannt werden"158. Diese Bemerkung zielt auf die Initiativen, die von den politischen Arbeiterräten ausgehen.

Schon "Die rote Fahne" vom 5. November 1918 verkündet als Programm des Arbeiter- und Soldaten-Rates Stuttgart: "Die Regierung übernehmen sofort zu wählende Delegierte der Arbeiter, Soldaten, Kleinbauern und der Landarbeiter". Nach dem von Fritz Rück und August Talheimer dem Arbeiter- und Soldatenrat am 10. November vorgelegten und am 25. November abgelehnten Programm sollen "Dorfkomitees aus Bauern und Landarbeitern gebildet werden, die sich zentral zusammenschließen und den Städten die nötigen Lebensmittel und Rohstoffe ... liefern"159. Wohl Mitte November verbreitet der "Propaganda-Ausschuss des Vollzugs-Ausschusses des Arbeiterrates Stuttgart" ein Flugblatt an die "Kleinbauern! Landarbeiter!", das leider nicht genauer datierbar ist, und spartakistische Gedanken propagiert. „Die Revolution ist die Erhebung des kleinen Mannes ... schließt Euch zu Produktionsgenossenschaften zusammen! ... In allen Städten und Industrieorten sind Arbeiterräte entstanden. Sie sollen die Interessen der werktätigen Bevölkerung wahren, Regierung wie Gemeindeverwaltungen kontrollieren. Sie werden dafür sorgen, dass die Fabriken unter Aufsicht der Arbeiter kommen ... in ähnlicher Weise müßt auch Ihr die Erzeugung und den Vertrieb der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ordnen und leiten. Bildet überall Bauernräte! Diese beaufsichtigen in erster Linie die Arbeit der Schultheißen und Kommunalverbände"160.

Die Berliner Aufrufe bleiben in Oberschwaben ohne jedes erkennbare Echo161. Auf den Aufruf der Zentralstelle für Landwirtschaft bezieht sich nur der Ortsvorsteher von Stafflangen im Oberamt Biberach, der einen am 26. November gebildeten Gemeindeausschuss meldet162. Zumeist konstituieren sich die Bauernräte auf Initiative eines Arbeiterrats oder der beiden konkurrierenden Bauernverbände. Die in neun Oberämtern bestehenden Bauernräte lassen sich nach ihrer Organisationsform (Teil eines Arbeiter-und Bauern-Rates oder selbständiger Bauernrat mit oder ohne gemeinsamem Ausschuss mit dem Arbeiterrat) oder nach dem Berufungsverfahren unterscheiden: Wahl oder Benennung in einer Versammlung des Arbeiterrats oder eines Bauernverbands, Delegation durch den landwirtschaftlichen Bezirksverein in den ABR, Delegation durch örtliche Bauernräte.

Der ASR Ravensburg beschließt zwar in seiner Sitzung am 14. November, Bauernräte auf dem Lande wählen zu lassen, setzt seinen Beschluss aber offenbar nie um, ruft aber dennoch die "landwirtschaftliche Bevölkerung" auf: "Arbeitet mit an dem Aufbau des neuen Volksstaates!"163Im März 1919 meldet deshalb das Oberamt: "Bauernräte haben wir im Bezirk so gut wie nicht, in einer Gemeinde ist ein Bauernrat, von dessen Tätigkeit wir noch nichts gehört haben"164. Der am 26. November 1918 gegründete Volksrat füllt zunächst diese Organisationslücke und räumt den Vertretern der 21 Landgemeinden fast die Hälfte seiner Sitze in der Vollversammlung und im Aktionskomitee ein (s. u.). Nach der ersten Sitzung am 2. Dezember treten diese ländlichen Volksräte allerdings nie mehr in Erscheinung.

Von den Arbeiterräten, die sich um eine Ergänzung durch Bauernräte bemühen, beruft der Arbeiterrat Friedrichshafen bereits am 10. November, also noch vor der Revolutionsfeier in Friedrichshafen selbst, eine Volksversammlung in der Oberamtsstadt Tettnang ein, auf der zwei Bauernräte in den ASR Friedrichshafen zugewählt werden. Am 17. November finden in den Landgemeinden Versammlungen statt, in denen jeweils ein bis drei Bauernräte als Delegierte in die Vollversammlung des Friedrichshafener Rats gewählt werden. Diese Räte werden teilweise von den Gemeinderäten nicht als Vertreter ihrer Gemeinden anerkannt. In den späteren Wahlversammlungen werden Mitglieder der örtlichen Honoratiorenschicht, manchmal gleich Gemeinderäte, entsandt. In der über 80 Personen zählenden Vollversammlung stellen die Bauernräte ca. 40 % der Räte.

In Saulgau am 16. November und in Waldsee am 20. November werden in der öffentlichen Wahlversammlung zum ASBR auch jeweils gleich Bauern in die Räte gewählt, in Saulgau drei Bauernräte unter insgesamt 18 Räten, in Waldsee fünf Bauernräte unter insgesamt 16 Räten. "Die Sozialdemokratie ... hat kurzerhand die notwendige Zahl Leute aus Stadt und Bezirk herausgezogen und gewählt, was den Sozialisten natürlich sehr zustatten kam ... die Abstimmung wurde durch Zuruf vorgenommen"165. In beiden Fällen protestiert der landwirtschaftliche Bezirksverein. In Saulgau bezeichnet er das Vorgehen des Arbeiterrats als "Terrorismus", zeigt sich aber dennoch bereit, "durch einen von den Bauern selbst gewählten Bauernrat bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dem Schutz des Eigentums sowie bei der richtigen Erfassung und gerechten Verteilung sämtlicher ... nötiger Lebensmittel und der Preisbestimmung ... mitzuwirken". In der Vereinsversammlung wird eine Liste von Bauernräten vorgelesen, "gegen die kein Einspruch erhoben wurde"166. Zusammen mit weiteren Zuwahlen erweitert sich der Saulgauer Rat Ende November um diese Delegierten des landwirtschaftlichen Bezirksvereins, so dass die Bauernräte nun acht der 30 Räte stellen. Da die Bauern weiterhin eine stärkere Vertretung verlangen, werden im Frühjahr in vielen Gemeinden des Bezirks örtliche ABRe gebildet, die Vertreter auf die Bezirksebene entsenden. Anfang April erscheinen zu einer Vollversammlung 42 Bauern-Delegierte aus 36 Gemeinden, denen nur 17 Arbeiterräte gegenüberstehen. Dennoch wird ihnen von anonymen Kritikern die Legitimation abgesprochen und ein selbständiger Bauernrat gefordert167.

In Waldsee hat der landwirtschaftliche Bezirksverein eine Liste mit 25 Bauernräten aufgestellt, von denen in der Versammlung am 19. November ein Teil in den ASBR durch Zuruf gewählt wird. Damit ist der Verein aber nicht zufrieden und erhebt in einer Mitgliederversammlung am 1. Dezember Protest, sieht aber "vorerst von der Zuwahl von Mitgliedern zum Bauernrat ab und wünscht dem ASBR ein recht baldiges seliges Ende!"168, was dort ja auch bald eintritt. Mindestens in zwei Landgemeinden des Oberamtsbezirks bestehen allerdings örtliche ABRe, wobei sich in Wolfegg christliche Gewerkschaften und landwirtschaftliche Organisationen über die Zusammensetzung geeinigt haben.

In Biberach hat der ABSR, der sich bereits so nennt, in einer Zeitungsanzeige am 18. November neben den "geistigen Arbeitern" und Beamten auch die Bauern "ersucht", je einen Delegierten in den Rat zu entsenden. In der Bekanntmachung der konstituierenden Sitzung am 21. November werden neben den 21 Arbeiterräten und 4 Soldatenräten auch 5 Bauernräte aufgeführt, davon einer als Vertreter des Güterbesitzer-Vereins und 4 für den landwirtschaftlichen Bezirksverein, die also anders als bei den anderen Bauernräten ausdrücklich als Vertreter ihrer Organisationen dem Rat angehören. Anfang 1919 wird eine Ausweitung der lokalen Vertretungen angestrebt und die "ländlichen ABRe ... sollten einen Delegierten wählen in einer Ortsversammlung zur Vertretung und Teilnahme an den Sitzungen des Bezirksrats der ABRe"169.

Der Friedrichshafener Arbeiterrat hat sich selbst gerade erst sich um zwei Bauernräte ergänzt, da versucht er schon am 12. November in Wangen einen selbständigen "revolutionären" Bauernrat zu gründen. Das geht genau so schief wie mit dem dortigen Arbeiterrat. Die in der öffentlichen Wahlversammlung aus jeder Gemeinde benannten Personen und der danach als Vorsitzender gewählte Schultheiß aus Amtzell erweisen sich als wenig aktiv. Dem Oberamt scheint "der Bezirksbauernrat auf sein Dasein keinen besonderen Wert zu legen"170. Die nächste Gründung eines selbständigen Bauernrats, ab dem 14. November in Leutkirch, ist offenbar das Werk eines Mannes, des Wurzacher Guts- und Brauereipächters Schiele, der über die Bauernräte eine politische Karriere aufzubauen sucht, eine eigene, wenn auch kurzlebige Partei gründet und seinen Weg über den Landesbauernrat bis in den Reichsbauernrat bahnt. Nachdem er sich selbst mit einem großen Käsereibesitzer und einer weiteren Person zum provisorischen Bauernrat erklärt hat, lässt er zwischen dem 18. und 24. November in Versammlungen je drei Gemeinde-Bauernräte wählen, je ein Vertreter jeder Gemeinde bilden zusammen den Bezirks-Bauernrat.

Die Wahlen der beiden nächsten Bauernräte werden von den landwirtschaftlichen Bezirksvereinen veranlasst. In Riedlingen sollen sich zunächst einfach die örtlichen Vertrauensleute des Bezirksvereins "als örtlicher Bauernrat erklären" und aus den Reihen der Nichtvereinsmitglieder Handwerker und Gewerbetreibende dazuwählen. Als ein zufällig anwesender Sozialdemokrat erklärt, ein solcher Bauernrat werde von der Regierung nicht anerkannt, beschließt die Versammlung am 25. November, in den folgenden Tagen durch die Ortsobmänner des Vereins in allen Gemeinden Versammlungen einzuberufen, in denen drei bis fünfzehn Ortsbauernräte "aus dem Kreise der Landwirte, der landwirtschafttreibenden Geschäftsleute und allenfalsiger Gewerbetreibender" gewählt werden soll. Der landwirtschaftliche Bezirksvorstand soll dann die engere Wahl zum Bezirksbauernrat vornehmen lassen. Gegen die Benennung als Bauernräte erhebt eine Zentrumsversammlung des gleichen Tages Einwände, da "Volksräte, in denen Mitglieder aller Stände seien, ohne Zweifel eher in Stuttgart anerkannt werden als nur Bauernräte, die eben als einseitige Standesvertretung angesehen werden konnten"171. Paradoxerweise wird dann gerade der Riedlinger Volksrat nicht anerkannt, wohl aber der Bauernrat in seiner Beschränkung als Interessenvertretung.

In Laupheim wird am 1. Dezember in einer Versammlung des landwirtschaftlichen Bezirksvereins unter dem Punkt "Anträge und Wünsche" ein Bezirks-Bauernrat vorgeschlagen, durch Zuruf aus "20 praktischen Landwirten der einzelnen Gemeinden gebildet", und der Vereinssekretär und Verwaltungsaktuar als Geschäftsführer bestellt172. Von diesem Rat hört man nach seiner Gründung nie wieder.

In Ehingen, das mit seinem Bauernrat ebenso das Schlusslicht bildet wie mit seinem Arbeiterrat, scheint es noch zu einem Wettlauf zwischen Schwäbischem Bauernverein und landwirtschaftlichem Bezirksverein um die Gründung des Bauernrats gekommen zu sein. Am 11. Dezember lädt der landwirtschaftliche Bezirksverein zu seiner Versammlung am 14. Dezember die je drei Vertreter der offenbar bereits bestehenden Gemeinde-Bauernräte zur Wahl eines Bezirks-Bauernrates ein. Einen Tag später macht der Schwäbische Bauernverein auf seine Bezirksversammlung über die Bauernräte aufmerksam. Auf der Versammlung des Bezirksvereins werden dann doch aus je einem Vertreter der Gemeinden der Bezirksbauernrat gebildet, durch Zuruf ein Bauer und Schultheiß zum Vorsitzenden bestimmt und in geheimer Abstimmung ein Ausschuss gewählt.

Einen Unterbau in Form örtlicher Bauernräte besitzen also die Bezirksbauernräte in Ehingen, Leutkirch, Riedlingen, wohl auch der Bezirks-ABR Saulgau, eventuell Friedrichshafen, de facto auch Biberach, dort allerdings mit den unterschiedlichsten Bezeichnungen in den einzelnen Gemeinden (z.B. ABR, ABBürgerR, BA- und HandwerkerR, Gemeindeausschuss). Eine handlungsfähige Organisation der selbständigen Bauernräte auf Bezirksebene mit einer Vollversammlung, die wenigstens gelegentlich auch tagt, einem Ausschuss und einem Vorsitzender kommen nur in Ehingen, Leutkirch und Riedlingen zustande. Die Bezirks-Bauernräte von Ehingen und Wangen bilden mit den Arbeiterräten einen gemeinsamen Ausschuss, bei dem in Ehingen der Vorsitzende des Bauernrats präsidiert, in Wangen der Redakteur des Oberamtsblattes.

Im Unterschied zu den Arbeiterräten entsteht erst spät eine Vertretung der Bauernräte auf Landesebene. Zu den Landesversammlungen der württembergischen ABRe dürfen nur gemeinsame ABRe Delegierte entsenden, in der Regel keine Bauern. Dem Landesausschuss der ABRe, der sich seit Januar 1919 so nennt, gehört trotz seines Namens kein Bauer an. Er erkennt auch keine reinen Bauernräte als Räte im Sinne der Satzungen vom 14. Dezember 1918 an. Die Zentralstelle für Landwirtschaft versucht im Dezember erfolglos, einen Landesbauernrat zu gründen. Am 15. Januar 1919 bildet sich auf Initiative des Bürgerrates Stuttgart ein Landesverband der württembergischen Bürger- und Bauernräte, dessen achtköpfiger Arbeitsausschuss paritätisch mit Bürgern und Bauern besetzt wird. Das ist aber auch schon die letzte Nachricht von ihm. Erst am 24. März lädt der Bezirks-Bauernrat Schwäbisch Hall zu einer Versammlung der Bezirks-Bauernräte des Landes ein, wo zwei Drittel der württembergischen Oberämter vertreten sind. Dort wird ein provisorischer Landes-Bauernrat gegründet, in den jedes Oberamt einen Vertreter entsendet und zu dessen vorläufigem Vorsitzenden der Gutspächter Bräuninger aus dem Oberamt Saulgau gewählt wird, der im April zweiter Vorsitzender des Bezirks-ABR Saulgau wird. Da die Bauernräte auf der Landesversammlung der ABRe Anfang März nicht zu Wort gekommen seien, protestieren die Anwesenden dagegen, dass in den Landesversammlungen Beschlüsse im Namen der Bauernräte gefasst werden und fordern die Gleichberechtigung der Bauern- mit den Arbeiterräten. Die Regierung beugt sich ultimativen Forderungen einer Bauerndelegation, stellt Räumlichkeiten im Neuen Schloss Stuttgart zur Verfügung und übernimmt die Kosten des Landes-Bauernrates ebenso wie für den Landesausschuss der ABRe. Am 30. April konstituiert sich endgültig der württembergische Landes-Bauernrat, ohne dass später die Frage geklärt werden kann, wie er zustandegekommen sei. Vorsitzender ist nun der Gutspächter Schiele aus Wurzach, Vorsitzender des Bezirks-Bauernrats Leutkirch, Geschäftsführer der vorige provisorische Vorsitzende Bräuninger aus Saulgau. Auf der ersten Vollversammlung der Bauernräte am 13. Mai in Stuttgart werden Satzungen für die Bauernräte auf den Ebenen der Gemeinde, des Bezirks und des Landes verabschiedet, die aber keine Bedeutung erlangen, da es zu keinen Neuwahlen mehr kommt. Im Sommer verbindet sich der württembergische Landes-Bauernrat mit den badischen und bayerischen entsprechenden Räten zu einer Arbeitsgemeinschaft süddeutscher Landes-Bauernräte. Auf 4. November 1919 beruft der Landes-Bauernrat eine letzte große Versammlung von Bauernvertretern aus allen Oberämtern und allen landwirtschaftlichen Verbänden zusammen mit der Regierung zur Beratung der Ernährungslage ein, der Versammlungen in allen Oberämtern unter Leitung der Oberamtleute folgen sollen173.

Der Reichs-Bauern- und Landarbeiter-Rat, der sich am 3. Dezember 1918 konstituiert, ist anders als der "Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik", von keinem Rätekongress gewählt worden, sondern "die Vorstände der Agrarier-, Bauern-, Landarbeiterverbände bestimmen kraft selbst erteilter Vollmacht, dass sie selbst dieses Zentralparlament sind"174, er ist also ein bloßer Ausschuss der Landwirtschaftsverbände. Der Vorsitzende Schiele des Landes-Bauernrats gehört als gelegentlicher Delegierter dem Reichsbauernrat an. Im Mai 1919 entsteht in Berlin ein konkurrierender Reichs-Bauern- und Landarbeiterrat, der auf den örtlichen und regionalen Bauernräten aufbauen will, aber bald wieder verschwindet175.

In den meisten Fällen beeinflusst der landwirtschaftliche Bezirksverein maßgeblich die Wahl der Bauernräte, sei es, dass der Bezirksverein selbst in seinen Versammlungen die Wahlen durchführt, dass er Delegierte benennt oder wenigstens Wahlvorschläge unterbreitet. Nur in vier Fällen tritt der landwirtschaftliche Bezirksverein nicht in Erscheinung, in Ravensburg, weil es keine Bauernräte gibt, in Friedrichshafen/Tettnang, in Wangen wegen der Wahlumstände und weil danach der Bauernrat passiv bleibt, in Leutkirch, weil der Vorsitzende des Bauernrats seine eigene Politik verfolgt. Das landwirtschaftliche Verbandswesen in Württemberg befindet sich nach der Revolution in einer Phase rascher Neuorganisation. Die landwirtschaftlichen Bezirksvereine sind bisher der staatlichen Zentralstelle für Landwirtschaft unterstellt, die durch die Kriegswirtschaft bei der bäuerlichen Bevölkerung diskreditiert ist. Verschiedene Personengruppen mit divergierenden Interessen bemühen sich um die Schaffung einer neuen unabhängigen Vereinsspitze176. Gleichzeitig werden überall Schwäbische Bauernvereine als neue zentrumsnahe katholische Standesorganisationen gegründet, was alsbald zu heftigen Kontroversen und Polemiken zwischen Bezirksvereinen und Bauernvereinen führt. Man erwartet im November/Dezember 1918, dass die Regierung "aus den Bauernräten die Anfänge einer neuen Vertretung der Bauernschaft" bilden wolle177. Deshalb scheint es wichtig, die neuen möglichen Machtpositionen in den Bauernräten zu besetzen. Die Schultheißen Maunz und Renz, Vorsitzende der Bezirks-Bauernräte Riedlingen und Ehingen (ersterer auch Zentrums-Landtagsabgeordneter), exponieren sich bei der Bildung der neuen Landesorganisation der landwirtschaftlichen Bezirksvereine und werden dafür heftig vom Schwäbischen Bauernverein angegriffen178. Man wirft ihnen eine "bauernbündlerische" Politik vor (der württembergische Bauernbund ist die Partei der protestantischen württembergischen Bauern und bildet zusammen mit der Bürgerpartei die Landesorganisation der DNVP), also eine radikale Interessenpolitik, die das Zentrum mit seiner breiten sozialen Basis nicht treiben kann. Nach der Bildung des Landwirtschaftlichen Hauptverbandes für Württemberg wird der Schultheiß Maunz zum Landesvorsitzenden gewählt, sein Kollege Renz bringt es zum Mitglied des Gauausschusses, der Gutspächter Bräuninger, zweiter Vorsitzender des ABR Saulgau, führt die Geschäfte des neuen Verbands wie auch des Landes-Bauernrats.

Der Vorsitzende des Bezirks-Bauernrats Leutkirch, der Gutspächter Schiele, geht seinen eigenen Weg. Zunächst stellt er sich dem Landesausschuss der Arbeiterräte als antiklerikaler Kämpfer gegen den "Einfluss der Geistlichen" dar, der aber dringend ein Auto für seine Agitationstouren benötige179. Auch später versichert er dem Landesausschuss, dass "die Führer der Mehrheits-Sozialisten Leute sind, mit denen sich ganz entschieden verhandeln lässt"180. Um die Jahreswende 1918/19 gründet Schiele zusammen mit den Bauernräten "in etwa acht Oberämtern des Oberlandes" eine eigene Partei, den "Verein der Landwirte Oberschwabens" und tritt damit bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Landesversammlung im Januar 1919 an, "weil die Führer, wahrscheinlich vom allgemeinen Revolutionskoller ergriffen, ... den Augenblick für gekommen halten, ihre ... Wünsche nach einem politischen Mandat zu verwirklichen". Bei den Wahlen fällt die neue Partei durch, zieht aber zum Ärger des Zentrums diesem Stimmen ab181. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung lässt sich Schiele auf der Liste der rechten württembergischen Bürgerpartei aufstellen, wiederum ohne Erfolg. Bereits im Januar wird ihm eine lohnendere Betätigung vorgeschlagen, "dass die einzelnen Bezirks-Bauernräte einen Landes-Bauernrat wählen würden, der die landwirtschaftlichen Interessen in Stuttgart am Sitze der Regierung vertreten könnte"182. Das dauert dann doch noch Monate, weil man zunächst angenommen hat, die Landwirtschaftskammer würde schneller gebildet. Am 30. April 1919 zum Vorsitzenden des Landesbauernrats gewählt, amtiert er ebenso lange wie der Landesausschuss der ABRe, bis das Finanzministerium Ende März 1920 die Zahlungen einstellt, der Landesausschuss der ABRe sich bereits aufgelöst und die Landwirtschaftskammer ihre Tätigkeit aufgenommen hat. Schiele ist nun bei allen Verbänden wohlgelitten, referiert beim Bauernverein und gehört 1920 dem Vorstand des Landwirtschaftlichen Hauptverbands an.

In der neu errichteten Landwirtschaftskammer sitzen zwölf Landwirte aus Oberschwaben. Von ihnen sind sieben vorher als Bauernräte aufgetreten: die Vorsitzenden aller drei aktiven Bezirksbauernräte: Schiele von Leutkirch mit der höchsten Stimmenzahl aller Oberschwaben, die Schultheißen Maunz von Ehingen (im Vorstand der Landwirtschaftskammer) und Renz von Riedlingen sowie Mitglieder der Bauernräte von Biberach, Wangen und Waldsee und ein weiteres Mitglied des Bauernrats Leutkirch. Schwäbischer Bauernverein und Landwirtschaftlicher Hauptverband nähern sich schon bei den Wahlen zur Landwirtschaftskammer im Januar 1920 einander an und stellen eine gemeinsame Liste auf. 1922 fusionieren beide Verbände. Gemeinderäte, Gemeindeverwaltungen, Bezirksräte, Verbände, kurzfristig Bauernräte, jetzt Landwirtschaftskammer, ein Netz der gleichen Leute, man ist unter sich.

De facto haben wohl die meisten selbständigen Bauernräte im Frühjahr und Frühsommer ihre Tätigkeit eingestellt, als sich die landwirtschaftlichen Organisationsstrukturen konsolidieren, die Bezirksvereine Ortsvereine gründen, auch wenn die Räte im Sommer noch formell existieren. Nur von Leutkirch ist bekannt, dass dort noch im Dezember 1919 der Vorsitzende eine Vollversammlung einberuft. In Waldsee hat der ganze Rat im Frühjahr auf Betreiben des Vorsitzenden seine Aktivitäten eingestellt. In Biberach und Saulgau ist für das zweite Halbjahr nichts mehr von einer Teilnahme der Bauern an den Ratssitzungen bekannt. In Friedrichshafen erscheinen im Juni noch drei Bauern, im Dezember gelten noch 17 Bauernräte als Mitglieder des Rats.

In den Gemeinden wird vielfach getrennt nach kleinen, mittleren und großen Bauern oder nach Berufsgruppen getrennt gewählt. Auf Bezirksebene lässt sich über die soziale Struktur der Bauernräte nur etwas erfahren, wenn die Berufe angegeben sind, was in der Regel nur für die Ausschüsse zutrifft. Von den 21 Ausschusssitzen der aktiven Bezirks-Bauernräte Ehingen, Leutkirch, Riedlingen besetzen Schultheißen und Anwälte (Teilgemeindevorsteher) allein acht Positionen, das gehobene ländliche Gewerbe (Brauer, Müller, Molkereibesitzer) drei, Handwerksmeister mit landwirtschaftlichem Betrieb zwei, den Rest stellen ein Gutspächter und sechs "Nur-Bauern". In Laupheim entsenden in die 20köpfige Vollversammlung des nur formell existierenden Bauernrats die Schultheißen fünf, Gutsbesitzer und -pächter vier, Nur-Bauern neun Vertreter. Zur Farce wird es im ebenfalls inaktiven Wangener Bauernrat, dort bilden die Schultheißen mit zwölf Vertretern von 23 die Mehrheit. Von den 14 Sitzen der Bauernräte in den Ausschüssen der ABRe Biberach und Saulgau nehmen drei die Schultheißen, drei Gutsbesitzer und -pächter, vier ländliche Gewerbetreibende, ein Landwirtschaftsbeamter und drei Nur-Bauern ein. Diese Zusammensetzung ("kein einziger Kuhbauer"183) wird auch in der Presse von Bauern kritisiert. In den Bezirks-Bauernräten dominiert die ländliche Honoratiorenschicht, die ohnehin in den kommunalen Gremien auf örtlicher und Bezirks-Ebene und in den Landwirtschaftsverbänden einflussreich vertreten ist. Auch die einseitige Zusammensetzung des Landesbauernrats "aus fünf Großgrundbesitzpächtern und dem Freund und Kampfgenossen eines solchen" erregt Unmut184.

In der Landwirtschaftskammer sind auch die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer vertreten. Zumindestens auf Bezirksebene gehört keinem oberschwäbischen Bauernrat ein Knecht an (Bäuerinnen, geschweige denn Mägde, auch nicht). Es gibt auch keinerlei Hinweise auf entsprechende Forderungen des Gesindes oder entsprechende Diskussionen unter den Bauern. Da auf den oberschwäbischen Höfen immer nur einzelne, selbst auf den Gütern nur wenige Knechte und Mägde arbeiten, kommt es auch nach 1918 kaum zu gewerkschaftlichen Organisationen in der Landwirtschaft.

Die Bauernräte sehen sich selbst bei allem Anspruch auf Gleichberechtigung mit den Arbeiterräten als unpolitische Interessenvertretung. In Leutkirch findet der Zentrumsabgeordnete Zustimmung mit seinem Verlangen, dass die Bauernräte sich "nur mit Bauern-, also Standes-, aber nicht mit politischen Fragen befassen"185sollen. Doch sind die Hauptziele der Räte, Mitwirkungsrechte bei der verhassten Zwangswirtschaft und Einfluss auf die Preisgestaltung der landwirtschaftlichen Produkte zu erlangen. In der Satzung für die Bauernräte vom Mai 1919 werden als Aufgaben in § 1 formuliert: "1. Erhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe; Förderung der Erzeugung … 2. Mitwirkung bei allen die Landwirtschaft berührenden behördlichen Maßnahmen, bei Erfassung und Schutz der vorhandenen Lebensmittel, … 3. Mitwirkung bei der Aufnahme der entlassenen Kriegsteilnehmer"186.

Konkretere Vorstellungen artikuliert der Ehinger Bauernverein in einer Resolution: "Übernahme der Ablieferung durch die Räte selber, Regulierung der Preise und gewerblichen Produkte, wenn der Wucher und Schleichhandel unterdrückt werden sollen, bessere Versorgung der Bauern mit Licht, Benzol und Elektrizität, eine bessere und billigere Brennholzversorgung, baldige Ablösung der übergroßen Bauerngüter und Fideikommisse, als Ausbau der Bauernräte eine baldige Schaffung von ... landwirtschaftlichen Kammern"187. Dass die Auflösung der Fideikommisse, eine gerade in Oberschwaben populäre und dem Zentrum sehr peinliche Forderung, den Bauernräten übertragen werde, wird weithin erwartet. Damit sollte sich noch viele Jahre der aktive Verband der Fideikommissgemeinden befassen.

Das politische Handeln lässt sich durch das unpolitische Selbstverständnis nicht irritieren, wenn z.B. bei einer Bauernratssitzung in Riedlingen im Zusammenhang mit den Wahlen kräftig gegen die SPD gewettert wird, die "durch ihre Misswirtschaft ... den Ruin bringt ..., durch das geplante Sozialisieren uns das Eigentum zu nehmen ... droht und ... unseren Kindern ... die Religion rauben" wolle188.

Die Hoffnungen auf eine Übernahme der Aufgaben der Kommunalverbände, also der Lebensmittelbewirtschaftung, erfüllen sich nicht. Mangels formeller Kompetenzen können die Bauernräte nichts entscheiden und noch weniger als die Arbeiterräte mitreden. Der Riedlinger Oberamtmann berichtet im Juni, bisher habe der Ausschuss zweimal getagt und dabei Resolutionen an die Staatsregierung über die Art der Getreideablieferung und die Erhöhung der Getreide- und Viehpreise verabschiedet und sich mit den Geschäften des Kommunalverbands befasst189. Im einzigen erhaltenen Tätigkeitsbericht eines Bauernrats zählt der Schultheiß Renz als Vorsitzender des Bezirks-Bauernrats Ehingen auf: "Die Tätigkeit des Bezirks-Bauernrats betreffend, so hat sich derselbe mit der Milchregelungsfrage, mit der Preisregelung für Butter, mit der Ab- und Anlieferung von Getreide, mit den Bestandsaufnahmen, mit der Aufteilung des größeren namentlich herrschaftlichen Grundbesitzes an die Markungs- und Nachbargemeinden, mit der Bildung eines Bezirksausschusses der Arbeiter- und Bauernräte, mit der Tätigkeit der Sicherheitskompanie, mit dem Preis für die Magermilch, mit dem Aufschlag des Lichtpreises ..., mit der Abhaltung von Nutz- und Zuchtviehmärkten, mit der Wiedereinführung der Sommerzeit, mit der Abgabe von Schuhwerk, Arbeitskleidern, Erdöl, Kerzen an die Bezirkseinwohner und mit der Geschäftsführung des Kommunalverbands befasst"190. Über solch bescheidene Praxis macht sich denn auch einmal ein Bauer lustig: "Dass die Ortsbauernräte nun die Nachkontrolle bei der Hühnerzählung übernehmen, kann ... ins beschauliche Bauernratsdasein etwas Abwechslung bringen. Ja, warum soll man nicht mit Kleinem anfangen, besonders wenn's sonst niemand will"191. Der schwäbische Bauernverein findet das gar nicht lustig: es "scheinen bei uns die Bauernräte landauf landab in der Regel überhaupt nichts zu sagen und nichts zu wollen haben"192.

Bei aller Vertretung der Interessen der Bauern gegenüber der Regierung betätigt sich der Landes-Bauernrat auch im Interesse der Regierung und richtet immer wieder Appelle an die Bauern, ihrer Ablieferungspflicht zu genügen: "Wir Bauern wollen uns nicht nachsagen lassen, dass wir nicht das Äußerste getan haben, um die Ernährung der Städte sicherzustellen"193. Eine der letzten Aktivitäten ist die Organisation der großen Bauernversammlung am 4. November über die Bekämpfung des Schleichhandels, wo der Vorsitzende des Landes-Bauernrats zugibt: "So kann es mit unserer Volksernährung nicht weitergehen ... Ohne Rücksichtnahme auf das allgemeine Interesse sucht jeder einzelne unter Umgehung der öffentlichen Versorgung sich Lebensmittel zu verschaffen ... Von den Landwirten aber sind viele ... der Versuchung erlegen und verkaufen an Schleichhändler und Hamsterer ihre Produkte"194. So bestätigen die Oberamtleute in ihren Berichten denn auch, dass sich die Zusammenarbeit mit den Bauernräten im Gegensatz zu den Arbeiterräten erfreulich reibungslos abwickle. In Leutkirch lobt der Oberamtmann zwar den Vorsitzenden Schiele, der ja auch dem Landes-Bauernrat vorsteht, klagt aber über stürmische Szenen in Versammlungen örtlicher Bauernräte, wo "über Oberamt, Ortsvorsteher, namentlich aber dem Kommunalverband gehörig geschimpft und getobt und in erster Linie ... die Aufhebung der Zwangswirtschaft verlangt werde"195.

Über die Zusammenarbeit der Bauernräte mit den Arbeiterräten äußert sich der zweite Vorsitzende in Saulgau positiv: "Im Bezirks-ABR haben wir bis jetzt überhaupt keine Politik getrieben, sondern die Arbeiter und die Bauern haben dieselben Interessen gehabt, Misswirtschaften zu beseitigen"196. Gegen bäuerliche Kritik am allzu radikalen Auftreten des Arbeiterratsvorsitzenden gegen das Oberamt stellt sich der Bauernrat ganz auf die Seite des Arbeiterrats. In Friedrichshafen würdigt der Geschäftsführer des ABR im Juni 1919: "Die Bauernräte haben auch schon eine Fülle positiver Arbeit geleistet. Aufgrund ihrer Anregung gab der Kommunalverband an die Bauern Düngemittel ab. Außerdem wurde die landwirtschaftliche Bevölkerung mit Bekleidungsstücken und anderen Bedarfsartikeln versorgt"197. Im Dezember fällt das Urteil negativ aus: "Die Landwirte, welche zu unserem Arbeiterrat zählen, sind zum größten Teil auch Vertreter des Landes-Bauernrates und spielen ... bewusst oder unbewusst eine klägliche Rolle"198. In Biberach ist der Arbeiterratsvorsitzende ebenfalls nicht zufrieden: "Die Bauernräte auf dem Lande ... lassen sehr wenig von sich hören, sie arbeiten so gut (wie) nichts, sie haben nur zum größten Teil ihr persönliches Interesse im Auge ... bis jetzt haben sie uns nichts geschadet, aber auch nicht viel genutzt"199. Er schwankt dann zwischen Appellen, dass sich die ländlichen ABRe "etwas mehr für die Sache interessieren" sollen200 und der Überlegung, ob "wir ... nach Umständen schlechter fahren, hier auf dem Land als bisher, wenn die Bauernräte überall ins Leben gerufen werden"201.

Die oberschwäbischen Bauernräte waren gewiss keine revolutionären Organe. Die Landbevölkerung hatte das Kriegsende herbeigesehnt, sie hatte ihr Vertrauen in die staatlichen Organe verloren, und sie erwartete ein möglichst rasches Ende der Kriegszwangswirtschaft. Politisch stellte sie sich, wie ihre Partei, das Zentrum, "auf den Boden der Tatsachen", aber ansonsten waren die Bauernräte antirevolutionäre Institutionen. Was die Stuttgarter spartakistischen Räte von den Bauern erhofften, Schritte zur Vergesellschaftung auf dem Lande, genau dagegen okkupierten die Bauernverbände die Institution der Räte. "Man bildete Bauernräte, weil es Arbeiterräte gab"202, als Gegengewicht gegen die Arbeiterräte. Das wesentliche Ziel der Bauern war die Rückkehr zur individualistischen Wirtschaftsweise durch Aufhebung der Zwangswirtschaft oder zumindestens eine vorläufige Übernahme in eigener Regie, das Ziel der Arbeiter eine Verstärkung der kollektiven Bindungen der Wirtschaft. Von der Begehrlichkeit nach Aufteilung der Fideikommissgüter gelang es dem Zentrum rasch abzulenken unter Hinweis, dass dies als erster Schritt auf dem Wege zur Sozialisierung des Grundeigentums geplant sein könnte. Die Revolution bedeutete Gefährdung des staatlichen Schutzes und des Eigentums. Manche Räte forderten deshalb die Aufstellung einer "Bauernwehr"203, ein Wunsch, der im April/Mai durch die Bildung der wohl eher städtischen Reserve-Sicherheitskompanien erfüllt wurde. Die Aufrufe zur Meldung als Freiwillige unterzeichnete auch der Bauernrat Leutkirch.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Arbeiterräten und Bauernräten bestand darin, dass die Arbeiterräte auch als Ausgleich für die unzureichende Repräsentation der Arbeiter in kommunalen und staatlichen Gremien angesehen wurden, also einen Nachholbedarf an Demokratisierung decken mussten, während für die bäuerlichen Interessen kein Defizit an Durchsetzungsmöglichkeit bestand, die Bauernräte also nur über eine weitere Institution Einfluss sichern sollten. Die Arbeiterräte waren andererseits schon im Interesse der Lebensmittelversorgung darauf angewiesen, die Bauern, wenn schon nicht zu gewinnen, so doch einzubinden, indem sie ihre Vertreter so weit wie möglich in die ABRe aufnahmen oder den Kontakt zu den selbständigen Bauernräten suchten. In Gebieten mit absoluter Hegemonie des Zentrums, wie im Oberamt Wangen, konnte diese Interessenabwägung und -harmonisierung auch innerhalb der Zentrumspartei erfolgen. Es gab allerdings auch Versuche, die Bauernräte als Instrumente einer entschiedeneren Interessenpolitik zu nutzen und sich damit dem Kompromissdruck der Partei zu entziehen, wie durch die Vorsitzenden aller drei aktiven selbständigen Bauernräte geschehen. Mit Landwirtschaftlichem Hauptverband und Landwirtschaftskammer gelang es, für die landwirtschaftliche Interessenpolitik bessere Wirkungsmöglichkeiten als vor der Revolution zu schaffen. Die Schwäbischen Bauernvereine als katholische Standesvereine und Zentrums-Vorfeld-organisationen unter Einfluss der Geistlichen erwiesen sich als nicht konkurrenzfähig. Auf Bezirksebene schon mit der Konsolidierung des Verbandswesens, auf Landesebene mit der Landwirtschaftskammer, und mit der laufenden Demontage der Arbeiterräte waren die Bauernräte überflüssig geworden.

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