Elmar L. Kuhn

Die österreichische Provinz des Paulinerordens


Differenzen

Zu einer so tiefgreifenden Entfremdung wie der schwäbischen Provinz, die sich 1760 vom Orden trennen wollte, kam es in der österreichischen Provinz nie. Zwei nennenswerte Konflikte sind dokumentiert. 1720 entspann sich ein Streit zwischen dem Provinzialprior und dem Generalprior um die Frage, ob der Provinzialprior seinem Vizeprovinzial gewisse Rechte im Konvent Mährisch Kromau gegenüber dem dortigen Prior einräumen dürfe. Der Generalprior beharrte gemäß den Konstitutionen auf der Position, dass von der Unterordnung eines Vizeprovinzials unter den Prior keine Ausnahmen möglich seien. Der Provinzialprior erklärte gekränkt, dadurch „declaror imperitus legum et consequenter ad regendam provinciam inidoneus“134und legte nach einem ausgedehnten Schriftwechsel schließlich 1723 sein Amt nieder.

Länger zog sich der Streit um die Bärte hin. Die Konstitutionen schrieben vor: „In barbis cultum more saecularium prohibemus“.135In Erinnerung an die eremitischen Anfänge „patres nostri … more eremitarum semper nutriebant barbas prolixiores“. Ende des 17. Jahrhunderts begannen einige Patres, sich zu rasieren. „Quo viso … timens ne fors hodie hoc, cras altero laxato recedendo a statutis et veteri consuetudine“, ordnete der Generalprior 1690 strikt wieder das Barttragen an. Dieses Dekret sei bis zur Bildung der kroatisch-österreichischen Provinz, befolgt worden. 1701 beschloss der neue Provinzialprior Ferdinand Kienczl, „natione Germanica“ … cum prioribus suae nationis …, quod omnes patres Germani … barbas totaliter deposuerint, ad admirationem non solum totius ordinis, verum etiam scandalum saecularium“. Das Generalkapitel schärfte zwar 1702 nochmals die Pflicht zum Barttragen ein, aber ohne Erfolg, die Österreicher begründeten ihren Widerstand u.a. damit, sie wollten nicht „ob barbas pro Judaeis haberentur“. 1710 folgten auch die schwäbischen Patres dem Beispiel ihrer österreichischen Mitbrüder und rasierten ihre Bärte ab. Auch eine erneute Debatte auf dem Generalkapitel von 1715 brachte keine Lösung. 1718 fasste die österreichische Provinz ihre „motiva“ zusammen:136

  • Ursprünglich sei das Tragen eines Bartes den Konventualen freigestellt gewesen und die meisten Deutschen hätten keinen getragen.

  • „Gravissimos iam despectus tum Viennae, tum Pragae et alibi ob nutritionem barbarum“ hätten sie zu erleiden.

  • Man würde sich insbes. vor den „magnatibus Graecensibus, … pariter a Viennensibus, Pragensibus et Brunnensibus“ lächerlich machen, würde man nun wieder zu den Bärten zurückkehren.

  • Bärte seien „contra morem patriae“, folglich würden sie keine Novizen mehr bekommen, wenn diese Bärte tragen müssten.

  • Die Konventualen, die seit Bildung der Provinz die Profess abgelegt hätten, könnten nicht zum Tragen von Bärten verpflichtet werden, da dies nicht Brauch der Provinz gewesen sei.

  • Auch in anderen Orden gebe es unterschiedliche Bräuche der verschiedenen Provinzen, so trügen die Benediktiner in Ungarn Bärte, aber nicht in Deutschland (Kein passendes Beispiel, da die Benediktinerklöster autonom waren, und keiner zentralistischen Leitung unterstanden).

Auf dem Generalkapitel 1757 wurde die Frage wieder diskutiert, wobei die Österreicher dafür plädierten, jede Provinz solle die Frage in eigener Zuständigkeit regeln. Erst 1775 entschied das Generaldefinitorium auf Vorschlag des Erzbischofs von Wien als Kardinalprotektor und Praeses des Generalkapitels, die Entscheidung den einzelnen Provinzen freizustellen. Das Wort führten in diesem Konflikt immer die Vertreter der österreichischen Ordensprovinz, die ja auch in der Ordensleitung präsent waren. Die schwäbischen Pauliner, die nur gelegentlich bei den Generalkapiteln auftauchten, blieben in dieser Frage immer im Windschatten der Österreicher.

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