Keine der Konstitutionen des Paulinerordens bis ins 20. Jahrhundert enthält explizite Aussagen über das Selbstverständnis und damit die Spiritualität dieses Ordens. Es fehlen auch theologische Reflexionen und biblische Bezüge. Wenn Papst Paul II. die Orden zur „Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe jedes Instituts“1ermahnt, haben es die Pauliner schwer, dieser Aufforderung nachzukommen. Denn ihre „Spiritualität der Gründungszeit“2ist kaum zu fassen. Mehr als ein halbes Jahrhundert dauert es, bis sich der Orden rechtlich formieren kann3. Die ersten drei bischöflichen Regeln setzen sehr verschiedene Akzente4. Die erste Regel von 1215 bleibt ganz allgemein, die zweite von 1263 orientiert sich an der Ordnung der Kanoniker, da die „alten Väter“ keine für „alle Eremiten gleichermaßen verbindlichen Statuten“ hinterlassen hätten. Die dritte Regel von 1297 spricht zwar zu den „Männern, die ein eremitisches Leben in Höhlen und in der Einöde ... führen“, betont aber die monastischen Züge. Die beiden Fassungen der Ordenskonstitutionen um 1370 und um 15005sind sehr unsystematisch angelegt und fallen weit hinter die Regelwerke anderer Orden zurück. Selbst noch die nachtridentinischen Konstitutionen von 1643 und 17256verzichten auf explizite Aussagen zum Selbstverständnis. Die Spiritualität des Ordens läßt sich nur indirekt aus den Einzelbestimmungen erschließen, ohne ein scharfes Profil zu ergeben, da der Orden immer Elemente der Lebensweise von Eremiten, Regular-Kanonikern und Mönchen zu verbinden versuchte7. Welche Schwierigkeiten der Orden selbst hatte, ergibt sich aus der Anfrage von 1769, auf die hin Papst Clemens XIV. die Pauliner als Mönchsorden bestätigt8. Kaspar Elm meint sogar, die „Verbindung von Vita eremitica und Cura animarum in einem monastischen Orden mit mendikantischer Organisation schuf eine Kalamität, an der der Orden bis heute leidet“9.
Da die grundlegenden Satzungstexte des Paulinerordens bei der Bestimmung einer ordensspezifischen Spiritualität nicht sehr hilfreich sind, versuchen die Beiträge des von St. Swidziński 1999 herausgegebenen Bandes über die Spiritualität der Pauliner durch den Bezug auf Praxisformen, auf die Verehrung des Ordenspatrons, Frömmigkeitsformen, Homiletik, Publizistik, Ausbildung etc. Elemente der Ordensspiritualität genauer zu fassen. Die Visitation scheint demgegenüber ein eher indirekter Weg zu sein, da sie ja in erster Linie die Abweichungen vom Ordensideal registriert. Aber die Kritik der Realität erschließt immer auch das Ideal als Bezugsnorm.
Das Lexikon für Theologie und Kirche definiert Visitation als „persönliche Besichtigung kirchlicher Einrichtungen durch den zuständigen Oberen oder seinen Beauftragten zur Einsichtnahme in deren Zustand und zur Feststellung etwaiger Mängel sowie deren Beseitigung“10. Ordensintern setzen die Zisterzienser erstmals die Vistiation „ad vitiorum correctionem et caritatis conservationen“11ein. Das 4. Laterankonzil schreibt 1225 allen exemten Orden regelmäßige Visitationen „juxta morem Cisterciensium“12vor. Perfektioniert haben die Kartäuser die Visitation mit einem „genau geregeltem System permanenter Überwachung“13. Sie haben in der strikten Handhabung der Visitation den Garanten dafür gesehen, daß ihre „ursprüngliche Zielsetzungen und Wertvorstellungen ... immer lebendig“ blieben14.