Mehr als durch das Wort hat die Region durch das Bild, die bildende Kunst geglänzt. Überregionalen Rang hat die Kunst in einigen Perioden erreicht: im Frühmittelalter mit der Reichenauer Wand- und Buchmalerei, in der Hochgotik mit der Plastik des „schönen Stils“ des 14. Jahrhunderts, m. E. mit den Holzbildwerken der Spätgotik und einigen wenigen Bauten des Barocks wie der triumphalen Basilika Weingarten und den Wallfahrtskirchen Birnau und Steinhausen. Das Verhältnis dieser Stilepochen zu ihrer Zeit lässt sich schwer auf einen Begriff bringen, am ehesten die pausbäckigen Madonnen der Spätgotik zur bürgerlichen Saturiertheit der prosperierenden Städte. Wenn man die Schillerschen Kategorien von Anmut und Würde anwenden will, Anmut als zwanglose Schönheit und Würde als Gestaltung des Sollens gegen Widerstände,43 dann zeichnet Würde die künstlerische Produktion der klösterlichen Bildungsinseln in einer noch barbarischen Umgebung aus, Anmut die Werke der Hochgotik in einer Zeit des Aufblühens der Städte und des Gewerbes, während in der Agrarkonjunktur des Barocks mit seinen versteinerten politischen Verhältnissen Würde und Anmut nebeneinander bestehen. Als die gesellschaftlichen Verhältnisse ab 1770 aufbrechen, antwortet die Kunst mit einer Gegenbewegung, sie erstarrt im Frühklassizismus in formelhafter Ornamentik. Der Provinzialisierung der Region im 19. Jahrhundert entspricht die Provinzialisierung der Kunst.
Dem Aufbruch in die Moderne im 20. Jahrhundert folgt die Region verzögert und stets mit harmonisierender Tendenz. „Glückhafte Rückständigkeit“ der Region hat ihr künstlerisches Pendant in der Zurückhaltung gegenüber allen Avantgardismen und Expressionismen.
Kunst hat also immer einen bestimmten Entwicklungsstand der Gesellschaft widergespiegelt, den „Sinn“ einer Epoche ausgedrückt. Sie hat zeitweise weit über die Region hinaus ausgestrahlt, zeitweise sich mit bloßem Nachvollzug allgemeiner Tendenzen sich begnügt. Im Erheben und im Begnügen, in der utopischen Vision, im heitern Spiel, in der biederen Angleichung vermittelte sie Sinn-Anstöße. Mit dem Verlust der Kategorie des Schönen und dem Verzicht auf Sinn-Gestaltung nimmt die Kunst heute nur noch eine resignative und damit affirmative Position zur gesellschaftlichen Realität ein und weist keinen Weg mehr aus der Sinn-Losigkeit.44