Elmar L. Kuhn

Die schwäbische Provinz des Paulinerordens ...


Der Konvent als soziale Gruppe

Gruppenexistenz und -bewußtsein setzen eine Mindestzahl der Mitglieder und eine gewisse Dauerhaftigkeit der Gruppenbeziehungen voraus. Dauerhaftigkeit mag bis ins 17. Jahrhundert gewährleistet gewesen sein, solange die Professen „stabilitas“ zu geloben hatten183. Allerdings gab es im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert überhaupt nur in Langnau einen eigentlichen Konvent mit mehr als zwei bis drei Mönchen184. Als die Konvente seit dem späten 17. Jahr-hundert wieder größer wurden, galt die „stabilitas“ nicht mehr, und konnten die Mönche jederzeit in ein anderes Kloster der Provinz versetzt werden. Bei jedem Provinzkapitel wurden die Konvente neu ein und aufgeteilt, und auch bei jeder Visitation konnten „mutationes“ angeordnet werden. Für den Bonndorfer Konvent kann zwischen 1745 und 1781 die jeweilige personelle Zusammensetzung genau rekonstruiert werden185. 71 Patres gehörten während dieses Zeitraums dem Bonndorfer Konvent an, 54 % der jeweils neun bis zehn Konventualen wurden alle drei Jahre während der 12 Wahlperioden ausgewechselt. Jeder Mönch blieb im Durchschnitt 4,8 Jahre in Bonndorf, länger als sechs Jahre hintereinander lebten nur sechs Patres hier, davon drei über drei Perioden, am längsten Johann Nepomuk Iagmeth, der 1751 bis 1772 und 1775 bis 1781 das Kloster als Prior leitete. Die meisten Patres liebten diesen Wechsel, sonst hätten sie nicht nach 1784 so sehr auf ihm bestanden, als Fürstenberg ihn einige Jahre verwehrte. Aber einzelne Mönche wehrten sich auch gegen die Abordnungen, so Gregor Luzan nach seiner Absetzung als Provinzial, und 1774 P. Gerhard Uhl, der sich beim Konstanzer Bischof beschwerte, worauf er „capucio et scapulari privatus, carceri mancipatus“ wurde, bis er sich fügte186.

Die vortridentischen Konstitutionen sahen eine jährliche Resignation der Prioren vor mit der Möglichkeit der Bestätigung in ihrem Amt durch den General oder Provinzialprior. General oder Provinzial ernannten also die Prioren faktisch auf unbestimmte Zeit187. Wie die schwäbischen Prioren eingesetzt wurden, wird aus den Quellen nicht recht durchsichtig. 1688 behauptete der montfortische Landschreiber, vor 1610 hätten die Grafen die Langnauer Prioren eingesetzt. 1601 wurden aber der damalige Prior durch den Provinzial, die anderen Prioren und die Langnauer Konventualen abgesetzt und ein neuer eingesetzt. 1610 schloss Graf Johann von Montfort als Vogt mit Provinzial, Prior und Konvent des Klosters Langnau einen Vertrag, daß mit Wissen und Bewilligung des Vogts der Provinzial „cum ceteris prioribus et fratribus in monasterio Langnaw professis in loco capituli consueto“ jeweils einen Prior wählen konnten, dass der Graf aber ein Vetorecht gegen den präsentierten Kandidaten hatte. Übte er es aus, musste die Wahl wiederholt werden. Ein bestätigter Prior durfte nur mit Zustimmung des Grafen abgesetzt werden188. 1628 wählte der Langnauer Konvent „samt anderer Interessierter“, also wohl der anderen Prioren, einen neuen Prior für Langnau, wobei der Graf vorher angekündigt hatte, welchen Kandidaten er nicht bestätigen würde. 1636 lehnte der Provinzial die Wahl des Priors ab, weil „dieses per via electionis nicht geschehen kann und unseres Ordens Statuten ... zuwider“, verwies auf sein Ernennungsrecht, holte aber die Meinung des Grafen ein, ob Bedenken gegen seine eigene Person bestünden. 1688 verwies der Provinzial wiederum darauf, dass der Vertrag von 1610 den Ordenskonstitutionen zuwider laufe und die „priores locales ... a superioribus denominiert und abgesetzt“ würden. 1719 erklärte der General bei seiner Visitation den Vertrag von 1610 gegen den Protest des Grafen förmlich für nichtig. 1729 kam es dann zu einem neuen Vertragsschluss, wonach das Bestellungsverfahren dem Orden überlassen wurde, der Graf aber sein Vetorecht gegen einen präsentierten Kandidaten „wegen Administration bonorum temporalium“ behielt189.

Für die anderen Klöster gibt es nur Einzelnachrichten über die Verfahren. In Rohrhalden wählte und entsetzte um 1600 das Provinzkapitel den Prior190. Über die Wahl eines Priors für Tannheim konnte sich das Provinzkapitel 1582 nicht einigen. Der Provinzial teilte dem Grafen von Fürstenberg die Stimmergebnisse mit und bat ihn, den ihm genehmen Kandidaten zu benennen, worauf der Graf sich für den bisherigen Prior entschied191. 1751 behauptete die fürstenbergische Regierung, früher hätte sie den Prior von Tannheim selbst ernennen können, erst in jüngerer Zeit hätte sie sich mit der Präsentation begnügt192. Im Falle des Todes eines Priors eilte, wenn immer möglich, der Provinzial herbei und suchte Definitoren beizuziehen, um möglichst rasch einen Nachfolger im Prioramt zu ernennen und „alle vexas ..., so das ius advocatiae ... besitzt, zu procavieren“, um also Einmischungen des Vogts und Landesherrn zuvorzukommen, was meist nicht gelang, auch wenn die Pauliner beanspruchten, „quod sacer noster ordo in decessum alterius prioris poterit liberrime constituere et denominare priorem“193.

Das Bestellungsverfahren hat also drei Stufen durchlaufen: von einer eher demokratischen Wahl unter Beteiligung des Konvents über eine weitgehende autokratische Ernennung durch den Provinzial im späten 17. Jahrhundert zur Wahl durch das Provinzkapitel nach den tridentischen Konstitutionen. Immer aber war ein starker Einfluss des Landesherrn über dessen Vetorecht gegeben.

Bis 1644 war keine Amtszeitbeschränkung für die Prioren vorgeschrieben. Soweit die Amtszeiten bekannt sind, waren 20 bis 30 Jahre keine Seltenheit. Die Konstitutionen von 1644 und 1725 ließen für die Prioren wie für die Provinziale maximal zwei Amtsperioden nacheinander zu, wobei weitere zwei Amtszeiten nach jeweils einer Pause möglich waren. Die Wirklichkeit sah anders aus. Zwar lässt sich für das 18. Jahrhundert eine durchschnittliche Amtszeit aller Prioren von 4,2 Jahren berechnen. Aber um den Wechsel vom 17. zum 18. Jahrhundert blieben die Prioren länger im Amt, Eusebius Ströhle in Grünwald von 1691 bis 1730, Bernhard Pfender in Bonndorf von 1687 bis 1724, Augustin Scheible in Langnau 1688 bis 1721, aber auch im späten 18. Jahrhundert amtierte etwa Johann Nepomuk Iagmeth in Bonndorf von 1751 bis 1772 und Sebastian Lintsching in Langnau 1766 bis 1783. Nur 1754 verweigerte der General die Bestätigung der Wiederwahl von Prioren, die schon die zweite Wahlperiode hinter sich hatten194.

Der Subprior sollte Helfer und Stellvertreter des Priors sein, er konnte als Interessenvertreter des Konvents auch sein Gegenspieler sein. Nachweisbar sind Subprioren bislang für Langnau erstmals 1533, für Rohrhalden 1609 und für Bonndorf 1724. Sie wurden in Klöstern bestellt, die den Status eines Konvents und nicht bloß einer Residenz hatten, auch wenn die Personenzahl eines formierten Konvents nicht erreicht wurde. Ebenso wie die Prioren wurden die Subprioren vom Provinzkapitel gewählt, für eben die Klöster, die auch einen „discretus“ zum Kapitel entsandten. Die Subprioren verwalteten ihr Amt sehr viel kürzer als die Prioren, wohl um Erfahrungsvorsprünge und Frontbildungen zu verhindern. Sechs Jahre war die längste feststellbare Amtszeit.

Die Konstitutionen schrieben vor, dass in jedem Kloster ein Prokurator für die Wirtschaftsverwaltung bestellt werden sollte, aber das geschah in den drei formierten Konventen erst im 18. Jahrhundert, und auch dann nur zeitweise. Für Rohrhalden protokollierte der Aufhebungskommissar 1786, dass „der Prior die Prokuratur selbst verwaltet und die Wirtschaft geführt hat“195. Dafür war in der Residenz Tannheim 1802 ein eigener Prokurator für die Ökonomie zuständig. In Bonndorf und Rohrhalden wurde statt des Prokurators die deutsche Amtsbezeichnung Kellermeister benutzt.

Die Konstitutionen führen noch eine Reihe weiterer Konventsämter auf: Prediger, Beichtväter, Sakristan, Chorleiter, Hebdomarius, Lektor, Krankenwärter, Bibliothekar, Pförtner. In den kleinen schwäbischen Konventen mit ihren wechselnden Zusammensetzungen wies man diese Aufgaben offenbar nicht bestimmten Personen zu, sondern verteilte diese Pflichten nach Bedarf196. In Rohrhalden wurde 1601 noch ein Kustos erwähnt, sonst haben noch die Senioren gewisse Mitsprache und Aufsichtsrechte in finanziellen Angelegenheiten.

Konnten sich schon durch die „mutationes“ keine dauerhaften Gruppenstrukturen ausbilden, so wurde die Struktur der Konvente noch weiter dadurch kompliziert, daß ihnen amtierende oder gewesene Provinziale, Vizeprovinziale, Definitoren, gewesene Prioren, potentielle Visitatoren als Kommissare, die „discreti“ zu den Provinz und Generalkapiteln, die über die Amtsführung der Prioren zu berichten hatten, angehören konnten. Rangstreitigkeiten blieben nicht aus. Dieses Konfliktpotential konnte in dem Maße beherrscht werden, wie die Mitglieder des Konvents ihre Aufgabe als geistliche Gemeinschaft internalisierten, im „officium divinum“ sich Gemeinschaft bildete. Stabilisiert wurde die Gruppenkohärenz trotz wechselnder Mitglieder durch die oft langen Amtszeiten der Prioren.

Gemeinschaft bildete sich aber nicht nur in Pflicht und Dienst, sondern auch in der Geselligkeit, in den „recreationes“, wie sie etwa in Bonndorf 1789 zweimal die Woche von 15 Uhr bis zur Vesper gepflegt wurden „in ludo honesto aut communi ambulatione per agros aut vias planas“197. In Langnau führten die Patres gar 1749 eine „faßnachtsComedi“ auf198.

Die Prioren hatten nicht nur einen Konvent zu führen, sondern auch die klösterliche „familia“ ggf. mit Hilfe des Prokurators anzuleiten und zu überwachen, damit die Dienstboten fromm lebten, „fideliter serviant, bonum quaerentur et a malo abstineant“199. Im späten 18. Jahrhundert beschäftigten die Klöster Langnau, Rohrhalden und Tannheim folgendes Personal200:

Personal in den Klöstern


Langnau

Rohrhalden

Tannheim

Haushalt

Aufwärter

Kutscher

Konventskoch

Gesindekoch

Ofenheizer

Waschmagd

Koch

Küchenjunge

Klosterbäcker

Schaffnerin

Tischdienerin und

Aufwärterin

Obermagd / Haushälterin

Landwirtschaft

Bauhof

Gärtner

Roßknecht


Hofmeister

Gärtner

Roßknecht

Oberochsenknecht

Unterochsenknecht

Kuhhirt

Viehmagd

Schweinemagd

Küfer

Oberknecht

Unterknecht

Roßbub

Kuhhirt

Kälberbub

Obermagd

Untermagd

Mitknecht

Viehhirt

Untermagd

Kuhmagd


Argenhardterhof

Oberweingärtner



Hofmeister

Roßknecht

Obermagd

Untermagd

Hirtenmädel

Unterweingärtner

Weingärtnerbub



Mühle

Strohschneider

Zehntpächter


Müller

Magd

Zehnt- und Landgarben-einzieher

Waldschütz


In Bonndorf sollte 1802 die Zahl der „oft ungetreuen und liderlichen Domestiken“ auf Druck St. Blasiens von zehn auf drei reduziert werden: eine Haushälterin, ein Knecht, eine Stallmagd201. 1789 waren es noch dreizehn „domestici“ gewesen, neun männliche und vier weibliche202.

Der Konvent bildete den Kern eines sozialen Feldes um das Kloster, die klösterliche „familia“ war mit dem Konvent funktional verbunden, in weiteren Kreisen um diesen Kern bezogen sich geistlich die Pfarrkinder und ökonomisch abgabepflichtige Bauern auf das Kloster, meist nur temporär traten Wallfahrer, Gäste und Arme mit ihm in Verbindung. Über Gäste schweigen die Quellen weitgehend, abgesehen von Besuchen der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit. „Si qui ad nos divertere amant, amice recipiuntur et tractantur“203. Bonndorf gab um 1800 ca. 80 fl. im Jahr an Almosen aus, Tannheim etwa ein Drittel davon204. Die Landschaft der Grafschaft Tettnang beschwerte sich 1792: „In den Jahren, wo das ... Kloster (Langnau) noch bestand, war es der Zufluchtsort der armen und dürftigen Untertanen der hiesigen Landschaft und nicht selten die Aushilfe mehrerer Untertanen, welche um Geld, Früchte oder anderes verlegen waren“. Nun fielen die Armen den Ämtern zur Last205.

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