Anfang Dezember 1918 schätzt der SPD-Parteisekretär die Entwicklung noch optimistisch ein: "Im Oberland (gewinnt) der Sozialismus immer mehr Boden"136. Um die Jahreswende 1918/19 brechen die Konflikte über die weitere Entwicklung innerhalb der Arbeiterschaft offen auf, die Gegner weiterer Veränderungen gewinnen an Boden137. In Berlin stützt sich die Regierung auf das Bündnis mit der obersten Heeresleitung und legalisiert die Freikorps. Die zurückkehrenden Feldtruppen werden überall, auch in den oberschwäbischen Städten, und die Kriegsteilnehmer in jeder Landgemeinde als "im Felde unbesiegt" begrüßt und gefeiert. Solange sie noch in den Kasernen bleiben, wenden sie sich meist der SPD zu, zu Hause orientieren sie sich wieder an ihrer Umwelt. Das Bürgertum hat in seinen Versammlungen wieder an Selbstbewusstsein gewonnen und vertraut auf die Wahlergebnisse. Die USPD-Minister scheiden noch im Dezember aus dem Rat der Volksbeauftragten aus, in Stuttgart befördert sie Ministerpräsident Blos im Januar aus der Regierung. Gegen den Stillstand sucht die KPD mit Putsch-Taktik und Verbalradikalismus anzugehen. Die Regierung reagiert mit Aussitzen und Militäreinsatz. In den Januar-Kämpfen in Berlin und Stuttgart werden die politischen Konflikte gewaltsam ausgetragen. In Berlin werden die Führer der KPD ermordet, in Stuttgart verhaftet. Die Wahlen zur National- und Landesversammlung klären die Kräfteverhältnisse138. Im Reich 46 %, in Württemberg knappe 40 %, in Oberschwaben keine 20 % stehen hinter beiden Arbeiterparteien. Immerhin wählen in den Städten Friedrichshafen, Laupheim und Weingarten ein Drittel, in Biberach, Ravensburg, Saulgau, Tettnang und Wangen zwischen 20 % und 25 % die SPD. Nur eine verschwindende Minderheit billigt die Politik der USPD, die die Revolution energischer weitertreiben will.
Im Frühjahr wächst die Unzufriedenheit unter den Arbeitern. Den Fabriken fehlen Kohle und Rohstoffe, die Arbeitslosen nehmen zu, der Regierung wird "Pantoffelpolitik" vorgeworfen. In Soldatenversammlungen in Weingarten haben der Friedrichshafener SPD-Arbeiterrat Hertlein Gelegenheit für und der Ravensburger USPD-Arbeiterrat Mathiesen Gelegenheit, gegen die Regierung zu reden. Der Ravensburger überzeugt nur eine Minderheit. Unmittelbarer Anlaß für eine neue Streikbewegung ist die Forderung nach Freilassung der im Januar verhafteten KPD-Führer. Getragen wird die Bewegung vom Wunsch, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Der Ravensburger ASR übermittelt schon im Januar 1919 einen Protest an die Parteivorstände, "dass eine Einigung zwischen den beiden Richtungen der sozialistischen Partei unter allen Umständen herbeigeführt wird", gegebenenfalls "über die Köpfe der Führer" hinweg139. So bildet sich in Stuttgart ein „Aktionsausschuss des geeinigten Proletariats" unter maßgeblichem Einfluss der USPD, aber auch partieller Unterstützung der SPD, der Anfang April den Generalstreik ausruft. Dessen Aktionsprogramm greift hoch: "Vollständige Beseitigung des Kapitalismus ... 1. Schaffung eines sozialistischen Gemeinwesens auf der Grundlage des Rätesystems … 2. Auflösung der Sicherheits-Kompanien … 6. Vergesellschaftung ... des Großgrundbesitzes ... und aller geeigneter Betriebe"140
In Oberschwaben schließen sich außer den Friedrichshafener nur die Ravensburger Arbeiter vom 2. bis 7. April 1919 dem Generalstreik an, um gegen den "schmählichsten Verrat am revolutionären Proletariat" zu protestieren141. Der Arbeiterrat ist gespalten, die aktiven USPD-Mitglieder übernehmen die Streikleitung, der SPD-Arbeiterratsvorsitzende und die Gewerkschaften erklären sich mit Stadtverwaltung und Firmen entschieden dagegen. In Saulgau lehnen die Arbeiter eine Beteiligung am Generalstreik ab, Gewerkschaften und Arbeiterrat besetzen die Turnhalle, um über eine Reihe von Forderungen an die Stadtverwaltung abstimmen zu lassen.
Am 1. Mai, erstmals staatlicher Feiertag, findet man in den meisten Städten wieder parteiübergreifend zusammen: SPD, USPD, Gewerkschaften, Arbeitervereine. In Biberach vereinigen sich sogar bürgerliche Kollegien, Zentrumspartei, KPD mit roter Fahne, SPD, konfessionelle Arbeitervereine, Gewerkschaften, Fleischergesellen, Veteranen und andere Vereine zu einem gemeinsamen Festzug. "Sämtliche Festteilnehmer werden geschmückt mit einem Festzeichen, einer kleinen roten Fahne". Der Redner der KPD nutzt die Gelegenheit zu einer Brandrede: "Wo ist die Freiheit, wo der Friede, wo das Brot? ... die sozialistische Regierung mordet die Arbeiter"142. Nur in Ravensburg und Weingarten feiert man getrennt, in Ravensburg die USPD und der "Aktionsausschuss des (nicht mehr) geeinigten Proletariats", in Weingarten SPD, Gewerkschaften und Soldatenrat143.
Die Einigkeit zerbricht auch anderswo rasch wieder. Die Zeitungen der Folgetage füllen Anzeigen mit Aufrufen zum "Kampf gegen den Bolschewismus" und zum Eintritt in die Reserve-Sicherheitstruppen, die die Sicherheitskompanien im Bedrohungsfall unterstützen sollen. Die Reserve-Sicherheitstruppen betätigen sich in der Folge besonders im geistigen Kampfeinsatz, sie übernehmen diese Aufgabe von den Soldatenräten und Sicherheitskompanien, die seit dem Frühling besondere Propagandabeauftragte aufgestellt haben. Im Sommer drängt der Hauptmann des Weingartner Bezirksstabs der Reserve-Sicherheitstruppen: "Wir müssen das Oberland mit Flugblättern überschwemmen", um "der nicht ernst genug einzuschätzenden bolschewistischen Bewegung endlich auch geistig mit Nachdruck begegnen zu können"144. Die Titel der in x-tausenden verbreiteten Flugblätter klingen denn auch recht stereotyp: "Das wahre Gesicht des Bolschewismus", "Die Bilanz des Bolschewismus", "Aus dem Leben des Bolschewismus" etc. So steht auf der einen Seite bis in den Sommer 1921 das aufgerüstete Bürgertum in Reserve-Sicherheitstruppen und ihren Nachfolgern, den Einwohnerwehren, verstärkt durch die "Polizeischar" in Friedrichshafen. Auf der anderen Seite lösen sich im Sommer die revolutionären Institutionen auf, die Soldatenräte verschwinden mit dem Neuaufbau der Reichswehr, die Arbeiterräte führen im zweiten Halbjahr 1919 mit dem Ausscheiden der USPD nur noch eine Schattenexistenz. Gegen die Teuerung wenden sich eine Vielzahl von Streiks und Demonstrationen, jetzt auch in kleineren Städten wie Ehingen und Laupheim.
Der Kapp-Putsch signalisiert, wie stark sich die alten Machtgruppen bereits wieder fühlen. Auch die Offiziere der Reichswehr in Württemberg sympathisieren mit den Putschisten. In Friedrichshafen und Ravensburg organisieren die Gewerkschaften einen zweitägigen Generalstreik, der in Ravensburg fast zu Zusammenstößen mit der Einwohnerwehr führt. Doch auch diese letzte Chance, entschlossen eine demokratische Erneuerung durchzusetzen, wird vertan. Die Juniwahlen 1920 enthüllen, wie sehr die Arbeiter ihr Vertrauen in die SPD verloren haben. Während die Stimmen für alle Arbeiterparteien zusammen nur wenig hinter den Zahlen vom Januar 1919 zurückbleiben, wählt nun etwa die Hälfte der vorigen SPD-Wähler die USPD oder KPD. In Ravensburg sinkt der Anteil der SPD auf ein Drittel, in Weingarten auf ein Fünftel, in Friedrichshafen auf weniger als die Hälfte145. "Aus dem Ausbleiben der erwarteten Demokratisierungsmaßnahmen (wurde) die Notwendigkeit der Sozialisierung als Voraussetzung einer jeden Demokratisierung gefolgert ... Was die Bewegung an Radikalität gewann, verlor sie an Breite"146.
In einer neuen Welle von Teuerungsdemonstrationen in allen württembergischen Städten im Juni 1920 eskaliert der Protest in Ravensburg am 22. Juni zum Sturm auf das Oberamt. Als die Räume des für die Lebensmittelversorgung zuständigen Kommunalverbands demoliert werden, ruft der Oberamtmann die Reichswehr aus Weingarten, die, erst "vor einigen Tagen als 'Sieger' von den Ruhrschlachtfeldern heimgekehrt"147, MG-Salven in die Menge feuert, zwei Personen tötet und viele schwer verwundet. Über Wochen herrscht große Erregung in der Stadt, immer wieder kommt es zu Schießereien, die nochmals einen Toten und Verletzte fordern. Kaum hat sich die Situation etwas beruhigt, folgt im August 1920 der große württembergische Generalstreik gegen die Einführung des Lohnsteuerabzugs. Während sich die Friedrichshafener Arbeiter nicht mehr beteiligen, treten in Ravensburg teilweise auch die Mitglieder der christlichen Gewerkschaften über zwei Wochen in den Streik unter der Führung eines "Aktionsausschusses der revolutionären Betriebsräte", weil sich Arbeiterparteien und Gewerkschaften völlig über die Erfolgsaussichten des Streiks zerstritten haben. Nach der erneuten Niederlage greift "eine allgemeine Enttäuschung Platz"148. Nur die Behörden fürchten weiterhin, das Oberland könne "sehr leicht ein Brandherd gefährlichster Art werden"149.
Im Sommer 1921 werden erneute Teuerungsdemonstrationen gemeldet, im Herbst und Winter 1921/22 kleinere Streiks. Den Angriff auf eine der wichtigsten sozialen Revolutionserrungenschaften, den 8-Stunden-Tag, wagen die Arbeitgeber im Frühjahr 1922 mit einer Totalaussperrung der Arbeiter der Metallindustrie, der wichtigsten Industriebranche in Süddeutschland. Diesmal wollen sogar die christlichen Gewerkschaften nicht nachgeben, die seit 1918 noch jeden Streik verurteilt haben. In Oberschwaben sind vor allem Firmen und Arbeiter in Friedrichshafen, Ravensburg, Weingarten und Biberach betroffen. Aber nach acht Wochen bricht der Widerstand zusammen, die Unternehmer setzen sich im größten Arbeitskampf in der Geschichte der Region durch und klären, wer wirklich die Macht hat150. Die Zahl der Demonstrationen und Streiks geht nun merklich zurück, die Protestversammlungen gegen den Rathenau-Mord 1922 wie schon gegen den Erzberger-Mord 1921 muten ratlos an.
Bei einem erneuten Protest gegen die Lebensmittelteuerung kommt es am 19. September 1923 in Biberach zu militanten Auseinandersetzungen. Arbeiter unter kommunistischer Führung zwingen die Bauern auf dem Markt, ihre Lebensmittel zu niedrigeren Preisen zu verkaufen. Eine Schießerei der Bürgerwehr kann gerade noch vermieden werden. Je nach Wertung werden die Vorgänge harmlos als "Göckeles-Mittwoch", als Marktkrawall oder schaudernd als kommunistischer Putschversuch bezeichnet151. Im Herbst 1923 rüsten sich Bürger und Arbeiter in mancher Stadt für den Bürgerkrieg. Im Oktober verhaftet die Staatsregierung die KPD-Führer des Oberlandes und bringt sie in das Schutzhaftlager auf dem Heuberg. Die Nationalsozialisten können Listen und Lager nach 1933 wiederverwenden.
1924 nach der Währungsreform ist die Aussicht auf Veränderung geschwunden, die Arbeiter resignieren, viele verlassen ihre Organisationen. Die SPD hat ihre Mitgliederzahl 1919 gegenüber der Vorkriegszeit von ca. 350 auf ca. 2500 vervielfachen können. Über oder um 100 Mitglieder zählen die Ortsvereine Aulendorf, Buchau, Friedrichshafen (290), Langenargen, Laupheim (150), Saulgau, Tettnang, Wangen (170), Weingarten. Ein Drittel der Mitglieder verlässt die Partei schon bis 1921, 1924 sind mit ca. 800 noch ein Drittel übriggeblieben, etwa doppelt so viel wie 1914152. Leider liegen für die USPD und KPD kaum örtliche Zahlen vor. Zur Ortsgruppe Friedrichshafen der USPD sollen im Frühjahr 1919 320 Mitglieder gehört haben, größere Ortsgruppen müssen auch in Ravensburg, Buchau und Wurzach bestanden haben153. Die württembergische KPD fällt 1924 auf die Hälfte ihres Mitgliederbestandes von 1921/22 zurück. In der Verwaltungsstelle Friedrichshafen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes verbleiben von 2100 Mitgliedern 1921 noch 400 Organisierte im Jahr 1924154.