Der erste Geschichtsschreiber des Ordens, Gregorius Gyöngyösi, hatte noch Anfang des 16. Jahrhunderts die Anfänge seines Ordens in der Niederlassung von Eremiten in Ungarn nach der Taufe König Stephans und der Vereinigung der verstreuten Eremiten und Eremitorien im 13. Jahrhundert gesehen.33 Im 17. und 18. Jahrhundert suchte eine Reihe von Publikationen nachzuweisen, dass Paulus von Theben nicht nur Ordenspatron, sondern eigentlicher Ordensgründer, und die Pauliner folglich der älteste und vornehmste Orden der Kirche sei.34 Statt sich auf die eigentlichen, wenig bekannten Gründer, Bischof Bartholomäus von Fünfkirchen (Pécs) und Domherr Eusebius von Gran (Esztergom), zu beziehen, schufen sich die Pauliner so eine wesentlich eindrucksvollere bis ins frühe Christentum zurückreichende Gründungstradition. Hatten schon die Gründer des 13. Jahrhunderts bis auf die ganz kurze, sehr allgemein gehaltene Regel des Bischofs Bartholomäus keine Texte hinterlassen, so berichtet auch die weit verbreitete Vita s. Pauli des Hl. Hieronymus nur von Kindheit, Jugend und Ende des Wüstenvaters, ohne Texte von ihm zu überliefern.35 Als der hl. Paulus als Gründer des Paulinerordens propagiert und den Ordensmitgliedern als exemplar perfectionis christianae empfohlen wurde,36 erinnerten an die eremitischen Anfänge nur noch die abgelegenen Standorte vieler Konvente. Die Seelsorge, ob die ordentliche Pfarrseelsorge in den schwäbischen Konventen oder die außerordentliche Wallfahrtsseelsorge in den osteuropäischen Klöstern, nicht mehr die eremitische Kontemplation prägte das Leben der Pauliner in der frühen Neuzeit. Dass das Vorbild des hl. Paulus als cultor solitudinis, abstinentiae exemplum und humilitatis ornamentum dem „Ausbruch aus der vita eremitica“ und dem „Zugang zur Wissenschaft“ im Wege stand, traf für das 17. und 18. Jahrhundert nicht mehr zu.37 Die Diskrepanz zwischen den konfligierenden Aufforderungen, ad exemplum […] patriarchae intendere und ad vitam activam in der Seelsorge, entfachte offenbar keinerlei Konflikte und Diskussionen im Orden.38 Der Orden hatte folglich kein klares Profil, aber es scheint für ihn von Vorteil gewesen zu sein, dass die Konvente und Provinzen nicht auf bestimmte Tätigkeitsschwerpunkte festgelegt waren. In den heutigen Konstitutionen rühmt sich der Orden der flexibilitas als stabile animi familiae nostrae elementum.39
Eine charismatische, historisch fassbare Gründerperson und paradigmatische spirituelle Texte fehlten folglich den Paulinern. So konnte es über deren Interpretation auch nicht wie in anderen Orden zu grundlegenden Konflikten bis hin zu Spaltungen kommen. Als erster spiritueller Text des Ordens hat sich in einem Kodex des Klosters Grünwald aus dem späten 14. Jahrhundert eine sehr allgemein gehaltene Novizeninstruktion des Franziskaners David von Augsburg (gest. 1272) erhalten.40 Mit dem Druck der ordenseigenen Breviere und Messbücher zwischen 1486 und 1540, der nunmehr verbindlichen Biographie des Ordenspatrons von Valentinus Hadnagy 1511 und den Werken von Gregorius Gyöngyösi versuchte der Orden endlich einen Textcorpus zu konstituieren, der für sein Selbstverständnis wegweisend sein sollte.41 Aber die ungarischen Wirren verhinderten eine tiefere Wirkung und Rezeption.
Im 17. und 18. Jahrhundert publizierten Mitglieder des Ordens wiederum eine Reihe Werken zur Ordensverfassung, Ordensgeschichte, über den Ordenspatron, zur ordenseigenen Spiritualität und für die Seelsorgepraxis. Im Gegensatz zur Praxis wurde eine eremitisch-kontemplative Lebensweise und die bereits im 15. Jahrhundert rezipierte ‚devotio moderna’ weiter propagiert.42 In den bei den Aufhebungen erstellten Bibliothekskatalogen der schwäbischen Konvente finden sich die meisten ordenseigenen Publikationen verzeichnet,43 insges. ca. 30 Werke mit den vorherrschenden Druckorten Wien, Tyrnau (Trnava, heute Slowakei) und Preßburg (Bratislava, Slowakei). In der Langnauer Bibliothek lassen sich unter den insges. ca. 1800 Werken insges. knapp hundert Werke mit Druckorten in Ostmitteleuropa unter Einschluss von Wien ermitteln. Ihnen standen aber etwa 700 Werke mit süddeutschen Druckorten gegenüber mit Augsburg an der Spitze, es folgten Ingolstadt, Dillingen, München, Konstanz und Salzburg.44 Zwar besaß man das einzige von einem Pauliner verfasste philosophische Lehrbuch, doch breiter vertreten waren die philosophischen und theologischen Lehrbücher von Professoren der Salzburger Benediktineruniversität.45 So stand den schwäbischen Paulinern die ordenseigene Literatur als Integrationsmedium durchaus zur Verfügung und darüber hinaus verfügten sie über eine schmale Auswahl theologischer und historischer Werke aus dem regionalen Umfeld der Kerngebiete des Ordens. Doch dominierte die Literatur aus dem regionalen monastisch-kulturellen Umfeld der schwäbischen Klöster.
Die Gegenprobe auf Bücher aus Süddeutschland in ostmitteleuropäischen Paulinerbibliotheken läßt sich mangels gedruckter Kataloge kaum anstellen, doch finden sich in einigen ungarischen Bibliotheken verstreut einige Bücher mit vor allem Augsburger und Salzburger Druckorten, darunter auch wieder einige Werke der Salzburger Benediktiner.46 Die Differenzen zwischen dem Thomismus ‚strenger Observanz’ der süddeutschen Benediktiner und dem laxeren Thomismus der das Bildungswesen in Ostmitteleuropa stärker dominierenden Jesuiten können sich bei den geringeren Anforderungen der Pauliner an das Studienniveau kaum regional trennend ausgewirkt haben.47