Die Zahl der Veranstaltungen und die Breite der behandelten Themen in den nur dreieinhalb Jahren der Aktivitäten der Gesellschaft muss beeindrucken. Die Gesellschaft bot in diesen Jahren nach dem Krieg Politikern, Fach- und Interessengruppen die Möglichkeit erster Verständigung. Den Anspruch, einen „freien geistigen Tauschplatz“ für Ideen anzubieten, erfüllte die Gesellschaft durchaus. Nie mehr diskutierte man seither in Oberschwaben in solcher Intensität die Probleme der Zeit. Aber das Ziel, „aus einem Gesamtgeist heraus auf den Ablauf der Ereignisse einzuwirken“ (°Messerschmid 1946, S. 14), wurde nicht erreicht. Michels Situationsethik und die „brauchbare Tradition“ Riecks und Schenks von Stauffenberg blieben zu allgemein und zu abstrakt, um eine stärker organisierende Kraft zu entfalten. Mit der Destruktion der Kirche als autoritative Institution durch Michel, der lehramtlichen Ablehnung seiner Situationsethik, der Indizierung seines Ehebuches (*Reifenberg 1992, S. 164, 541ff.) und der Empfehlung eines „christlichen Sozialismus“ als Gesellschaftsmodell musste sich die Gesellschaft gegenüber der herrschenden traditionellen kirchlichen Lehre und den restaurativen Tendenzen in Oberschwaben ins Abseits manövrieren. Die Gesellschaft Oberschwaben blieb eine Gesellschaft in Oberschwaben. Zum einen distanzierten sich die meinungsführenden Kreise in Oberschwaben bald von ihr, zum andern beschwor sie zwar pathetisch die Tradition dieser Landschaft, befasste sich aber nur gelegentlich mit konkreten regionalen Problemen und Zukunftsperspektiven. Mit dem hohen heilsgeschichtlichen Sendungsauftrag belasteten sich die meisten Tagungsteilnehmer nicht. Dass er nicht ernster genommen wurde, die Vermittlung der leitenden Ideen zu den aktuellen Themen oft nicht gelang, enttäuschte die Iniatoren.
Die direkte Bilanz mag negativ anmuten. Die Akademie nahm aufgrund der Weigerung Michels, sich dauerhaft in Aulendorf nieder zu lassen, nie ihre Arbeit auf. Der Verlag der Gesellschaft produzierte nur ein einziges Buch. Karl Schmid konnte mit seinen Vorträgen auf den fünf Tagungen seine Zuhörer nicht von seiner Verfassungskonzeption überzeugen. Das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zur Agrarreform wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht beachtet. Die Vorschläge Härings zur Regionalplanung blieben Utopie. Die auf der Kirchenmusiktagung geforderte Ausbildungsstätte kam nicht zustande. Das Institut für oberschwäbische Landeskunde stellte nach einer Tagung seine Tätigkeit ein. Nach der Währungsreform fehlten Rieck die Mittel zur weiteren Finanzierung der Aulendorfer Einrichtungen. Mit ihrer Beschränkung auf eine „Elite“, auf „Verantwortungsträger“, konnte die Gesellschaft nie in die Breite wirken (*Sachs-Gleich 2002, S. 262f., 281f.). Die traditionellen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppierungen, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände, hatten sich wieder gefestigt, von Privatinitiative abhängige offene Gesprächskreise konnten auf Dauer nicht mehr konkurrieren.
Manches, was in Aulendorf entstanden ist und diskutiert wurde, hat dennoch weitergewirkt. Zwei Berufsgruppen, die sich in Aulendorf konstituiert haben, setzten ihre Treffen über das Ende der Gesellschaft hinaus fort, die Architekten des „neuen Bauens“ und die südwestdeutschen Archivare, die letzteren bis heute. Bei beiden Gruppen hat sich der Aulendorfer Horizont rasch auf fachliche Belange verengt.
Inge Scholl konnte in Ulm ihre mit Aulendorf eng korrespondierenden Ideen institutionell dauerhaft umsetzen (*Schüler 1996, 2000, 2002). Otto Feger gelang es im gleichen Jahr des Scheitern des Instituts für oberschwäbische Landeskunde die Genehmigung des Konstanzer Stadtrats für die Satzungen des „Städtischen Instituts für Landschaftskunde des Bodenseegebiets“ zu erlangen, das 1951 seine Arbeit aufnahm und 1958 in den „Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte“ umgewandelt wurde (*Endemann 2001, S. 22-68). Zwei Jahre nach dem Ende der Gesellschaft Oberschwaben wurde der Plan einer katholischen Akademie doch noch realisiert, in der Akademie der Diözese Rottenburg- Stuttgart mit dem von Michel und Steinbüchel inspirierten ersten hauptamtlichen Direktor Alfons Auer und später 1973 dem Tagungshaus in Weingarten (*Akademie 1991. *Öhlschläger 1994. *Schütz 2004, S. 174-207). Fürst Waldburg-Zeil gründete 1952 mit der „Abendländischen Akademie“ ein Diskussionsforum nach seinen Vorstellungen (*Dornheim 1993, S. 362ff.) Einige der Intentionen Michels mögen durch das zweite Vatikanische Konzil eingelöst worden sein (*Groß 1996, S. 3f., 230ff.).
Zwei Personen aus dem Führungskreis der Gesellschaft, Baron Schenk von Stauffenberg und Paul Binder, engagierten sich in Distanz zu ihren bisherigen Positionen bereits 1949 im konservativen „Laupheimer Kreis“, einem anfänglich einflussreichen politischen Gesprächskreis unter Leitung des Laupheimer Schlossbesitzers Ulrich Steiner (*Häußler 1999. *Raberg 2002, Gesprächskreise).
Drei Einzelpersonen trugen die genuinen Aulendorfer Ideen weiter und versuchten, sie in ihren Berufsfeldern umzusetzen: die theologischen Impulse Josef Rieck mit der gezielten Werbung seiner Buchhandlung und Wilhelm Geyer mit der Botschaft seiner Kirchenfenster, die regionalistischen Ansätze Walter Münch als Landrat von Wangen mit dem Forum der Landschaftsversammlungen und dem Planungsverband Oberschwaben (°Münch 1961. *Münch 1965. *Wäschle 1995). Auch seine Versuche, Selbstverständigungsprozesse dieser Landschaft in Gang zu bringen und zu organisieren, wehrten die Region und seine Kollegen nach seinem Amtsverlust durch die Kreisreform ab. Eine Brücke von der „alten“ Gesellschaft Oberschwaben zur Gegenwart schlägt das Literarische Forum Oberschwaben, gegründet von Walter Münch als Literarische Arbeitsgemeinschaft des Planungsverbands, seit dem Tod des Gründers geleitet von Oswald Burger, dem ersten Chronisten der Gesellschaft Oberschwaben.
Der ehemalige Vorsitzende der Gesellschaft, der Saulgauer Landrat Karl Anton Maier, äußerte noch 1953, die Gesellschaft Oberschwaben „sei nicht tot.“ Hugo Häring kommentierte: „So möchte sie also doch eines tages wieder ein lebenszeichen von sich geben. Wäre sehr schön und auch wichtig.“ (14. 11. 1953). 1996 wurde wieder eine Gesellschaft Oberschwaben allerdings mit dem einschränkenden Zusatz „für Geschichte und Kultur“ gegründet, die insbesonders die Intention des seinerzeitigen Instituts für oberschwäbische Landeskunde fortzuführen versucht (*Kuhn 2002, Renovatio, S. 292ff. und Anhang, S. 337f.). Die neue Gesellschaft will auch nicht nur eine Gesellschaft in Oberschwaben, sondern eine Gesellschaft von Oberschwaben für Oberschwaben zu sein. Mit „Republikanismus“, „heiterer Moralität“ und „glückhafter Rückständigkeit“ versucht die neue Gesellschaft wieder, länger schon als die alte Gesellschaft und wiederum nicht unangefochten, „brauchbare Traditionen“ zu identifizieren und ihre „oberschwäbische Idee“ zu propagieren.
Veröffentlicht in: Manfred Bosch u. a. (Hg.): Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1800-1950. Biberach: OEW, 2006, S. 377-394.