Elmar L. Kuhn

Revolution und Räte 1918/19


Die Gegner

Die Gegner der Räte, die vordem ungestört herrschenden Organisationen des Bürgertums, fangen sich rasch, überwinden die anfängliche Lähmung nach der Revolution. Der Ravensburger Oberbürgermeister, konsterniert über die Forderungen des Arbeiterrats, fährt sofort nach Stuttgart, spricht mit den sechs Ministern und lässt sich dort bestätigen, dass er weiterregieren kann wie bisher. Anschließend gibt er seinen Einwohnern in einer Anzeige bekannt: "dass die Verwaltung der Stadt Ravensburg ... in der seitherigen Weise weitergeführt und in durchaus ungestörtem Gang gehalten wird. Das bürgerliche Leben nimmt seinen ungehinderten Fortgang auch unter der neuen Staatsordnung"119. Ähnlich, aber knapper, wirken auch andere Stadtvorstände auf ihre Bürger ein, manchmal in der gleichen Ausgabe, in der der Arbeiterrat seine Ansprüche auf Kontrolle anmeldet.

Beginnend eine Woche nach der Revolution bis Anfang Dezember rufen in allen Städten z.T. das Zentrum allein, öfter Zentrum und die beiden liberalen Parteien gemeinsam, ihre Anhänger zu "Massenversammlungen" zusammen, in denen die Positionen der bürgerlichen Parteien formuliert werden. Eine weitere Versammlungswelle folgt Anfang 1919 im Vorfeld der Wahlen. Die alten Führer des württembergischen Zentrums Gröber und Kienle zeigen anfangs durchaus Verständnis für die Revolution, schildern breit Missstände in Heer und Verwaltung als Ursache. Christliche Gewerkschaftssekretäre konzedieren, dass "der Kapitalismus ... Haare lassen muss"120. Andere, feindlichere Töne schlägt die jüngere Zentrumsgarde an, wobei sich vor allem der Abgeordnete Bolz, der spätere württembergische Staatspräsident, als Scharfmacher hervortut, dem manche Redakteure der oberschwäbischen Presse, durchweg Zentrumszeitungen, nacheifern. Drei Argumente wiederholen sich: Das Lob der Leistungen der Truppen im Krieg, im Felde unbesiegt: "Von dem Feinde nicht besiegt, aber von den Freunden verlassen"121. Die Dolchstoß-Lüge vergiftet die Republik von ihrer Gründung an. Dann "stellt man sich auf den Boden der Tatsachen", gebärdet sich als Vernunftrepublikaner, um Schlimmeres, d.h. den Bolschewismus zu verhüten, der den Einmarsch der Siegertruppen zur Folge hätte: "Es kommen die Senegalneger, um Ordnung zu schaffen"122. Schließlich stellt man die Notwendigkeit der Revolution in Frage, macht sie für alle Leiden verantwortlich: "War die Revolution notwendig, um den Militarismus zu beseitigen? Nein! ... War die Revolution notwendig, um dem Volk mehr Einfluss auf die Regierung zu verschaffen? Nein! ... War die Revolution notwendig, um die kaiserliche Gewalt dem Volkswillen zu unterstellen? Nein! ... War die Revolution notwendig, um die Auswüchse des Kapitalismus zu bekämpfen? Nein! ... War die Revolution notwendig, um den bedrückten Arbeitern zu ihren Rechten zu verhelfen? Nein! ... War die Revolution notwendig, um den Frieden mit den Feinden zu bekommen? Nein!"123 Die Revolution sei "ein schweres Verbrechen am Volk"124. "Was ist erreicht? Ein großer Wirrwarr!"125Natürlich geraten auch die Räte ins Schussfeld: Sie "müssen möglichst bald verschwinden ... sie verschwenden die Mittel des Reichs"126. Der Pfarrer von Mengen predigt, wer die unmoralischen Sozialdemokraten wähle, solle ja nie mehr die Kommunionbank betreten. In diesen Reden wird schon das ganze Arsenal an Angriffen aufgeboten, durch die die Republik zerstört werden sollte. Selbst der Antisemitismus fehlt nicht127. Viele dieser Positionen bestimmen die Wertungen der Geschichtswissenschaft noch bis in die 50er Jahre, die weitere Forschung hat sie widerlegt.

Man kann sich vorstellen, wie die Stadt- und Oberamtsverwaltungen reagieren, als plötzlich die Arbeiterräte ihre Kontrollrechte einfordern. Möglichkeiten der Behinderung gibt es genug. Es fängt damit an, dass die Stadtverwaltungen den Arbeiterrat einfach nicht anerkennen, wie in Ehingen. Dann kann man ihm kühl mitteilen, man könne mangels Platz kein Geschäftszimmer einräumen, wie in Ravensburg, so dass sich die Arbeiterräte in einem Gasthof niederlassen müssen. Die Frage, ob sie den Postverkehr des Oberamts kontrollieren dürfen, lässt man erst in Stuttgart klären, wie das Oberamt Ehingen. Was erlaubte Kontrolle und unerlaubter Eingriff in die Verwaltung sei, darüber gehen die Meinungen häufig auseinander. Die Teilnahme an nichtöffentlichen Sitzungen, wie insbesondere des Bezirksrats, verweigert man lange, bis das Ministerium diese Frage im April positiv, aber restriktiv entscheidet, wie für Biberach und in Wangen noch danach. Stadträte behalten sich vor, dem Arbeiterrat das Wort zu erteilen oder nicht, wie in Ravensburg. Der entscheidende Hebel ist ab Dezember die Finanzfrage, denn nun haben die Kommunen ihre Kontrolleure zu bezahlen. Nun will man in Saulgau nur Kontrollen bezahlen, die die Stadtverwaltung selbst angeordnet hat. Man drängt darauf, die Zahl der Kontrolleure, der Funktionäre des Arbeiterrats, immer weiter zu reduzieren, wie in Friedrichshafen und Ravensburg, die Zahl der Sitzungen soll in Friedrichshafen eingeschränkt werden. Über Verfassungstreue eines Arbeiterrats zu entscheiden, maßt sich das Oberamt Tettnang an. Außerdem können sich Stadt und Amtskörperschaft streiten, wer für die Bezahlung aufzukommen habe, da die Satzung diese Frage zunächst im unklaren gelassen hat, und auch später oft schwer zu entscheiden ist, ob eine Kontrolle im Interesse des Bezirks oder der Stadt liegt. Ende 1919, Anfang 1920 drehen die Städte Ravensburg, Weingarten und die Gemeinde Baienfurt den Geldhahn einfach ganz zu, obwohl sie de jure kein Recht dazu haben. Da gibt so mancher Arbeiterrat entnervt eben auf, "denn wir wollen wegen unserer Bezahlung nicht immer die Laufburschen der bürgerlichen Gesellschaft machen"128. Gegen die angeblich astronomischen Kosten der Arbeiterräte finden sich in den Zeitungen immer wieder Polemiken. Richtigstellungen der Räte sind unerwünscht. Selbst ein so unauffälliger Zentrums-Arbeiterrat wie in Wangen muss sich vom Oberamtmann vor die Tür setzen lassen und wird angeschrieen: "Dieses Hineinregieren habe ich satt, das mache ich nicht mehr mit"129. Und auch im Nachbarbezirk Leutkirch hofft der Oberamtmann auf das "Verschwinden der Rätewirtschaft als eine Befreiung von lästigen Fesseln"130.

In Saulgau zeigt sich der Oberamtsvorstand erleichtert, "während das Vorgehen dieses Rats (anfangs)... ein sehr rigoroses und gewalttätiges war, hat sich dieses in letzter Zeit etwas gebessert"131. Überhaupt scheint sich dieser Rat mit seinen weitgehenden, sehr detaillierten Forderungen gegenüber der Verwaltung am erfolgreichsten durchgesetzt zu haben. Dazu verhilft ihm sicher, dass er bei Bedarf seine Basis zu mobilisieren weiß, mehr vielleicht aber noch, dass der Vorsitzende als Amtsgerichtssekretär selbst aus der Verwaltung kommt und mit seiner Kompetenz von der Kommunalverwaltung nicht so leicht mit formalen Argumenten zu entmutigen ist.

Gegen die Obstruktion der Verwaltung sich zur Wehr zu setzen, verlangt Zeit und Nerven. Beschwerden der örtlichen Räte gehen an den Landesausschuss, der leitet sie in der Regel an das Innenministerium weiter, das holt unter Umständen noch Stellungnahmen des Ernährungsministeriums ein, und dann geht die Antwort auf dem Dienstweg zurück. So dauern die Bescheide oft Monate.

Immerhin gibt es auch Ansätze zur Zusammenarbeit. Die Stadtverwaltung Ravensburg begrüßt die Kontrolle der Lebensmittelversorgung im November 1918. Dort treffen sich die Vorstände der Städte Ravensburg und Weingarten, ein Vertreter des Oberamts und Mitglieder des Arbeiterrats in der Regel wöchentlich zu Besprechungen. In Friedrichshafen setzen sich der Stadtschultheiß und ein Arbeiterrat zusammen in den Zug nach Stuttgart, um gemeinsam eine bessere Kohlenversorgung zu erreichen. In Waldsee berichtet der Oberamtmann im Juni, es gebe keine Anstände mit dem Arbeiterrat, der allerdings ohnehin seine Tätigkeit eingestellt hatte. In Riedlingen kann es keine Probleme geben, da der Volksrat nie tätig geworden ist. Am besten scheint die Zusammenarbeit des Arbeiterrats mit den Behörden in Biberach funktioniert zu haben. Dort konstatiert der Oberamtsvorstand im Juni 1919, das Verhältnis zum Arbeiterrat sei "anstandslos"132, und er bedauert im Dezember, als die Biberacher Arbeiterschaft ohne Gegenstimme die Auflösung des Rats fordert: Er hätte "gewünscht", dass der Arbeiterrat wenigstens über die kritische Winterzeit ... noch weiter bestanden hätte, um die Wünsche der Arbeiterschaft zum Ausdruck zu bringen und die Behörden ... unterstützen zu können"133. Leider sei es angesichts der Stimmung der Arbeiter gegen den Arbeiterrat illusorisch.

Die Anfang 1919 aufgestellten Sicherheitstruppen, die vor Gefahren für Leib und Eigentum der Bürger, vor allem aber die Regierung gegen neue Protestbewegungen schützen sollen und über das ganze Land verteilt werden, werden von der Bevölkerung eher als Belästigung empfunden, zumal sie in Oberschwaben vor allem zur Kontrolle der Lebensmittelbewirtschaftung eingesetzt sind. Als sie wieder abziehen, um stärker konzentriert zu werden, weinen ihnen selbst die Zentrums-Zeitungen "keine Träne nach"134. Als sie in Bayern einmarschieren, bejubeln die Zeitungen sie wieder. Nun Ende April, Anfang Mai erfasst angesichts der bayerischen Räterepublik geradezu eine Hysterie das Land, man sieht das Oberland schon von asiatischen bolschewistischen Horden überschwemmt, die plündern, brandschatzen, vergewaltigen. Alle Oberämter und Stadtverwaltungen, sogar die Arbeiterräte Leutkirch, Riedlingen, Saulgau und Wangen rufen zur Bildung von Reserve-Sicherheitskompanien zum Schutz der "Heimat" auf. In Gestaltung und Worten identische Anzeigen in sämtlichen oberschwäbischen Zeitungen betreiben Pogromhetze: "Unerhörtes! Scheußliches! ... Kommunalisierung der Frauen! ... (In Rußland werden die) Frauen und Töchter der Bürger und Nichtkommunisten ... zur Verfügung der kommunistischen Arbeiter in Rudeln zusammengetrieben! (Das soll) die Herrschaft des Spartakus und Bolschewismus euch bringen"135. Diese "Wahnsinnspartei" sei "scheußlicher als Menschenfresser". Nicht nur unterschwellig klingt an, die Revolution sei das Werk dieser "Wahnsinnspartei" und ihrer Sympathisanten gewesen, zwischen Sozialdemokraten und ihren linken Abspaltungen wird da kaum noch unterschieden. Für "tierisches Gesindel" gelten menschliche Gesetze nicht mehr. Die Opfer-Bilanzen der Weimarer Republik sind bekannt.

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