Elmar L. Kuhn

Der schwäbische Adel im "Prozess der Zivilisation"


Graf Johann I. von Montfort-Tettnang-Rothenfels. Porträt von Bernhard Strigel, 1520. Kunstsammlung Würth.Graf Johann I. von Montfort-Tettnang-Rothenfels. Porträt von Bernhard Strigel, 1520. Kunstsammlung Würth

Graf Johann II. von Montfort-Tettnang-Rothenfels. Porträt von Bernhard Strigel, 1523. National Gallery of Ireland, Dublin

Manieren

Der Chronist trauert den alten Zeiten nach, in denen der Adel noch „die welsche und newe hofweis und ceremonien nit gebraucht, sich dero beschempt hetten“,3 sondern freundschaftlich und vertraulich miteinander umging. Da konnte ein Graf einfach in die Küche eines Standesgenossen gehen und sich Fisch und Wein bringen lassen. Damals sprachen sich die Grafen noch gegenseitig mit Spitznamen an, was die jungen Herren später gar nicht mehr goutierten.4 Es bereitete auch keine Probleme, dass drei Grafen bei einem Reichstag zusammen in einer Kammer nächtigten oder gemeinsam einen Festwams besaßen.5 Der Adel legte noch keinen Wert auf „cöstlichkeit der claider“.6 Aber die Zeiten änderten sich. Jetzt wandelten hohe Herren „in iren langen nachbelzen und den hochen hüeten, wie Türken oder Moscowitter […] oder in den großen, langen lumpenhosen wie die monstra“.7 Zunächst spottete man noch über die neuen aufwendigen Kleidersitten, so als Graf Johann II. von Montfort-Tettnang-Rothenfels (+1547) in einem „kurz mentele mit vergulten knepfen“ auftrat und fortan sich nicht mehr traute, das „Mäntele“ zu tragen. Ein Lehensmann, ein „vornehmer alter Ritter“, sah Graf Konrad von Kirchberg VIII. (+1470) in seiner modischen Kleidung „für ain Walhen“ an, worüber sich der Graf so schämte, dass er sich von einem Diener Mantel und Hut auslieh. Aber es konnte auch passieren, dass ein Adliger in zobelbesetzter Schaube, einem glockenartigen Überrock, einen Grafen mit einem abgeschabten Ziegenpelz gar nicht mehr als Adeligen erkannte, wofür der sich auf unfeine Weise rächte.8 Nicht nur wegen seiner Vorliebe für einen einfachen Lebensstil, sondern auch wegen der Kosten kritisiert Zimmern die neue Kleidermode: „es mags nit lang thuen uf deutsch esen und welsch klaiden.“9

Vielmehr als am unmäßigen Essen nimmt der Chronist am unmäßigen Trinken Anstoß, dem „schandtlich saufen […], welches doch den leib und die seel krankt und schwecht“, wie es früher so nicht üblich gewesen sei. „Der allmechtig doch dem grausamen laster zuwider ain mittel schaff!“10 Zu diesen Urteilen veranlasste den Chronisten vielleicht seine eigene Erfahrung. Bei seiner Hochzeit sprach man „den gesten nach deutschen prauch dermasen zu, das niemands nüechtern darvon kam.“ Der Bräutigam selbst „wardt also zugedeckt, … das er am danz wie ain block umbfiel“.11 Ein Vater konnte sich rühmen, sein Sohn müsste lernen zu spielen und zu saufen. Der Sohn Graf Johanns, Ludwig I. von Sulz (+1544), soff sich denn auch zu Tode, und Zimmern führt eine Reihe anderer Fälle auf. Graf Christoph Ludwig von Tengen (+nach 1552) bedauerte gar, dass er nicht dabei war, als ein anderer Graf sich zu Tode trank. Dass man bei unmäßigem Essen und Trinken nicht mehr alle Körperfunktionen beherrschte, verursachte noch keinen Skandal, sondern führte stets zu großem Gelächter.12

All die Streiche, die sich der Adel gegenseitig spielte und die der Chronist so genüsslich erzählt, würden wir heute als pubertäre Verhaltensweisen betrachten. Da spucken sich die Herren bei einem Grafentag in Ulm in Anwesenheit einer Ratsdelegation gegenseitig Kirschkerne ins Gesicht. Die während des Bauernkriegs nach Rottweil geflüchteten Adligen und Äbte beschütten sich mit Spülwasser und Mehl. Der Bauernjörg, Truchseß Georg III. von Waldburg (+1531), hüllt den verwandten Truchseß Wilhelm (+1557) mit Bettfedern aus einem aufgeschnittenen Kissen ein und ruiniert so dessen Wams. In Schloss Scheer bewerfen sich Herren und Damen „mit angeruertem hundass“ und verwüsten Kleider und Räume. Graf Georg von Lupfen setzt beim Abendessen nach einem Bundestag des Schwäbischen Bundes in Ulm seinem Reisegenossen Wolf Dietrich von Pfirt die Ohren seines Pferdes vor, die dieser in der Wut abgeschnitten hat. Graf Michael von Wertheim pinkelt einem arroganten jungen Adeligen, der sich vordrängelte, in den Ärmel. Nach einer Jagd wirft Graf Christoph von Werdenberg die blutigen Hirschhäute über die anwesenden Fräuleins und besudelt sie. Graf Ludwig I. von Löwenstein (+1524) schüttet seiner Frau Tinte ins Parfümfläschchen, die sie sich ins Gesicht tupft.13 Alles endet immer wieder mit großem Gelächter, nur die Frau des Grafen von Löwenstein enterbt im Ärger ihren Mann.

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