Baldassare Castiglione (1478-1529). Porträt von Raffaello Sanzio. Louvre Paris.
Am plausibelsten argumentiert Elias, wenn er sich auch allzu sehr am französischen Hof orientiert. Aber all diese Theorien bleiben relativ abstrakt. Der konkrete Verhaltenswandel ist zumindest für den schwäbischen Adel vorläufig nicht nachvollziehbar. Trotz der ‚kulturalistischen Wende‘ befasst sich auch die allgemeine Literatur zur Geschichte des Adels nicht mit diesem Thema. Im neuen Handbuch ‚Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich“, das im Gegensatz zum Titel die Verhältnisse bis Mitte des 17. Jahrhunderts erfasst, finden sich nur einige Teilaspekte, am ausführlichsten noch zu den wechselnden Kleidermoden. Ein einschlägiger Aufsatz von Werner Paravicini über den ‚Alltag bei Hofe“ charakterisiert den mittelalterlichen Hof „als trinkende, lärmende Männergesellschaft“ und beschränkt sich hinsichtlich des Wandels auf den Hinweis auf den „Corteggiano“ des Baldassare Castiglione.56 Bernhard Theil konstatiert in seinem Aufsatz „Methodische Fragen zur neueren Adelsforschung“, dass sich die Forschung heute verstärkt „für adeliges Verhalten, für Bewusstsein und Selbstverständnis der Adels“ interessiere, nennt dann aber nur mögliche Quellenbestände. Das Begleitwerk zur Sigmaringer Ausstellung ‚Adel im Wandel‘ thematisiert zwar den Funktionswandel des Adels von der Frühen Neuzeit zur Moderne, nicht aber seinen Verhaltenswandel in der Frühen Neuzeit.
Leider gibt es wohl keine ähnlich ergiebige Chronik einer Adelsfamilie wie die Zimmernsche in Schwaben aus späterer Zeit. In Familiengeschichten und Biographien einzelner Adliger finden sich sicher einige Puzzlesteine zum Thema, wie z. B. das Reglement des Grafen Franz Anton von Waldburg-Zeil für die Erziehung seines 1750 geborenen Sohnes Max Wunibald.57 Am ausführlichsten hat sich Bernd Mayer mit Teilaspekten befasst, Kindheit und Jugend, sowie dem Tod auf Schloss Wolfegg, allerdings im ersten Text vornehmlich im 19. Jahrhundert.58
Als Indizien für ein verstärkt formelles, ritualisiertes Verhalten lassen sich die Vergrößerungen der höfischen Haushalte und der landesherrlichen Verwaltungen interpretieren.59 Auch die Bauten und die Porträts können als Quellen zum Thema gelesen werden. Gründe für die Abkehr von den grobianischen Verhaltensweisen und die Übernahme höfischer Manieren waren sicherlich weniger unmittelbare Reaktionen auf die Differenzierung der Gesellschaft als das Bemühen, in der Statuskonkurrenz mithalten zu können und in der Wahrung der Standesehre nicht zurück zu fallen.
Wir freuen uns über die Erzählfreude der Zimmernschen Chronik. Weniger wissen wir über Verhaltensänderungen des Adels in der Folgezeit.
Vortrag auf der Tagung „Die Grafen von Zimmern und die Kultur des schwäbischen Adels“ in Meßkirch 2012.