Elmar L. Kuhn

Die österreichische Provinz des Paulinerordens


Die Verfassung

Die Provinz, nicht das einzelne Kloster bildete für die Pauliner „le cadre habituel de leur activité, tant sur le plan juridique, que sur le plan sociologique“.120Oberstes Organ der Provinz war das Provinzkapitel, zu dem sich die Kapitularen der österreichisch-kroatischen Provinz dreimal in Lepoglava einfanden, die Provinzkapitel der österreichischen Provinz tagten immer in Wiener Neustadt mit Ausnahme von 1729, wo es in Mährisch Kromau stattfand. Einberufen wurde das Kapitel in der Regel vom Generalprior auf den vierten Sonntag nach Ostern, meist im Mai. Fast alle österreichischen Provinzkapitel leitete als Praeses der Generalprior oder im Falle seines Ausscheidens aus dem Amt vor dem Ende seiner Wahlperiode der vicegeneralis gubernans. Nur zweimal, 1750 und 1768, entsandte der Generalprior seinen Generalvikar als Vertreter und beim letzten Provinzkapitel 1783 einen Generaldefinitor. In die entfernte schwäbische Provinz reisten dagegen im 18. Jahrhundert nur sechs Mal die Generäle selbst an, in sechs Fällen schickten sie den Generalvikar, ihre Sekretäre oder Definitoren und elf Mal beauftragten sie Mitglieder der schwäbischen Provinz als ihre Kommissare mit dem Präsidium.

Teilnahme- und stimmberechtigt beim Provinzkapitel waren idR der Generalprior als Praeses, sein collega minor und sein Sekretär, die österreichischen Mitglieder des Generaldefinitoriums, also ein Generaldefinitor und bisweilen der Generalvikar, der Provinzialprior, sein collega minor und sein Sekretär, der Vizeprovinzial, die emeritierten Provinzialprioren als patres provinciae, die vier Provinzialdefinitoren, die Prioren, die discreti der formierten Konvente, die Doktoren der Theologie und die Professoren.121Da manche Kapitularen mehrere Funktionen kumulierten, bestand das Provinzkapitel idR aus 20 – 25 Personen. Aufgabe des Provinzkapitels war es, die Ämter der Provinzleitung und der einzelnen Konvente zu besetzen und anstehende Probleme zu beraten.

Bis 1735 wurden die Provinzialprioren immer nur für eine Wahlperiode von drei Jahren gewählt. Erst ab 1735 wurde eine einmalige Wiederwahl, also eine Amtszeit von sechs Jahren, die Regel. Nur Benedikt Heisler wurde als Provinzialprior nach den sechs Jahren und der Amtszeit eines anderen Provinzialpriors nochmals für drei Jahre wiedergewählt. Amtszeiten von vier oder gar fünf Wahlperioden wie in Schwaben kamen in der österreichischen Provinz nicht vor. Nach seiner Wahl durch das Provinzkapitel bestimmte der Provinzialprior zwei Patres als „collega minor“ und Provinzialsekretär zu seiner Unterstützung, wozu er die Zustimmung des Provinzkapitels benötigte. Der österreichische Provinzialprior leitete nie in Personalunion als Prior einen Konvent, was in Schwaben die Regel war und einen dauernden Konflikt mit der Ordensleitung provozierte. Er verfügte über Einnahmen in der Größenordnung eines begüterten Konvents,122deren Quellen derzeit unklar sind. Sicherlich flossen ihm auch Mittel aus den Umlagen der einzelnen Konvente über die Provinzkasse, die „corbona“ zu. Er konnte zumindest zeitweise auch die Überschüsse aus einem Haus in Wien (I. Bezirk, Heidenschuß 3) vereinnahmen, dessen Eigentum der Konvent in Wiener Neustadt für sich reklamierte, dessen Unterhalt aber die Provinz finanzierte. Die Einnahmen betrugen z.B. 1732-35 jährlich brutto 220, netto 150 Gulden.123Um dieses Haus gab es häufiger Streit, zum einen mit Mietern, zum andern mit Klöstern der eigenen und anderer Provinzen, die ebenfalls beanspruchten, in diesem Haus eine Unterkunft zu finden, wenn ihre Konventualen in Wien zu tun hatten. Der Provinzialprior residierte wohl immer in Wiener Neustadt. Fuhr er aus, so konnte er vier Pferde vor seine Kutsche spannen, während dem Generalprior, dem kroatischen Provinzialprior und sogar dem Prior von Lepoglava sechs Pferde erlaubt wurden,124was im Reich nur Personen fürstlichen Ranges zustand. Nach Ende seiner Amtszeit verlieh dem emeritierten Provinzialprior das Provinzkapitel idR den Titel eines „pater provinciae“, was ihm das weitere Stimmrecht bei den Provinzkapiteln sicherte.

Vizeprovinziale konnten auch mehrfach hintereinander wiedergewählt werden, so amtierte Franz Bossli zwölf Jahre und Nepomuk Goldscheider neun Jahre ohne Unterbrechung. Immerhin in zwei Fällen leiteten sie gleichzeitig als Prioren einen Konvent, beide Male Oboriste. Erst ab der Mitte des Jahrhunderts rückten die Vizeprovinziale idR später in das Amt des Provinzialpriors auf. Nur eine Minderheit von Definitoren war gleichzeitig Prioren von Konventen, was in der schwäbischen Provinz die Regel war. Im 17. Jahrhundert protestierten mehrfach Konvente dagegen, dass ihre Pioren gleichzeitig als Definitoren amtierten, da sie dann zu häufig abwesend seien.1251738 dispensierte der Generalprior die Provinz vom Verbot, dass Prioren zu Provinzdefinitoren gewählt werden konnten, aber schon 1747 hob sein Nachfolger diese Dispens wieder auf. Dennoch wurden auch in der Folgezeit noch einige Male beide Ämter kumuliert.

Außerdem wählte das Provinzkapitel in weitere Provinzämter die Professoren, ggf. die Korrepetitoren, den Novizenmeister, den Provinzprocurator, die „discreti“ zu den Generalkapiteln und die „ejectores incorrigibilium“. Ihren angesehenen Wissenschaftler Mathias Fuhrmann entsandte die Provinz 1744 als „procurator ad aulam“ an den Kaiserhof. Das Provinzkapitel besetzte auch fast alle Ämter in den einzelnen Konventen. Da die Prioren nur im Ausnahmefall auch im Definitorium vertreten waren, räumte die österreichische Provinz den Konventen und ihren Prioren eine deutlich geringere Autonomie ein als die Schwaben und verstärkte die zentralistischen Züge der Provinzleitung.

Vor der Wahl der Prioren hatten der „discretus“ jedes Konvents „de vita & moribus sui prioris ac observantia regulari per ipsum promota vel neglecta … fidelem informationem“ zu geben.126Nur 1768 wurden diese Berichte protokolliert.127Der Prior von Ranna wurde für seine Amtsführung gelobt, er müsse nur gegen arrogante und besserwisserische Patres energischer vorgehen. Auch das Urteil über den Prior von Wiener Neustadt fiel positiv aus. Der „discretus“ von Mährisch Kromau gab über seinen Prior dagegen „malam … informationem“. „De contemptu ordinationum provincialium, tum de manifesta inoboedientia“ hatte er kniefällig das Kapitel um Verzeihung zu bitten. An der Amtsführung des Priors von Oboriste wurde Kritik vor allem wegen einer schlechten Wirtschaftsweise geübt. In Maria Trost waren sechs Patres mit ihrem Prior zufrieden, die anderen beklagten sich über seinen Despotismus. Der Prior von Hernals konnte ein lobendes Schreiben seines Konvents vorweisen.

Außer ihren Berichten hatten die discreti Gelegenheit, „postulata“ vorzutragen. Davon machten sie nach den erhaltenen Protokollen bei den Provinzkapiteln sehr viel weniger Gebrauch als bis 1699 bei den Generalkapiteln. Nur bei fünf Provinzkapiteln trugen sie insges. zwölf Punkte vor. Davon betrafen vier finanzielle Fragen und zwei Befreiungen vom mitternächtlichen Chorgebet, was abgelehnt wurde, die übrigen Einzelfragen wie die Ordnung des Archivs, die Jurisdiktion des Provinzialpriors, das Haus in Wien und 1783 die Verlängerung der Wahlperiode auf sechs Jahre, was der Praeses ebenfalls ablehnte.

Nach den Wahlen fasste das Kapitel die Ergebnisse seiner Beratungen in „articuli“ oder „ordinationes salutares“ als verpflichtende Regelungen für die Provinz zusammen. Von 19 Kapiteln sind solche Anordnungen erhalten, in denen 63 Punkte geregelt werden. Die meisten, 13 Punkte, betrafen wieder finanzielle Fragen, die ordentliche Rechnungsführung, die korrekte Verbuchung einzelner Einnahmen, die Umlageschlüssel gemeinsamer Aufwendungen etc. In Zusammenhang damit standen die acht Regelungen, die die Verwaltung der „deposita“ betrafen, privater im Konvent hinterlegter Geldbeträge der Mönche zur Bestreitung persönlicher Ausgaben. In ebenfalls 13 Punkten befassten sich die „ordinationes“ mit Fragen der Konventsgemeinschaft. Sie suchten vor allem Fraktionsbildungen in den Konventen zu verhindern und die Objektivität der Berichte der „discreti“ über die Amtsführung der Prioren sicher zu stellen. Sieben Punkte gingen auf Fragen der mönchischen Lebensführung ein, zweimal wurde das Kartenspiel verboten, Trinkgelage und Fasnachtstreiben wurden untersagt, das nächtliche silentium und das Abstinenzgebot am Mittwoch eingeschärft, die Tischordnung angemahnt. Fünf Mal wurde das Problem behandelt, dass sich die Patres nicht mehr an die Vorschriften der Konstitutionen bezüglich des Ordenshabits hielten. So musste an die Vorschrift erinnert werden, dass der Habit „ex panno albo vili“, aus weißem billigen Wolltuch gefertigt sein sollte,128wogegen die Patres im Sommer lieber Habite aus Leinen oder Baumwolltuch trugen. Auch zogen sie es vor, beim Ausgang statt der Kapuze ein Kollar (‚römischer Kragen’) anzulegen, wodurch sie nicht mehr als Mönche erkennbar seien. Das wurde ebenso verboten wie schwarze seidene statt weißer Tonsurkäppchen („pilei“) und rote breite Gürtel. Nach 1744 war der Habit kein Thema eines Provinzkapitels mehr, man scheint gegenüber den Abweichungen resigniert zu haben. Keine größeren Missstände wurden beim officium divinum festgestellt, unter den zehn Punkten wurde nur die Vernachlässigung des Choralgesangs gerügt, wurden die „collationes vespertinae“ und „sermones“ für die Konversen angemahnt, Privilegien der Befreiung von der mitternächtlichen Mette und die Widmung der Messen geregelt. Im Vergleich dazu gab es in Schwaben mehr Anlass zu Beanstandungen des Chorgebets, die österreichischen Patres scheinen ihre Pflichten ernster genommen zu haben. Die Kritik an einer unzulänglichen oder fehlenden Klausur spielte in Österreich kaum eine Rolle. Vergleichbare Probleme hatten beide Provinzen mit ihrem Finanzgebaren und Abweichungen im Habit.

Wenn der Generalprior in Schwaben 1721 beklagte, seine Anordnungen würden „in paucis satis“ befolgt, so klang allerdings seine Feststellung beim österreichischen Provinzkapitel 1738 noch negativer: „non sine ingente dolore animadversum esset, quod salutares ordinationes, articuli et puncta … pro exactiore regularis disciplinae observantia zelose facta in compluribus locis prorsus negligantur, nimisque observantur, imo quasi contemptui et pro inconditis habeantur“.129

Vor der nochmaligen Verlesung aller Beschlüsse durch den Sekretär am Ende des Provinzkapitels verlieh der Praeses, meist der Generalprior selbst oder in seinem Auftrag, bewährten Professoren den Titel eines Doktors der Philosophie oder der Theologie, im Ausnahmefall auch nur eines Baccalaureus. Das Generalkapitel von 1757 hatte die Zahl der Doktoren der einzelnen Provinzen festgelegt und der österreichischen Provinz zwölf zugestanden, der schwäbischen und istrischen nur sechs (wobei von den schwäbischen Patres nie mehr als drei gleichzeitig den Doktortitel führten), der ungarischen 18, der polnischen 15 und der kroatischen 13. Die Professoren übten ihr Amt meist nur für eine Wahlperiode von drei Jahren aus. Es lässt sich ein ‚cursus honorum’ vom Professor der Philosophie (im späteren 18. Jahrhundert über den Professor der hl. Schrift) zum zweiten und dann zum ersten Professor der Theologie verfolgen. Häufig folgte eine Karriere in der Provinzleitung.

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