Elmar L. Kuhn

Die österreichische Provinz des Paulinerordens


Das Generalkapitel

Von 21 Generalkapiteln des 18. Jahrhunderts sind verwertbare Protokolle überliefert, bei 15 Kapiteln werden die Vertreter der österreichischen Provinz namentlich benannt. Zu fast allen Kapiteln reisten der Provinzialprior mit seinem Sekretär sowie die beiden „discreti“ an. Nur in einem Fall wurde der verstorbene Provinzialprior von einem „ablegatus“ vertreten und einmal fehlte der „condiscretus“. Gegenüber dieser fast vollständigen Präsenz der österreichischen Provinz fällt die schwäbische Provinz weit ab. Zu keinem Generalkapitel nahmen vier Personen, wie eigentlich für jede Provinz vorgeschrieben, die weite beschwerliche Reise auf sich, zu einem einzigen Kapitel schickte die schwäbische Provinz drei Patres, zu sechs Kapiteln zwei, bei zehn Kapiteln benannte sie einen „ablegatus“ einer anderen Provinz, bei acht Kapiteln war sie nur durch den „ablegatus“, also kein Mitglied der eigenen Provinz vertreten. Ohne Vertretung in der Ordensleitung und mit einer so viel geringeren Präsenz bei den Generalkapiteln konnte die entlegene schwäbische Provinz keinen nennenswerten Einfluss auf die Führung des Ordens erlangen.

Die Generalkapitel des 18. Jahrhunderts fanden alle in Maria Tal (Marianka) statt nördlich von Pressburg (Bratislava), damals in Nordungarn, heute in der Slowakei. Wegen des ungarischen Aufstandes wagte man 1708 nicht, ein Generalkapitel in Maria Tal einzuberufen und beraumte nur eine Sitzung des Generaldefinitoriums in Wiener Neustadt an. Auch für das nächste Jahr hielt man es noch für zu riskant, das Kapitel in Maria Tal tagen zu lassen und erwog Wiener Neustadt ausnahmsweise als Ort des Kapitels. Das lehnte die damals noch vereinte kroatisch-österreichische Provinz strikt ab, da sie damit finanziell zu stark belastet würde und der Platz in Wiener Neustadt nicht reiche. Stattdessen schlug sie Wondorf (Sopronbánfalva) in Ungarn am Neusiedler See vor. Da sich die Niederlage des Aufstands bereits abzeichnete, konnten sich die Kapitularen dann doch in Maria Tal treffen.

Abgesehen von der Beteiligung an den Wahlen hatten die Vertreter der Provinzen drei Möglichkeiten, ihre Interessen bei Sachfragen einzubringen: bei den vorgeschriebenen Berichten der Provinzialprioren und der „discreti“ „de profectu, vel defectu provinciarum“, durch Einbringen ihrer „postulata“ und ihre Stellungnahme zu anderen besprochenen Sachfragen, insbes. wenn sie die eigene Provinz betrafen.

Dabei sahen sich die österreichischen Patres anders als die Schwaben stets Mitgliedern der eigenen Provinz in der Ordensleitung gegenüber, die die Verhältnisse ihrer Provinz gut kannten. Von 20 Generalkapiteln liegen Berichte der Provinz in Kurzform vor. Diese Berichte der österreichischen Provinz fielen ähnlich wie der schwäbischen Mitbrüder meist stereotyp und sehr positiv aus. 1718 berichtete der Provinzialprior, „se nihil de sua provincia sinistri habere, siquidem spiritualia omnia bene current, … quoad temporalia provinciam suam bene proficere“, 1721 noch knapper, dass „suam provinciam tam in locis, quam in subjectis proficere“, 1738 dass „nihil relatione dignum in oppositum se referre posse, quam cuncta per Dei gratiam prospere in ea aguntur in spiritualibus, in temporalibus etiam eiusmodi defectus non constare sibi, qui notabiles essent“, 1757, dass „in provincia omnia in pace et observantia esse“. 1760 konnte der neugewählte Generalprior Löderer selbst vermelden, „in provincia Austria disciplinam et observantiam Deo benedicente florere“ und noch 1778 hieß es, dass „observantiam ac mutuam fraternam charitatem inter suos vigere“. Probleme wurden fast nur äußeren Einflüssen angelastet, so von 1736 bis 1763 regelmäßig die hohen Kriegs- und Kontributionslasten beklagt. 1742 seien „ex occasione modernorum bellorum notabilia damna fuisse provinciam perpessam. Conatur nihilominus pro possibili ad regularem observantiam fratres reducere.” 1751 wurde wegen der “tempora ferrea ac exactiones intollerabiles” erwogen, die Zahl der Mönche in der Provinz zu reduzieren.133

Im 17. Jahrhundert vor Gründung der Provinz, als noch die Prioren der einzelnen österreichischen Klöster am Generalkapitel teilnehmen konnten, benannten sie sehr konkret Probleme ihrer Konvente in ihren „postulata“. Insgesamt sind 173 Einzelanträge dokumentiert. Von ihnen betrafen 87 finanzielle Fragen, 41 Personalprobleme, 17 Fragen der Ordensverfassung und zehn die Feier des Offiziums. Dagegen nutzten die „discreti“ der Provinz diese Möglichkeit nach 1700 kaum mehr. 1709 brachten sie immerhin noch sieben Punkte vor und baten um Klärung, wovon aber sechs Präzedenzfragen einzelner Amtsträger im Konvent betrafen und einer eine Frage des Wahlrechts im Provinzkapitel. Von 1712 bis 1757 trugen sie bei sechs Generalkapiteln nur noch jeweils ein Anliegen vor, vier davon betrafen den Termin des Provinzkapitels, eines die Bitte um Erhalt der Bruderschaft zu den fünf Wunden Christi in Wiener Neustadt und eines die Verwendung eines Erbes des Generaldefinitors Löderer. Vielleicht ließen sich auf dem „kurzen Dienstweg“ über den österreichischen Generaldefinitor manche Probleme schneller und informeller in die Ordensleitung einbringen und lösen. Die Schwaben trugen dagegen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts umfangreiche „postulata“ vor, die u. a. Fragen des Chorgebets, das Fasten, die Provinzverfassung und das Studium betrafen. Nachdem ihnen ein Indult des Luzerner Nuntius etliche Anliegen erfüllt hatte, verzichteten auch sie weitgehend auf Anträge an das Generalkapitel.

Bei nur wenigen Tagesordnungspunkten wurden spezifische Probleme der österreichischen Provinz behandelt, dabei ging es um die Säkularisierung eines Patres, einen Wechsel von der ungarischen zur österreichischen Provinz, die Verteilung eines Erbes, die Resignation eines Priors, vor allem aber um einen Streit nicht um des Kaisers, sondern der Mönche Bart. Davon später.

Am Schluss eines Generalkapitels wurden die Namen der Wohltäter und „confratres“ des Ordens verlesen, für die jeder Pater jährlich drei Messen zu lesen hatte, für die verstorbenen Wohltäter und „confratres“ drei weitere. Die nach Provinzen gegliederte Liste von 1724 führte 18 Namen von Wohltätern auf, an der Spitze die Erzbischöfe von Wien und Salzburg, den Fürsten von Liechtenstein, den mit ihm verschwägerten Herzog von Holstein, die Fürstin von Eggenberg, die Grafen von Khevenmüller, Attems, Wurmbrand, Morell, die Barone Leslie, Stubenberg, Lamberg, Heidern, Zierenfeld, Reden, Franz Kaspar Conduzzi, die Amtsträger der Bruderschaft der 72 Jünger Christi und den Pfarrer von Hernals, vor allem eine illustre Adelsgesellschaft, die meisten wurden bereits als Stifter genannt. Die schwäbische Provinz konnte dagegen nur fünf Wohltäter benennen, außer dem Grafen von Montfort als Landesherr des Klosters Langnau nur Bürger: den montfortischen Münzmeister als Vater eines späteren schwäbischen Provinzialpriors, den Postmeister von Lindau, den Schultheiß von Kiebingen beim Kloster Rohrhalden und einen begüterten Rottenburger Bürger, ebenfalls Vater eines späteren Provinzialpriors. Damit zeichnet sich der unterschiedliche soziale Hintergrund der österreichischen und der schwäbischen Klöster klar ab. In der wesentlich kürzeren Liste der aller Gnaden der Ordensangehörigen teilhaftigen „confratres“ tauchen als schon bekannte Namen der Graf von Wagensberg als Fürstbischof von Chiemsee, ehemals Seckau, der Baron Leslie und der montfortische Münzmeister auf. Die Personen dieser nicht nach Provinzen gegliederten Listen lassen sich schwer einzelnen Provinzen zuordnen, sie enthalten auch überwiegend geistliche Personen.

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