Elmar L. Kuhn

Die Gesellschaft Oberschwaben 1945-49


Die Gründung der Gesellschaft

Unter den schwierigen Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit war es nicht einfach, die äußeren Voraussetzungen für ein neues „kulturelles Unternehmen“ zu schaffen. Das Schloss Aulendorf, ein Konglomerat mehrer Baustile von der Spätgotik bis zum Historismus der Jahrhundertwende um 1900, Residenz der Grafen von Königsegg, seit 1941 Eigentum der Deutschen Reichspost und besetzt von evakuierten Dienststellen und französischem Militär, bot sich für die Unterbringung an. Die Verhandlungen um die Freigabe von Räumen gestalteten sich trotz der Unterstützung des Ravensburger Landrats und des Tübinger Staatssekretariats zäh. Erst im November 1945 sagte die Postdirektion die Überlassung von fünf Räumen im zweiten Stock des gotischen Bauteils sofort und weiterer zwei ab Dezember zu. Am 8. Januar 1946 konnte zwar ein Mietvertrag geschlossen, aber erst im Frühjahr konnten die fünf Räume genutzt werden. In einem befand sich das Sekretariat, ein Raum war für Ernst Michel als designierten Akademieleiter reserviert, die anderen wurden als „Beratungs- und Gästezimmer eingerichtet“. Die erhofften Räume in der klassizistischen Straßenfront, vor allem der sog. Marmorsaal, wurden zunächst nur für einzelne Tagungen überlassen. Leichter ließ sich das Problem der damals noch rationierten Verpflegung der Tagungsteilnehmer lösen. Manche Tagungen sollen auch deshalb unter dem organisatorischen Dach der Gesellschaft Oberschwaben in Aulendorf angesiedelt worden sein, weil hier die Verpflegung sicher gestellt war.

Der Name der neuen Institution stand offenbar von Anfang an fest. Der Name „Gesellschaft Oberschwaben“ war auch Programm: „Oberschwaben als Land, in dem die universale Geistigkeit des deutschen Südens noch in lebendiger Überlieferung lebt und von der ungebrochenen Kraft des Volkes getragen wird“ (°Kuhn 2002, S. 301). Weil dort „universaler Humanismus und universale Katholizität noch lebendig sind“ und die Landschaft die Fehlentwicklungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mitgemacht habe, könne hier „ohne Bruch mit dem Bestehenden ... an eine brauchbare Tradition angeknüpft werden“ (°Messerschmid 1946, S. 6).

Die Gesellschaft erhielt aus steuerlichen Gründen die Form einer gemeinnützigen Stiftung, die am 21. Juni 1946 beantragt und erst am 12. 8. 1947 genehmigt worden war. Damit bestand die Gesellschaft eigentlich nur aus dem Kuratorium, das zunächst nur als vorläufiges und selbsternanntes bestand und erst auf der Generalversammlung am 11. 10. 1947 formell gewählt wurde. Als Mitgliederorganisation waren die „Freunde der Gesellschaft Oberschwaben“ vorgesehen, an die sich die Gesellschaft im September 1946 mit einem Aufruf zu „bedeutenden“ Stiftungen gewandt hatte. Die „Freunde“ konnten nur auf der ersten Generalversammlung das Kuratorium wählen, das sich in der Folge selbst ergänzen sollte. Das Kuratorium wählte seinerseits einen Arbeitsausschuss, den Präsidenten, den Vorsitzenden und den Sekretär.

Die Gesellschaft sollte nach den Vorstellungen Riecks aber nur eine dienende, „sekundäre Funktion im Rahmen des Ganzen“ haben. „Die vornehmste Einrichtung Aulendorfs ist ... die Akademie, als der Ort, an dem die Träger des neuen Denkens zusammenkommen, um im Gespräch die gewonnenen Einsichten auszutauschen und die neuen Lehren gültig zu formulieren“ (°Kuhn 2002, S. 333f.). Die Akademie war eine Einrichtung der Buchhandlung Rieck und sollte von ihr getragen werden. Wirtschaftlich getrennt sollten Akademie und Gesellschaft sich doch „gegenseitig anregen und fördern..., in ihren Aufgabengebieten also durchdringen und ergänzen“ (°Messerschmid 1946, S. 9). Nach Riecks Absichten machten „drei Einrichtungen“ Aulendorf eigentlich aus und gaben „der Gesellschaft erst ihren Sinn ...: Die Buchhandlung, die Oberschwäbische Akademie und der (geplante) Verlag“ (°Kuhn 2002, S. 334).

Für die Unterzeichnung des ersten Stiftungsaufrufs im November 1945 sollte ein illustrer Kreis von Landes- und Kommunalpolitikern, hohen Beamten, Theologen, Juristen, Ärzten und Adligen werben. Von ihnen tauchen interessanterweise im Druck Berthold Markgraf von Baden, Romano Guardini, aber auch der an den ersten Gesprächen beteiligte Joseph Bernhart, der Herausgeber der Stuttgarter Zeitung Josef Eberle, der Ulmer Oberbürgermeister Otto Scholl, Vater der Geschwister Scholl, und der Schriftsteller Friedrich Georg Jünger nicht mehr auf. Von den Unterzeichnern engagierten sich in den ersten beiden Jahren der Tübinger Landesdirektor für Finanzen Paul Binder (*Munzinger-Archiv 1981. *Raberg 2004. S. LXXXIX), der Buchauer katholische Stadtpfarrer Erich Endrich (*Graf Adelmann 1978), der evangelische Leutkircher Stadtpfarrer Hilmar Schieber, der Ulmer Maler Wilhelm Geyer (*Kessler 2000 und 2002. *Zimmermann 1971) und Erich Fürst von Waldburg-Zeil (*Dornheim 1993. *Klöckler 2002, Waldburg-Zeil) stärker, außer natürlich Josef Rieck und dem Sekretär der Gesellschaft, Hans Christoph Freiherr Schenk von Stauffenberg.

Zentrale Person der Aulendorfer Einrichtungen, ihr spiritus rector, sollte der Frankfurter Laientheologe Ernst Michel werden, geboren 1889 am Main, vor dem ersten Weltkrieg Lektor des Verlags Eugen Diederichs, nach dem Krieg Direktor der Frankfurter Akademie der Arbeit, Professor für Sozialwissenschaft und Mitarbeiter der liberalkatholischen „Rhein-Mainischen Volkszeitung“, ab 1938 als Psychotherapeut ausgebildet. Um ihn bemühte sich Josef Rieck unermüdlich, er möge in Aulendorf „als die Persönlichkeit einziehen, die die Sicherheit dessen, was hier gewollt wird, verkörpert und ... die Unerbittlichkeit, mit der wir um die Gewinnung gültiger Maßstäbe ringen, garantiert“ (1. 10. 1945). „Anspruch, Rang und Themenstellung (der Akademie) sind nur durch Ihren Namen allein gegeben... Es kann nun ganz Ihre Akademie werden, aber nicht ohne Ihr Dabeisein.“ (6. 4. 1946) Er zeigte sich zwar bereit, im „Rat der Weisen ... gleichsam als Starez“ seinen Platz einzunehmen (7. 5. 1946), kam aber dennoch nur zu einem Vortrag und wenigen Gesprächen nach Aulendorf.

Schon in der Vorbereitungsphase zeigte sich aber, dass die Vorstellungen weit auseinander gingen, was denn nun den Geist Oberschwabens ausmache, an dem Württemberg oder gar Deutschland zu genesen hätten. Obwohl der Begriff im Gründungsaufruf gar nicht auftaucht, wandte sich der Fürst Waldburg-Zeil am 25. 10 1945 in einem Brief an Josef Rieck gegen die Propagierung von Humanismus als Leitidee: „Die oberschwäbische Idee ... scheint mir in Ihrem Aufruf etwas einseitig formuliert. Nicht der Humanismus prägt die oberschwäbische Idee. ...’ut in omnibus glorificetur Deus’“, stünde in ungeschriebenen Lettern über den oberschwäbischen Barockklöstern, Städten, Bauernhöfen und Dörfern. „In Oberschwaben lebt heute noch ein Stück des natürlichen ‚ordo bonorum’ Alberts des Großen.“ (25. 10. 1945)

Auch in der ersten Sitzung des vorläufigen Kuratoriums prallten die Meinungen aufeinander: „Alle kommen mit humanitären Ideen. Verlegenheitslösung. Strengen Standpunkt! ... Humanismus wird sehr viele abstossen.“ (28. 12. 1945) Die konservativen Bedenkenträger blieben denn auch mit Ausnahme des Fürsten den weiteren Veranstaltungen der Gesellschaft fern. Rieck versuchte den Fürsten zu beruhigen: „Wenn wir das Wort Humanismus gebrauchen, so verstehen wir es ... so, wie es Jacques Maritain in seinem ‚Humanisme integral’ neu begreift, als die Hinwendung des Christen zu den menschlichen Anliegen und Nöten und seine inständige Bemühung, an deren Lösung auf profanem Gebiet als Christ verantwortlich mitzuarbeiten.“ Er verweist auch auf den hl. Benedikt, „dessen Beispiel uns bei unserem Unternehmen als einer an den Ort Aulendorf gebundenen Gründung auf Dauer richtunggebend ist“ (28. 11. 1945). Damit sind zwei Leitfiguren der Gedankenwelt Josef Riecks benannt: der französische Philosoph Jacques Maritain, der obwohl Thomist auf der „Autonomie des Weltlichen“ bestand (*Berger 2002, S. 100ff. *Nickl 1992. *Schüler 2000, S. 78ff.) und der hl. Benedikt, dessen Klostergründung er immer als Modell einer „sozialen Lebensform“ bewunderte.

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