Elmar L. Kuhn

Oberschwaben und das Konzil von Konstanz 1414-1418


 

 

 

Bevölkerung und Wirtschaft

Ein tiefer Einschnitt und ein schockartiger Bruch für die Bevölkerung und die Wirtschaft lag erst ein halbes Jahrhundert zurück. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts hatte die sich von Asien aus eingeschleppte Pest viele Menschen in Europa dahin gerafft. Aus Oberschwaben liegen die ersten Nachrichten von 1348 vor, dann folgen mehrere Wellen bis 1359. Im Durchschnitt sollen dem Schwarzen Tod etwa ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen sein, aber das konnte von Ort zu Ort sehr verschieden sein. In den Städten, wo die Menschen auf engem Raum hausten, starben eher mehr, auf dem Lande weniger. In der Nähe haben wir nur aus Laimnau bei Tettnang genauere Zahlen. Dort wurden 1353 100 Häuser gezählt, vor der Pest seien es 150 gewesen, also ein Schwund von genau einem Drittel. Kleinere Siedlungen verschwanden ganz und wurden ebenso aufgegeben wie weniger ergiebige Ackerfelder.

Land

Die überlebenden Bauern konnten ihre Lage verbessern, ihre Höfe vergrößern und bisweilen mehrere Höfe in ihrer Hand vereinen. Die Einkommensverluste wegen sinkender Getreidepreise aufgrund der sinkenden Nachfrage konnten die Bauern damit ausgleichen, nicht aber ihre Grundherren. Um Bauern für die Bewirtschaftung ihrer Höfe zu gewinnen, mussten die Grundherren oft günstigere Leihebedingungen gewähren. Mit der Auflösung der geschlossenen Fronhofverbände streuten die Lehenhöfe eines Grundherrn oft weit ebenso wie die Eigenleute eines Leibherrn. In Retterschen (heute Gemeinde Kressbronn a. B.) gehörten um 1400 5 Höfe Bürgern von Lindau als Lehen von St. Gallen, daneben waren das Spital Lindau, das Damenstift Lindau, ein Schwesternkonvent in Buchhorn und um 1500 auch die Grafen von Montfort begütert.

Die Lehnsformen waren von Grundherrschaft zu Grundherrschaft und oft innerhalb einer Grundherrschaft extrem verschieden. So verlieh das Kloster Salem seine Höfe formal immer nur auf ein Jahr, die Truchsessen von Waldburg auf zehn bis zwanzig Jahre, die Grafen von Montfort meist als Schupflehen auf Lebenszeit des Bauern, das Kloster Langnau als Erblehen. Lindauer Bürger verliehen in Retterschen einen Hof auf 30 Jahre.

Die rechtlichen Verhältnisse der ländlichen Bevölkerung waren noch sehr unterschiedlich, von den wenigen verbliebenen Freien, über die Freizinser, sog. „Gotteshausleute“ bis zu den Eigenleuten. Einwohner von Retterschen bezeichneten sich als St. Galler „Vogtleute“ mit einem besseren Rechtsstatus als Leibeigene. In Bermatingen waren etwa zwei Drittel der Einwohner „Gotteshausleute“ des Klosters Salem, die übrigen waren Leibeigene anderer Herren, meist der Grafen von Heiligenberg. Um die Abwanderung ihrer Bauern in die wachsenden Städte zu verhindern, verlangten die Leibherren oft sog. „Masseneide“, in denen sich die Leibeigenen eines Dorfes verpflichteten, nicht ohne Erlaubnis wegzuziehen, andernfalls würden ihre Güter beschlagnahmt oder hatten die verbleibenden Dorfbewohner die Abgaben der Flüchtigen mitzutragen. Einen solchen Eid verlangte auch das Spital Lindau von seinen Eigenleuten. Die Stadt Lindau sicherte den Grafen von Montfort 1476 zu, dass sie zukünftig keine gräflichen Eigenleute mehr als Bürger aufnehme.

Stadt

Die Leinwandproduktion ab etwa 1200 und die Barchentweberei seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts für den Export nach Südeuropa hatte die Blüte der oberschwäbischen Städte ermöglicht. Oberschwaben zählte zu den „Räumen mit der größten Gewerbedichte im Reich“ (Quarthal). Die sinkenden Getreidepreise erhöhten nun die Kaufkraft der städtischen Konsumenten, die Landflucht von Bauern in die Städte mit dem besseren Rechtsstatus der Bewohner ermöglichte weiteres Wachstum der Städte und einen weiteren Aufschwung des städtischen Gewerbes und Handels. So klagt der Graf von Montfort gegen die Stadt Lindau, sie würde seine Eigenleute als Bürger aufnehmen, die ihm damit verloren gingen. Das wachsende Produktionsvolumen und die Kapitalkraft der Großkaufleute ermöglichte um 1400 die Gründung der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft.

Überlingen war allerdings die große Ausnahme unter den oberschwäbischen Reichsstädten. Dominierte in den anderen Städten das Gewerbe, so lebten die Überlinger fast ausschließlich vom agrarischen Umland, vom Weinbau und Getreidehandel. Dennoch galt es als die wohlhabendste unter den oberschwäbischen Reichsstädten, jedenfalls zahlte es die höchste Steuer an das Reich.

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