Elmar L. Kuhn

Die Gesellschaft Oberschwaben 1945-49


Die „oberschwäbische Idee(n)“

Was war denn nun die „oberschwäbische Idee“, die „brauchbare Tradition“ Oberschwabens, aus denen die „Grundeinsichten“ für den geistigen und materiellen Wiederaufbau entwickelt werden sollten? Die theokratischen Ordnungsvorstellungen des Fürsten von Waldburg-Zeil und Hugo Härings waren mit der Situationsethik Ernst Michels und den Humanismusvarianten Josef Riecks, des Barons Schenk von Stauffenberg und Karl Schmids nicht kompatibel. Es gab nicht d i e oberschwäbische Idee, sondern neoscholastische Vorstellungen standen gegen reformkatholische und christlich humanistische Positionen.

Die oberschwäbischen Honoratioren teilten, in trivialisierter Form, die Weltbilder des Fürsten und Hugo Härings. Am deutlichsten zeigte sich das im Verfassungsentwurf der CDU für Württemberg-Hohenzollern, dessen Präambel wie ein Gebet klang, und der sich dezidiert vom „anthropozentrischen“ Entwurf Karl Schmids für Württemberg-Baden absetzte (*Kuhn 1998. *Pfefferle 1997 und 2002. *Uffelmann 1996, S. 92f.). Rieck beklagte sich dagegen, dass ihn sogar die „sogenannten aufgeschlossenen und modernen Pfarrer und Katholiken ob ihrer Ignoranz und Ängstlichkeit so sehr enttäuscht“ hätten (10. 6. 1947).

Die hegemoniale „oberschwäbische Idee“ war folglich das konservative Weltbild des Fürsten, der oberschwäbischen CDU und des Rottenburger Ordinariats (vgl. Uffelmann 1996, 190ff.), die konkurrierende „oberschwäbische Idee“ der Initiatoren der Gesellschaft Oberschwaben artikulierte sich in den programmatischen Reden der Eröffnungstagung 1946 und der Gründungsversammlung 1947 sowie in der „Renovatio“ als einziger Veröffentlichung der Gesellschaft. Ernst Michel formulierte hier zur Neoscholastik eine ebenso radikale Gegenposition mit seinem theologischen Historismus und seiner Situationsethik. Schmids „Lob Oberschwabens“ bewegte sich mit seiner Betonung des Anti-Dogmatismus im Rahmen Michels’ Ausführungen und konkretisierte Riecks Andeutungen „brauchbarer Traditionen“. Schmids wohl auch von Theodor Haecker angeregter Humanismusbegriff (°Haecker 1947, S. 81) deckte sich weitgehend mit dem „christlichen Humanismus“ Riecks und Maritains. Weniger eindeutig als bei Häring wiesen doch die Oberschwaben-Bilder auch von Rieck und Schmid essentialistische Züge auf. Gutwillig könnte man die Aussagen Schmids mentalitätsgeschichtlich verstehen. Heute müssen beide konkurrierende Oberschwabenbilder als normative Konstrukte verstanden werden, sie sind weniger Bilder einer Realität, als von Wunsch- und Zielvorstellungen geleitete selektive Destillate, wobei entsprechend dem wandelnden Zeitgeist sich Schmids schmeichelhaftes Fremdbild nunmehr als regionales Eigenbild durchgesetzt hat. Angesichts eines allzu beliebigen Humanismusbegriffs und eines allzu doktrinären ordo-Begriffs auf der anderen Seite, müsste der „Engel der Humanität“ als Genius Oberschwabens in seiner doppelten Blickrichtung ernster genommen, nicht bloß als Allegorie aufgefasst werden. Beide Momente, Immanenz und Transzendenz, wären als wechselseitiges Korrektiv zu begreifen (Vgl. *Habermas 2004).

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