Ich resümiere die festgestellten Unterschiede zwischen der schwäbischen und der österreichischen Provinz des Paulinerordens:
Die Gründungen von Paulinerklöstern im heutigen Österreich beginnen fast ein Jahrhundert später als in Schwaben. Die zweite Gründungswelle der Barockzeit in Österreich findet in Schwaben keine Parallele.
Die schwäbischen Klöster liegen entsprechend der Gründungsspiritualität der Pauliner als Eremitenorden meist abseits von Siedlungen, während die österreichischen Klosterbauten meist in Städten oder Marktflecken errichtet werden.
Die österreichischen Konvente werden sehr spät erst zu einer eigenen Provinz zusammengefasst, während die schwäbische Provinz die erste im Orden war. Viel später errichtet als die schwäbische Provinz, wird die österreichische Provinz auch zwei Jahrzehnte früher aufgelöst als die schwäbische mit ihren verbliebenen drei Klöstern außerhalb der österreichischen Landeshoheit.
Die österreichischen Konvente zählen alle mehr Mitglieder als die schwäbischen.
Hauptaufgabe der österreichischen Pauliner ist die Wallfahrtsseelsorge, mit der Pfarrseelsorge befassen sie sich im Gegensatz zu den schwäbischen Mitbrüdern nur ausnahmsweise.
Die österreichische Provinz fügt sich in die Entwicklung der Pauliner zum Marienorden ein. Bei den vornehmlich mit der Pfarrseelsorge befassten schwäbischen Paulinern steht die Marienverehrung nicht im Vordergrund.
Während die schwäbischen Patres vor allem von Einkünften aus Grundherrschaft und Grundbesitz leben, sind einzelne österreichische Konvente ganz auf Spenden der Wallfahrer angewiesen.
Bei ihren Kirchenbauten können die österreichischen Konvente auf die Spendenbereitschaft des Adels zählen.
Da die schwäbischen Pauliner ihre Kirchen im wesentlichen aus eigenen Einkünften finanzieren müssen, sind die österreichischen Klosterkirchen wesentlich aufwendiger gestaltet und z.T. von großer künstlerischer Qualität.
Deshalb haben sich in Österreich wesentlich mehr Paulinerkirchen als bauliche Zeugen erhalten, während in Schwaben alle Kirchen der Pauliner abgebrochen wurden.
Die österreichische Provinz ist wesentlich stärker in den Gesamtorden und in die Ordensleitung integriert als die schwäbische.
In den kleineren schwäbischen Konventen monieren die Visitatoren mehr Anstände als in den größeren österreichischen Klöstern.
Mehrere Patres der österreichischen Provinz haben wissenschaftliche und erbauliche Werke publiziert, während die schwäbische Provinz wissenschaftlich nicht produktiv ist.
Systemtheoretisch lassen sich einige Fragen stellen, zunächst nach der unterschiedlichen Integration der beiden Provinzen als Teilsysteme in das Gesamtsystem des Ordens.156Die schwächere Integration der schwäbischen Provinz lässt sich aus der räumlichen Distanz mit den Folgen einer geringeren Kontrollintensität der Ordensleitung, einer fehlenden Partizipation an der Ordensleitung und damit einer geringeren Identifikation mit ihr erklären. Der Orden insgesamt und seine Provinzen konnten ihrem politischen und kirchlichen Umfeld nur eine sehr geringe Autonomie entgegensetzen und waren fast völlig von ihm abhängig. Aber in Ungarn, Kroatien und Polen als seinem Hauptverbreitungsgebiet verfügte der Orden über ein symbolisches und soziales Kapital,157das die Schwaben in ihrer isolierten Lage nicht einsetzen konnten. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich die Funktionen des Ordens im Hinblick auf seine Umwelt verändert, die Schwerpunkte hatten sich von den eremitischen Anfängen mit der Konzentration auf Kontemplation und Selbstheiligung zur Pfarrseelsorge und schließlich zur Wallfahrtsseelsorge verschoben. Während die schwäbischen Patres sich vor allem mit der Pfarrseelsorge befassten, widmeten sich die österreichischen Patres vor allem der Betreuung von Wallfahrern. Mit der Wallfahrtsseelsorge ließen sich aber ganz andere finanzielle, soziale und legitimatorische Ressourcen aus der Umwelt aktivieren als mit der Pfarrseelsorge. Im Zuge der Anpassung an die Funktionserwartungen der Umwelt verwischte sich das ursprüngliche Profil des Ordens immer mehr, die Anpassung an die regionale Klosterlandschaft, wie z.B. im Streit um die Bärte deutlich, trat als Leitwert gegenüber den spezifischen traditionellen Werten des Ordens in den Vordergrund. Dieser Anpassungsdruck war umso größer als sowohl in Schwaben wie in Österreich, Böhmen und Mähren der Paulinerorden nur marginal vertreten war. Allein in Böhmen entstanden „in der Zeitperiode des Barocks … etwa 200 neue Klöster“,158davon nur eines des Paulinerordens. Räumliche Nähe sowohl zur Ordensleitung wie zum Kaiserhof, die Einbindung in die Ordensleitung verhinderten aber in Österreich Desintegrationserscheinungen wie in Schwaben. Angesichts der Pauschalkritik der Aufklärer am Ordenswesen schmolz aber das legitimatorische Kapital der Selbstrechtfertigung des Ordens als Überlebensressource dahin und konnte ihn nicht vor der Aufhebung retten.
Papst Johannes Paul II. hat von den Orden vor allem „die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe“ verlangt, wollten sie auf dem Weg „des Wachstums der Heiligkeit“ voranschreiten. Sie sollten „als Antwort auf die in der heutigen Welt auftretenden Zeichen der Zeit mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und die Heiligkeit der Gründer … wieder hervorheben“ und beharrlich bleiben „auf dem Weg der Heiligkeit durch die materiellen und geistlichen Schwierigkeiten hindurch, von denen das Alltagsgeschehen gezeichnet ist.“159In den früh gegründeten, kleineren und abgelegenen Konventen der schwäbischen Provinz blieb der Gründungsimpuls der eremitischen Anfänge weiterhin spürbar, sie waren deshalb auch stets gefährdeter. Die österreichische Provinz folgte der Entwicklung des Ordens zum „Marienorden“. Der „Elastizität“ gegenüber „aktuellen Erfordernissen“ verdankt der Orden seine heutige Bedeutung und sein gegenwärtiges Wachstum.160
Veröffentlicht in: Gábor Sarbak (Hg.): Der Paulinerorden. Geschichte – Geist – Kultur. Budapest: Szent István Társulat, 2010 (Müvelödéstörténeti Mühely 4, 2), S. 31-78.