Angesichts der stets unzureichenden und gefilterten Informationsweitergabe der Provinzen an die Ordensleitung war die Visitation deren wichtigstes Instrument eigener Informationsbeschaffung und Kontrolle der Provinzen. Ordensintern setzten die Zisterzienser erstmals systematisch die Visitation ad vitiorum correctionem et caritatis conservationem ein. Das 4. Laterankonzil schrieb allen Orden regelmäßige Visitationen iuxta morem Cisterciensium vor, mit allerdings nur beschränktem Erfolg.74 Die ersten Konstitutionen des Paulinerordens um 1370 und 1500 erwähnten die Generalvisitationen neben den Visitationen durch die Vikare und Provinzialprioren nur beiläufig, erst die Konstitutionen von 1643 und deren Neufassung von 1725 regelten die Generalvisitationen detailliert.75 Wenn der Visitator aliquam consuetudinem dissonam regulari observantiae advertet, eam exterminet, & ad debitum vivendi modum, ac maiorem devotionem fratres redigat, nec ullomodo patiatur in aliquo conventu etiam minimo, communes caeremonias, & sanctas insitutiones a quoquam negligi.76 Es gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Generalpriors alle drei Jahre jede Provinz mit allen Konventen in persona zu visitieren, nur durch Krankheit oder wichtige Geschäfte gehindert, konnte er Kommissare entsenden. Die Realität sah anders aus. Die ersten Visitatoren aus Ungarn sollen um 1368 nach der ersten Gründungswelle die schwäbischen Klöster besucht haben. Von weiteren Visitationen wird erst wieder 1520 und 1596 nach dem zeitweiligen Zusammenbruch der Ordensorganisation durch die Türkenkriege berichtet. Im 17. Jahrhundert entsandte die Ordensleitung 1608, 1616, 1632, nach dem 30jährigen Krieg wieder 1651, 1659, 1666 und 1691 Visitatoren, zweimal den Generalvikar, dreimal Generaldefinitoren, einmal den istrischen Provinzdefinitor.
Erstmals in der Geschichte der schwäbischen Provinz reiste 1718 der Generalprior persönlich an. Seine Nachfolger erschienen 1724, 1730, 1760, 1772 und 1775 wiederum persönlich, dazwischen schickten sie 1721, 1736, 1748, 1763, 1766 und 1781 je einmal den Generalvikar und einen Generaldefinitor, dreimal den Generalsekretär und einmal einen ungarischen Provinzdefinitor. Es gab also längere Zeiträume, in denen die Ordensleitung nur durch die Provinzleitung über die Zustände in der schwäbischen Provinz informiert wurde und über keine eigenen unmittelbaren Kenntnisse verfügte. Aber selbst bei den Visitationen gewonnene Erkenntnisse wurden lange Zeit nicht im institutionellen ‚Gedächtnis’ der Ordensleitung gespeichert. Als sich der Generalprior Johannes Kristolovecz 1718 auf seine Visitationsreise nach Schwaben vorbereiten wollte, fand er im Ordensarchiv keinerlei Aufzeichnungen früherer Visitationen oder sonstige Informationen de statu huius provinciae. Erst aus den Akten der schwäbischen Konvente konnte er während seiner Visitation Nachrichten über die früheren Visitationen zusammenstellen. Er fertigte dann auch erstmals einen ausführlichen Bericht über seine Reise mit detaillierten Beschreibungen der schwäbischen Klöster.77 In den Acta generalia wurden dann noch 1721, 1730, 1736 und nochmals 1760 ähnlich ausführliche Berichte festgehalten, in den übrigen Jahren begnügte man sich wieder mit knapperen, oft nur formellen Einträgen.
Gerne machte sich niemand aus der Ordensleitung auf den weiten Weg nach Schwaben. Viarum asperitas et itineris longitudo schreckten, und oft begründeten die Generalprioren mit schlechter Witterung, Kriegsläuften, eigener schlechter Gesundheit oder anderen dringenden Pflichten ihr Fernbleiben. Nur advocato Divino adiutio, considerando monitum s. Pauli: Omnia possum in eo, qui meconfortat, wagte sich der Generalprior 1718 auf den Weg. Nach seiner Rückkehr dankte er, dass er nur mit göttlicher Hilfe tam asiduum, et tam longum iter susceperat. Illi ergo laus, et gloria, per infinita saecula.78 Eine Visitationsreise nach Schwaben mit An- und Rückreise, den Aufenthalten in den fünf Paulinerkonventen, Höflichkeitsbesuchen bei Landesherren, Bischöfen und in Klöstern sowie dem Präsidium des Provinzkapitels hielt die Generalprioren im Durchschnitt zwei Monate von ihrer Residenz in Maria Tal fern. Die Anreise in jeweils gemieteten Kutschen oder auf eigenen Pferden über Wien, der Donau entlang und über München und Memmingen nach Langnau oder über Ulm nach Rohrhalden dauerte etwas mehr als zwei Wochen, wenn nicht noch Aufenthalte in Wien oder Ruhetage unterwegs dazukamen, die Rückreise auf einer ‚Ulmer Schachtel’ auf der Donau abwärts konnte in etwas mehr als einer Woche bewältigt werden. In der Regel wurde der Visitator von einem weiteren Mönch und zwei Dienern begleitet. Dass der Generalprior Graf Esterhazy 1772 und 1775 mit zwei weiteren Mönchen, vier Dienern, sieben Pferden und eigenem Wagen anreiste, blieb die Ausnahme.
In diesem Fall vermerkten die schwäbischen Mönche in ihren Chroniken dankbar den Eindruck, den der Generalprior als Angehöriger einer ungarischen Magnatenfamilie und tamquam abbas infulatus bei seinen Besuchen an verschiedenen Höfen im Umkreis der schwäbischen Klöster hinterließ und von dessen Auftreten etwas Glanz auf die im Schatten der großen Reichsabteien stehenden schwäbischen Paulinern fiel.79 Zuvor kam es stets den Interessen der Provinz entgegen, wenn der Generalprior darauf verzichtete, persönlich zur Visitation in Schwaben zu erscheinen oder einen anderen Visitator zu entsenden. Denn fast jedes Mal, wenn alle drei Jahre der Provinzialprior den Generalprior zur Generalvisitation und zum Provinzkapitel einzuladen hatte, bat er unter Hinweis auf die hohen Kosten und die Armut der Provinz, vom persönlichen Erscheinen abzusehen und einen Mönch der eigenen Provinz als Kommissar mit der Visitation und dem Präsidium des Provinzkapitels zu beauftragen und so Kosten zu sparen.80 Diesem Antrag wurde vielfach entsprochen, sei es dass sich niemand aus der Ordensleitung zur Reise bereit fand, sei es um den Wünschen der Provinz zu entsprechen. Der Auftrag an einen Mönch, im Auftrag des Generalpriors die eigene Provinz zu visitieren, bedeutete stets eine Auszeichnung und empfahl den Kommissar zu weiteren Ämtern. Falls er nicht ohnehin schon ein Amt als Provinzialprior oder Vizeprovinzial versehen hatte, wurde er fast immer auf dem Provinzkapitel, dem er präsidierte, nun zum Provinzialprior oder Vizeprovinzial gewählt. Insofern konnte die Ordensleitung durch die Auswahl des Mönchs, den sie mit der Visitation beauftragte, u. U. einen gewissen Einfluss auf die Visitation selbst, aber auch auf die zukünftige Provinzführung ausüben.
Ab 1671 ist eine nahezu lückenlose Abfolge von Generalvisitationen alle drei Jahre nachweisbar, durch Vertreter der Ordensleitung oder durch von ihr beauftragte Mönche der schwäbischen Provinz. Dabei war sich die Ordensleitung durchaus bewußt, dass nur commissarii extranei sinciorem informationem dare orderentur, quam domestici, qui provinciam suam certo denigrare recusarent, vero omnia bene currere referent.81 Obwohl von den 35 bekannten Visitationen ab 1671 nur sechs die Generalprioren selbst durchführten und mit sieben extranei commissarii, dagegen mit 22 Visitationen Mönche der schwäbischen Provinz als commissarii domestici beauftragt wurden, klagte die Provinz, die häufigen Visitationsreisen aus Ungarn nach Schwaben würden die Provinz ruinieren, selbst die Dächer der Klostergebäude könnten deshalb nicht mehr repariert werden.82 Die Kosten einer Visitationsreise eines Generalpriors, das viaticum, betrugen jeweils um die 500 fl., die die Provinz zu übernehmen hatte. Das schien nicht unzumutbar, zumal die Generalprioren bei ihren Visitationen feststellen mußten, dass die schwäbischen Klöster über größere Kapitalbestände verfügten und nach ihrer Meinung in Bezug auf die Zahl ihrer Mönche größere Einkommen bezogen als die anderen Provinzen, so dass sie den Eindruck gewannen, die Schwaben tam pauperes semper se simulaverint.83
Aber letzlich ging es bei den Versuchen, Visitationen durch die Ordensleitung zu verhindern, um die Abwehr des Ziels der Visitation: exacta legum atque constitutionum observantia. Die Ordensleitung warf der Provinz deshalb vor, sub defensu expensae oppugnat officium et obligationem generalis, hocque unice desiderat, ut non videantur mala eorundem opera, nec corrigantur, nec compellantur ad observantiam.84 Denn die Visitatoren verkündeten manchmal nach Abschluss der Visitation in einem Konvent nur für diesen Konvent geltende Anweisungen, immer aber im jeweils der Visitation folgenden Provinzkapitel für die ganze Provinz verbindliche ordinationes salutares, durch deren Befolgung die festgestellten Missstände behoben werden sollten.85 Aus dem 17. Jahrhundert sind nur einzelne Anweisungen aus den Jahren 1616, 1651 und 1653 überliefert. Die externen Visitatoren des 18. Jahrhundert hinterließen umfangreiche Anordnungskataloge in den Jahren 1718, 1721, 1724, 1730 und 1760, von den heimischen Visitatoren wurden nur 1739 und 1769 solche Anordnungen festgehalten. Der erste Generalprior, der 1718 die Provinz besuchte, fand alle Anweisungen des 17. Jahrhunderts nicht mehr beachtet und war entsetzt über die vielfachen Abweichungen in den Gebräuchen der schwäbischen Pauliner von den Bestimmungen der Konstitutionen und den Beschlüssen der Generalkapitel. Er sah es als seine Pflicht, wiederum die conformatio ad alias provincias durchzusetzen. Si enim hodie in quocumque conventu modica ultra regulam, et statuta tollerentur, et quasi obdormietur laxitas, paulo post transibit in ruinam disciplinae regularis.86 In 14 Punkten rügte er Verstöße gegen die Ordensgesetze, v. a. in Bezug auf das gemeinsame Chorgebet, insbes. die Feier der Matutin um 4 Uhr statt um Mitternacht, das Verhalten im Refektorium, die Verletzung der Klausur, die Fastengebote, den Ordenshabit, Rasur statt Bärten more eremitico, die Personalunion von Provinzialprior und Konventsprior, die Finanzverwaltung und Schriftführung. Die Schwaben fanden articulos non salutares, sed noxivos.87 Gleich beim folgenden Generalkapitel von 1718 baten sie um Aufhebung der Anordnungen des Generalpriors und Zulassung ihrer bisherigen Praktiken in den ihnen wichtigsten Punkten: der Verbindung der Ämter des Provinzialpriors mit der eines Konventspriors, der Feier der Matutin um 4 Uhr, einer besseren Stoffqualität des Habits und bisheriger Regelungen der Finanzverwaltung. Mit ihren Anträgen scheiterten sie beim Generalkapitel 1718 ebenso wie mit ihren erneuten Anträgen 1724 und 1727 und mit ihrer Beschwerde beim Kardinalprotektor des Ordens, mit der Ausnahme, dass das Generalkapitel das Gebot des mitternächtlichen Chorgebets auf das Noviziatskloster Rohrhalden und in Bonndorf auf die Feiertage beschränkte. Dennoch fanden die nachfolgenden Visitatoren weiterhin diversissimum modum ab aliis provinciis vor und wiederholten die Anordnungen 1721, 1724 und 1730. 1721 und 1730 mussten sie feststellen, dass die Provinzialprioren die ablehnenden Bescheide der Generalkapitel nicht einmal an die Konvente weitergeleitet hatten.88 Unverhofft kam der Provinz eine mächtigere Instanz zu Hilfe, die päpstliche Nuntiatur in Luzern. Die einzigen weiteren ordinationes eines Mitglieds der Ordensleitung begnügten sich 1763 mit Regelungen der Studienordnung, wieder mal der Rechnungsführung und des Schriftverkehrs.