Mittelalterliche Gerichtsbarkeit und politische Herrschaft waren auf zwei Ebenen aufgeteilt: die Hoch- und die Niedergerichtsbarkeit. Die Hochgerichtsbarkeit war Kern der gräflichen Gewalt, doch konnte der König einzelne Herrschaften wie Städte und Klöster von der gräflichen Gewalt „eximieren“, d. h. ihnen in einem abgegrenzten Bezirk eigene Hochgerichtsrechte übertragen. Im Linzgau verfügten die auf Heiligenberg residierenden Grafen von Werdenberg über das Hochgericht in ihrer Grafschaft mit Ausnahme der Städte Markdorf, Meersburg und Buchhorn innerhalb deren Stadtmauern. Zum Hoch- oder Blutgericht gehörten die Kompetenz, alle Vergehen gegen Leib und Leben, also Mord, Totschlag und schwere Verwundungen, Brand, Diebstahl, Notzucht, Meineid an „der Ehre, an Haut und Haar und am Vermögen“ der Täter zu ahnden, die Forst- und Geleithoheit, sowie einige verwaltungsrechtliche Befugnisse, nur die Grafen konnten das Recht verleihen, eine Mühle, Bäckerei, Metzgerei und Gastwirtschaft zu betreiben.31 Die Rechtsprechung des Hochgerichts delegierten die Grafen an ihr Landgericht, ursprünglich eine Versammlung der Freien unter Vorsitz des edelfreien Landrichters. Nachdem es keine Freien mehr gab, setzte der Graf ab 1398 zwölf unfreie Urteilsprecher aus der Grafschaft ein, der Landrichter wurde ab 1466 für die Zeit seines Amtes von der Eigenschaft befreit. Das Landgericht tagte traditionell an seinen beiden Dingstätten in Schattbuch (heute Schapbuch, Gde. Salem) und Bitzenhofen (heute Gde. Oberteuringen). Im späteren 15. Jh. wurde in Schattbuch und Bitzenhofen nur noch einmal im Jahr Recht gesprochen, dagegen fanden alle 14 Tage Gerichtssitzungen in der Gerichtsstube in Beuren unterhalb von Schloss Heiligenberg statt. Nun nahm auch der gräfliche Vogt auf Heiligenberg regelmäßig an den Gerichtssitzungen teil.
Die Schussen vom Bodensee bis etwa auf der Höhe von Weingarten bildete die Ostgrenze der Grafschaft Heiligenberg. Im 15. Jahrhundert gelang es jedoch der Landvogtei Schwaben, einen breiten Geländestreifen zwischen Rotach und Schussen von der Grafschaft Heiligenberg loszureißen und hier das Hochgericht auszuüben. Die Reichslandvogtei Oberschwaben32 war 1274 neben anderen Reichslandvogteien von König Rudolf von Habsburg errichtet worden, um die im Interregnum verloren gegangenen Rechte des Reiches zurück zu fordern und zu verwalten. Diese Rechte bestanden vor allem in Hochgerichtsrechten, zunächst noch in der Einsetzung der Amänner in den Reichsstädten, dem Schirm über den Reichsstädten und –klöstern, dem Schutz des Landfriedens, dem Geleit. Die Landvogtei war kein geschlossenes Territorium, sondern ein sog. „Realienbezirk“, „Zuständigkeitsbereich für die Ausübung von Hoheitsrechten“.33
Die Versuche, sich den östlichen Teil der Grafschaft Heiligenberg anzueignen, hatten nach der Verpfändung der Reichslandvogtei 1415 an den Truchsessen Johann von Waldburg begonnen, „der die Chance wahrnahm, seine eigene Herrschaft mit Hilfe dieses Pfandes zu erweitern, ja das zunächst noch sehr schüttere Gebilde der Reichslandvogtei zu einem Territorium auszubauen.“34 1436 verhörte die Reichsstadt Ravensburg bereits in königlichem Auftrag Zeugen über den Grenzverlauf. Rückenstärkung bekamen die Truchsessen von Waldburg in ihrem Vorgehen, als Kaiser Friedrich III. ab 1448 versuchte, die Landvogtei der Tiroler Linie seines Hauses die Landvogtei zu übertragen, diese ab 1473 maßgeblichen Einfluss gewann und 1486 definitiv die Landvogtei von den Waldburgern auslöste. Bis 1497 verwalteten aber real die Truchsessen als Unter-Landvögte weiterhin die Landvogtei. 1480 klagte Graf Georg von Werdenberg beim kaiserlichen Hof gegen die Eingriffe des Landvogts in seine Grafschaft Heiligenberg, der Truchsess würde in dem umstrittenen Landstreifen heiligenbergische Amtleute gefangen nehmen, das Gericht beanspruchen, die Huldigung beanspruchen und den „armen Leuten“ Vieh wegnehmen. Im Auftrag des Kaisers verhörten Bürgermeister und Räte der Stadt Konstanz 1484-85 monatelang insges. 613 von beiden Prozessparteien benannte Zeugen, u.a. aus Alberskirch, Albersfeld, Bavendorf, Ettmannsschmid und Waldburgsfeld, die alle bestätigten, dass bis zu den Gewaltmaßnahmen der Landvögte die Grafen von Heiligenberg das Hochgericht ausgeübt hätten. Das Urteil der Stadt Konstanz fiel zwar 1488 zugunsten der Grafen von Werdenberg aus. „Trotz allem blieb der Sieg in der Hand des Stärkeren: die östlichen Teile des Linzgaus gehörten seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zur Landvogtei.“35 Damit war die endgültig seit 1486 österreichische Reichslandvogtei Hochgerichtsherr in der ganzen späteren Gemeinde Taldorf.
Mit der Landvogtei war auch das Kaiserliche Landgericht Schwaben mit seinem großen Gerichtssprengel, der ganz Südschwaben umfasste, an Österreich gelangt. Es tagte an vier sog. „Malstätten“ in Altdorf (der „Reichsflecken“ unterhalb der Abtei Weingarten), Ravensburg, Wangen und Isny. An seiner Spitze stand der vom Landvogt ernannte Landrichter, ihm zur Seite standen in den einzelnen Malstätten der Stabhalter und die Assessoren, das waren die Bürgermeister bzw. der Amann und Ratsmitglieder. Zuständig war das Landgericht vor allem für freiwillige und strittige Zivilsachen, aber bis ins 16. Jahrhundert hinein auch für „Malefizsachen“ wie Mord, Raub, Totschlag und Diebstahl. Allerdings konnte das Landgericht als Strafe nur die Acht und keine Leibesstrafen verhängen.36 Konkurrierend mit dem Landgericht sprach der Landvogt bzw. seine Beamten auch selbst Recht37 Später führte die Verwaltung der Landvogtei bei Kriminalsachen die Untersuchung durch und unterrichtete Fleckenamtmann und Rat in Altdorf vom Ergebnis. Amann und Rat stand das Blutgericht zu, ihr Urteil musste vom Landvogt bestätigt werden und konnte dann vom Altdorfer Gericht exekutiert werden.38
Im Alltag viel spürbarer und wichtiger war das Niedergericht. Wie beim Hochgericht waren auch im Niedergericht richterliche und Verwaltungs-Kompetenzen gebündelt. Der Niedergerichtsherr urteilte über alle einfacheren Vergehen, die nicht Leib und Leben betrafen, vor allem Flurschäden und Eingriffe in die Besitzrechte an Grund und Boden. Zum Niedergericht gehörte die Vollmacht, Gebote und Verbote zu erlassen, „Zwing und Bann, die Strafgewalt, welche das Zusammenleben im Dorf, die Gemengelage der Felder und die Gemeinschaft der Weiden erforderte“,39 das Recht, die Untertanen zur Landesverteidigung aufzubieten und auf Dauer besonders wichtig, das Recht auf Steuererhebung. Die Niedergerichts-Untertanen hatten sowohl eine regelmäßige Jahressteuer wie auch Kriegssteuern im Bedarfsfall zu entrichten und konnten zu Frondiensten verpflichtet werden. Eine volle Landesherrschaft konnte nur ausüben, wer Hoch- und Niedergericht in seiner Hand vereinte.
Die ohnehin komplizierte und ausdifferenzierte Herrschaftsstruktur wurde im südöstlichen Oberschwaben weiter kompliziert durch den „Allgäuer Gebrauch“, dass auch Grund- und Leibherren bestimmte niedergerichtliche Rechte für sich in Anspruch nahmen, so dass z. B. Streitigkeiten um Grund und Boden, auch Erbfälle, vor dem Gericht des Grundherrn auszutragen waren oder dass Leibeigene auch außerhalb des eigenen Niedergerichts dem Leibherrn „gerichtbar, steuerbar, reisbar, gehorsam und gewärtig“ zu sein hatten.40
Auf zwei Wegen brachte die Landvogtei auch das Niedergericht in Teilen des Gemeindegebiets von Taldorf in ihre Hand. Die Grafen von Heiligenberg hatten bis ins späte 15. Jahrhundert Amtleute u.a. in Alberskirch und Hefigkofen eingesetzt und das Gericht in Hefigkofen besetzt, das auch über Alberskirch, Eggartskirch und wohl auch weitere spätere Taldorfer Teilorte Recht sprach. Ebenso wie das Heiligenberger Hochgericht eignete sich der Truchsess von Waldburg als Landvogt auch die Heiligenberger Niedergerichtsrechte in diesem Gebiet gewaltsam an. Das Gericht in Hefigkofen wurde aufgelöst und sein Bezirk dem bereits bestehenden landvogteilichen Gericht in Ailingen angeschlossen.
Der andere Weg war über die Schirmvogtei über die Klöster. Im südlichen Oberschwaben war das Niedergericht in der Regel an die Grund- und Leibherrschaft gebunden und somit richteten um Ravensburg meist die Äbte der Reichsklöster Weingarten und Weißenau über die Alltagsverstöße ihrer Untertanen. Ohne nennenswerte Grund- und Leibherrschaft besaß die Landvogtei in den Grundherrschaften dieser Klöster keine Niedergerichtsrechte. In zermürbenden Konflikten gestützt auf ihre Schirmvogtei über die Klöster entzog die Landvogtei sukzessive den Klöstern die Gerichtshoheit über einen Großteil deren Grundherrschaften .
Das Kloster Weißenau berief sich auch gegenüber der Landvogtei auf den „Allgäuer Gebrauch“, mit bescheidenem Erfolg. 1473 suchte die Landvogtei dem Kloster die bisher unbestrittene Zuständigkeit zu entziehen, über „niedere Frevel“ seiner Leibeigenen und Grundholden zu richten.41 1489 untersagte zwar Kaiser Friedrich III. dem Landvogt, die Klöster Weingarten und Weißenau mit Steuern und „ungewöhnlichen Geboten und Verboten“ zu beschweren und 1497 bestätigte Kaiser Maximilian dem Kloster das volle Niedergericht innerhalb der Klostermauern, in Oberhofen, Unterteuringen und Ummendorf, sowie das Besteuerungsrecht über seine „Hintersassen“. Doch 1522 widerrief Karl V. alle diese Zugeständnisse. Schließlich schuf ein Vertrag 1533 des Klosters mit der Landvogtei vorläufige Rechtssicherheit. Dem Kloster wurde das Niedergericht in den bereits 1497 genannten Orten zugesichert, außerdem konnte es Streitigkeiten über die Pflichten seiner Leibeigenen richten und grundsätzlich Strafen bis zu 5 Schilling Pfg. verhängen. So wurde 1641 in der Beschreibung der Landvogtei über das Kloster Weißenau vermerkt: „Liegt in der Landvogtei hoher u niederer Obrigkeit. Es hat auch seiner Lehenleute halber mehr Gerechtigkeit, ist aber alles im Vertrag ausführlich begriffen.“42 Anders als im Vertrag des Klosters mit der Reichsstadt Ravensburg im gleichen Jahr 1533 wurde auch die Steuerhoheit dem Landvogt zugesprochen. Selbst eine geschlossene Weißenauer Grundherrschaft wie das Dorf Oberzell unterlag damit der Landeshoheit der Landvogtei. Als Anerkennung der landvogteilichen Gerichtsherrschaft hatten alle Oberzeller, ebenso wie die Bewohner von Ober- und Niederweiler, von Sederlitz und Vogler jährlich eine Henne abzuliefern, eine sehr viel geringere Abgabe, als die Taldorfer Bauern an die Stadt Ravensburg zu leisten hatten.43
Durch puren Raub und unter rechtlicher Berufung auf die Schirmvogtei, politisch gedeckt durch die Macht Österreichs, sicherte sich die Landvogtei durch diese Gewaltakte ein kleines Territorium im Allgäu, um Ravensburg und bis zum Bodensee sichern, in dem es die volle Landeshoheit besaß. Keiner anderen Herrschaft außer Österreich war es möglich, Landeshoheit in einem Gebiet auszuüben, in dem es nur über minimale Grund- und Leibherrschaft verfügte.44
War die Landvogtei im ganzen späteren Gemeindegebiet von Taldorf Hochgerichtsherr, so musste sie doch in einzelnen Orten andere Niedergerichtsherren dulden. Erfolglos blieb die Landvogtei bei ihren Versuchen, der Stadt Ravensburg ihre Niedergerichtsrechte in Bavendorf und Taldorf streitig zu machen45
1413 verkaufte Graf Eberhard von Werdenberg seine Herrschaft Schmalegg an die Stadt Ravensburg. Außer vielen Hofgütern im weiteren Umkreis gehörte dazu das Niedergericht in Taldorf und im benachbarten Reute, das damit an die Stadt Ravensburg gelangte. Die fast durchgängig Weißenauer Lehenbauern in Taldorf hatten dem Ravensburger Vogt zu Schmalegg als ihrem Niedergerichtsherrn ein jährliches „Vogtrecht“ zu entrichten.46 So hatte der bereits erwähnte Konrad Troll, der größte Bauer in Taldorf, zusätzlich zu seinen 10 Scheffel Vesen, 6 Scheffel Hafer und 1 Pfd. Pfg. etc. an den Abt als Grundherrn 2 Scheffel Hafer, 2 Scheffel Mischfrucht und 1 Pfd. 9 Schilling, 3 Pfg. dem Schmalegger Vogt als Niedergerichtsherr zu liefern. 1477 fällte das Ravensburger Gericht unter Vorsitz des ehemaligen Stadtamanns ein Urteil in einem Rechtsstreit zwischen einem Ravensburger Bürger und dem Kloster Weißenau über einen Zins aus einem Weiher bei Taldorf.47 Gegen die städtische Kompetenz in einem solchen Fall machte das Kloster Weißenau eigene Gerichtsrechte geltend unter Berufung auf den „Allgäuer Gebrauch“, vielleicht auch weil Weißenau den Maierhof in Taldorf besaß. Die Streitigkeiten beendete ein Vertrag von 1533, wonach der Stadt bzw. dem Vogt zwar das Gericht über die „niederen Frevel“ blieb, das klösterliche Gericht aber über alle Streitigkeiten entschied, die im Zusammenhang mit dem Lehenbesitz der Weißenauer Lehenbauern oder der Leibeigenschaft der klösterlichen Eigenleute standen. „Es gab demnach in Taldorf zwei Gerichte, ein städtisches und ein klösterliches“, bei dem jeweils Taldorfer als Beisitzer mit urteilten.48 Dieser Zustand endete erst 1674, als die Stadt dem Kloster das volle Niedergericht in Taldorf überließ.
Als 1513 Jos Humpis seine Bavendorfer Grund- und Leibherrschaft an das Ravensburger Spital verkaufte, war damit auch das Niedergericht verbunden.49 In Bavendorf amtierte ein Amann, die Oberaufsicht führte der städtische Vogt in Schmalegg. Über Straftaten der Bavendorfer richteten aber Bürgermeister und Rat in Ravensburg, denn aus den Jahren 1517-1524 liegen eine Reihe von sog. Urfehdebriefen vor, nach denen Täter wegen Streitsucht, Bedrohungen mit Waffen, Beleidigungen und Schmähungen verurteilt wurden.50
Adelsreute war Gründungsgut des Klosters Salem. Es besaß laut einem Vertrag von 1517 mit der Landvogtei das Niedergericht nur innerhalb des eigenen Dorfetters und auf einigen Grundstücken außerhalb des Etters.51
In dem von der Grafschaft Heiligenberg abgetrennten Landstreifen richtete die Landvogtei als Ersatz für das frühere Linzgauer Landgericht und das Niedergericht Hefigkofen das „Landvogteigericht zu und um Ailingen“ ein, bevor dieses Gebiet in die Ämter Dürnast und Ailingen aufgeteilt wurde.52 1510 fällte das Landvogteigericht zu Ailingen ein Urteil gegen den Klostermaier von Oberweiler betr. dessen Vogteiabgaben. 1525-1544 verwaltete Eitelhans Ziegelmüller, im Bauernkrieg Führer des Bermatinger Haufens, als Amann diesen Gerichtsbezirk. 1543 entschied er eine Streitsache zwischen der Gemeinde Taldorf und Nachbargemeinden um Trieb und Tratt. Mitte des 16. Jahrhunderts urteilten dessen Richter über Weidestreitigkeiten von Ettmannsschmied, Segner und Herrgottsfeld.53 Wenn 1527-29 Heinrich Schneider als Amann der Landvogtei in Wernsreute genannt wurde,54 stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis er zum Gerichtsamann zu und um Ailingen stand. Offenbar nahm er reine Verwaltungsaufgaben war, während der Gerichtsamann und seine „Zusätze“ über Streitigkeiten richtete und Straftaten verfolgte. Gleichzeitig amtierte in Wernsreute Konrad Scherer als Amann des Weißenauer grundherrlichen Amts Taldorf.