Elmar L. Kuhn

Die Landvogtei Schwaben


Vom Verwaltungsbezirk des Reichs zum österreichischen Territorium

Bis weit ins 15. Jahrhundert wird das Wirken der Landvögte fast nur in der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Herrschaften, dem Schutz der Klöster, dem Einsatz für den Landfrieden, dem Hochgericht und dem Einzug der Reichssteuern fassbar. Wenig war von den ursprünglichen Rechten der Landvogtei übrig geblieben. Aber sobald Österreich zunächst nominell und dann real Pfandherr der Landvogtei wurde, setzte es seine Rechts- und Machtmittel ein, sein Bündel von Herrschaftsrechten im südlichen Oberschwaben zu einem realen Territorium zu verdichten. Schon 1473 versuchte Herzog Sigismund alle Prälaten, Adligen und Städte im Hochgerichtsbezirk der Landvogtei zur Huldigung aufzufordern, was die Anerkennung der Landsässigkeit und des Verzichts auf Reichsunmittelbarkeit bedeutet hätte. 1515 berief der Landvogt alle „Anstösser“ als „Insassen“ der Landvogtei zu einem Landtag ein und wiederholte nach dem Misserfolg die Ladung 1523, jeweils gegen den Protest der Geladenen. 1529 verzichtete König Ferdinand auf weitere Ladungen und verpfändete die Landvogtei sogar an einen „Anstößer“, den Truchsess Georg von Waldburg, dessen Familie noch 1520 von Österreich der Adel abgesprochen wurde. Auch nachdem Österreich die Landvogtei 1541 wieder ausgelöst hatte, versuchte es bis ins 18. Jahrhundert immer wieder, eine fürstliche Oberherrschaft über die oberschwäbischen Reichsstände zu beanspruchen, letztlich ohne Erfolg.

Erfolgreicher war Österreich im südlichen Oberschwaben. Die Schussen vom Bodensee bis etwa auf der Höhe von Weingarten bildete die Ostgrenze der Grafschaft Heiligenberg mit ihrem Land- und Hochgericht. Im 15. Jahrhundert gelang es der Landvogtei Schwaben, den breiten Geländestreifen zwischen Rotach und Schussen von der Grafschaft Heiligenberg loszureißen und nun hier das Hochgericht auszuüben. In Teilen ihrer Grafschaft verfügten die Grafen auch über das Niedergericht. Bis ins späte 15. Jahrhundert hatten sie Amtleute u.a. in Alberskirch und Hefigkofen eingesetzt und das Gericht in Hefigkofen besetzt, das auch über Alberskirch, Eggartskirch und wohl auch weitere spätere Taldorfer Teilorte Recht sprach. Ebenso wie das Heiligenberger Hochgericht eignete sich der Truchsess von Waldburg als Landvogt auch die Heiligenberger Niedergerichtsrechte in diesem Gebiet gewaltsam an. Das Gericht in Hefigkofen wurde aufgelöst und sein Bezirk dem bereits bestehenden landvogteilichen Gericht in Ailingen angeschlossen.8 Weniger Erfolg hatte Österreich gegenüber den Grafen von Montfort, denen sie nur einen kleinen Landstreifen im Norden der Herrschaft Tettnang entreissen konnten.9 Das ohnehin kleine Hochgerichtsgebiet der Reichsstadt Ravensburg reduzierte König Ferdinand 1547 und schlug einen Bereich der Landvogtei zu.10 Den Freien auf Leutkircher Heide entzogen die Landvögte die freie Gerichtswahl und zwangen ihnen das landvogteiliche Hochgericht in Altdorf und das um 1485 neu eingerichtete Niedergericht in Tautenhofen auf.11

Als die schwächsten Gegner erwiesen sich die oberschwäbischen Reichsprälaten, die eigentlich nur der Schirm- und Schutzvogtei der Landvogtei unterstanden. Kaiser Friedrich III. hatte die Landvögte im späten 15. Jahrhundert mehrfach angewiesen, die Rechte der Klöster zu achten und hatte ihnen die Reichsunmittelbarkeit zugesichert.12 Aber seit der Regierungsübernahme König Maximilians nutzten die Landvögte mit königlicher Unterstützung die Schirmvogtei als Hebel, den Klöstern Herrschaftsrechte zu entziehen und sie für den Aufbau einer möglichst geschlossenen Landesherrschaft um Ravensburg einzusetzen. Im südlichen Oberschwaben war im Spätmittelalter die niedere Gerichtsbarkeit in der Regel an die Grund- und Leibherrschaft gebunden.13 Eben diese Herrschaftsrechte befanden sich um Ravensburg meist in den Händen der Äbte von Weingarten und Weißenau, die damit auch über Alltagsverstöße ihrer Untertanen in ihren „Gotteshausgerichten“ urteilen ließen. Dagegen stand der Landvogtei „zunächst fast nirgendwo Gerichtsherrschaft und Niedergericht zu“.14 Gestützt auf ihre Interpretation der Schirmvogtei, politisch gedeckt durch die Macht Österreichs, entzogen die Landvögte in zermürbenden Konflikten über Jahrzehnte ihren Schirmklöstern diese Rechte, eigneten sie sich selbst an, schnitten also den Klöstern den Weg zur Flächenherrschaft ab, um selbst in der Landschaft um Ravensburg in einem Streifen bis zum Bodensee eine geschlossene Landesherrschaft aufzubauen, während außer im Allgäu die Landvogtei sonst auf zersplitterte Hochgerichtsbezirke beschränkt blieb. 1499 besetzte der Landvogt das Kloster Weingarten und entzog ihm Niedergericht und Steuerhoheit über 565 Höfe. 1522 widerrief Kaiser Karl V. alle Privilegien des Klosters Weißenau, sprach ihm das Niedergericht und das Besteuerungsrecht ab und bezweifelte sogar die Reichsunmittelbarkeit des Stifts. Erst 1533 kam es zu einem Vertrag, nachdem Truchsess Georg von Waldburg die Landvogtei erworben hatte, wonach dem Abt von Weißenau die Regelung von Streitigkeiten mit seinen Leibeigenen und die Bestrafung von Bagatelldelikten zugestanden wurde, während die übrige Niedergerichtsrechte und die Steuerhoheit der Landvogtei überlassen werden musste.15

Dass die seit dem späten 15. Jahrhundert österreichische Landvogtei ein Territorium aufbauen und als Landesherr den größeren Teil der späteren Gemeinde Taldorf verwalten konnte, war also das Ergebnis ihrer gewaltsamen Machtpolitik gegenüber den bisherigen Rechtsinhabern. Auf zwei Wegen gelangte die Landvogtei zu den Niedergerichtsrechten in dem Gebietsstreifen zwischen Rotach und Schussen: Als Herren des Landgerichts im Linzgau verfügten die Grafen von Werdenberg im größeren Teil dieses Gebietsstreifens auch über das Niedergericht, mit dem Hochgericht eignete sich die Landvogtei auch das dortige Niedergericht an. Ihre Rechte als Schirmvogtei interpretierte die Landvogtei gegenüber dem Kloster Weißenau extensiv in Richtung einer Kastvogtei und entzog ihm das Niedergericht.

Ähnlich gewaltsam vorzugehen gegen die Reichsstädte, wagte Österreich nicht. So unterstanden Bavendorf und Taldorf zwar dem Hochgericht der Landvogtei, aber das Niedergericht in beiden Orten verblieb der Reichsstadt Ravensburg.16 Kurzfristig kam die Landvogtei 1607/09 dem Kloster Weißenau wieder entgegen und überließ ihm die Niedergerichtsrechte u. a. um Oberzell, widerrief sein Zugeständnis aber 1622. Fast am Ende des Alten Reiches führten die immer wieder erneuerten Bemühungen der Weißenauer Äbte um Erweiterung ihrer Rechte nochmals zu einem Erfolg: Die hoch verschuldete Reichsstadt Ravensburg überließ dem Kloster 1674 das Niedergericht in Taldorf. Österreich verpfändete 1760 Weißenau die dortige Hochgerichtsbarkeit zusammen mit allen Gerichtsrechten in einigen Orten auf 40 Jahre, womit die Äbte nun in einem Teil ihrer Grundherrschaft endlich uneingeschränkte Landesherren waren.17 Weißenau profitierte von einem Richtungswechsel der österreichischen Politik in der Landvogtei. Österreich verzichtete nun vielfach auf Hochgebietsrechte in Klosterherrschaften gegen ansehnliche Zahlungen der Klöster, intensivierte aber die Herrschaft in seinen Gebieten mit voller Landesherrschaft, so auch im Kern der Landvogtei.

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