Eine der wichtigsten Forderungen der Friedrichshafener Demonstranten vom 5. November ist die Einführung des Rätesystems. Die Räte als Alternative zu Parlament und Regierung und als Organe einer Basisdemokratie mit den Betrieben als Einheiten von Willensbildung und imperativem Mandat sollen eine unmittelbarere Verbindung zwischen Mandatsträgern und Basis sicherstellen. In der ersten Kundgebung der württembergischen provisorischen Regierung vom 09.11.1918 werden die Arbeiter-und Soldatenräte zwar erwähnt, aber nichts über die Kompetenzen ausgesagt, im zweiten Aufruf vom 11. November beansprucht die provisorische Regierung "die gesamte öffentliche Gewalt" für sich22. "Real habe sich die Macht nach Ansicht des Vorsitzenden der Regierung Blos von selbst so verteilt, dass der ... Regierung die Exekutive, dem Arbeiter- und Soldatenrat die Kontrolle zuviel"23. Erst am 14. Dezember erlassen Regierung und Vollzugsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrats "Satzungen für die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte Württembergs". Zwar werden die Räte vollmundig als "revolutionäre Grundlage des neuen Regierungssystems" bezeichnet, doch sind sie nur "von den staatlichen und Gemeindebehörden bei den auf die öffentliche Wohlfahrt betreffenden Maßnahmen neben den Vertretern der Gewerkschaften zur Mitarbeit zuzuziehen; sie kontrollieren die Durchführung der ... getroffenen Maßnahmen". Sie haben "jeden Eingriff in die staatliche oder kommunale Verwaltungstätigkeit" zu unterlassen24.
Nach späteren Angaben der Akteure wurde der Friedrichshafener Arbeiterrat "schon längere Zeit vor Ausbruch der Revolution ... ins Leben gerufen"25. Bei der Streikversammlung am 5. November wählen die anwesenden 4.000 Arbeiter durch Zuruf einen 32köpfigen Arbeiter- und Soldatenrat, der wiederum 10 Personen in das Exekutivkomitee entsendet. Nach der Revolution konstituiert sich der Rat neu, nun quasi legal. Nach dem Abschluss aller Zuwahlen in Beamten- und Angestelltenversammlungen und in den Oberamtsgemeinden umfasst die Vollversammlung über 80 Mitglieder, darunter 40 Vertreter der Arbeiter, 7 der Angestellten, 7 Beamte, etwa 34 Bauernräte als Vertreter der Landgemeinden und einen Soldatenrat. Damit haben sich in Friedrichshafen Vertreter aus fast allen Oberamtsgemeinden und die verschiedenen Arbeitnehmergruppen zu einer gemeinsamen Räteorganisation zusammengefunden, allerdings keine Selbständigen aus der Stadt. In Friedrichshafen sitzen "neben dem Mann in der Werkstatt höhere Beamte, Rechtsanwälte und Lehrer"26. Diesem breiten Vertretungsspektrum entsprechend nennt sich der Rat offiziell ab Januar 1919 "Bezirks-Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat". Meist werden allerdings verschiedene Kurzformen verwendet. Die Vollversammlung tagt zunächst wöchentlich, später alle 14 Tage im "Seehotel"; nach dem Frühjahr 1919 werden die Sitzungen seltener.
Unmittelbar nach der Revolution bildet der Rat für seine verschiedenen Aufgaben Kommissionen: für die Presse, den Grenzschutz, Telegraf und Post, Eisenbahn und Verkehr, Lebensmittelversorgung, Militär und Gemeindekontrolle, an der Spitze den Vollzugsausschuss. An deren Stelle treten im Dezember fest bezahlte Funktionäre, zunächst 9 mit 3 Schreibfräuleins, ab Februar nur noch 4, von denen einer in Tettnang das Oberamt kontrolliert. Gegenüber der Kontrolle der Verwaltung tritt bald die Mithilfe bei der Lebensmittelversorgung und der Wohnraumbewirtschaftung in den Vordergrund. Dadurch lassen sich die Arbeiterräte in die Verantwortung einbinden, an der Bewältigung der Kriegsfolgen mitzuarbeiten.
Einen immer größeren Teil ihrer Energien müssen die Räte aber schließlich für den Kampf um ihre Existenz aufwenden. Finanziert werden sie zunächst von Stuttgart aus. Mit 15.000 RM erhält Friedrichshafen nach Stuttgart die zweitgrößte Summe eines lokalen Rates, ein Indiz, welche Bedeutung der Industriestadt am See zugemessen wird. Aber als ab Dezember die lokalen Behörden die Kosten zu tragen haben, womit die zu Kontrollierenden ihre Kontrolleure zu bezahlen haben, benutzen sie diese Möglichkeit sofort, den Räten das Leben schwer zu machen. In immer erneuten Schreiben kritisiert insbesondere der Oberamtmann die Zahl der Funktionäre und Sitzungen und die Höhe der Tagegelder. Immer wieder setzen die Zahlungen aus, so dass die führenden Räte auch privat "durch diese Schlamperei in die größte Notlage versetzt"27 werden.