Elmar L. Kuhn

Die schwäbische Provinz des Paulinerordens ...


Der Konvent als geistliche Gemeinschaft

Erste Aufgabe der geistlichen Gemeinschaft ist das gemeinsame „officium divinum“. Für die Tagzeiten schrieben die tridentinischen Konstitutionen genaue Zeiten vor136, die vortridentinischen beließen es bei vagen Angaben, erlaubten sogar „propter domorum ordinis nostri paupertatem“137, denen, die zur Arbeit das Haus verließen, alle Horen zusammen zur Vesper zu beten. Die erste uns überlieferte Ordnung der Tagzeiten hat der Provinzial Hieronymus Leuthold 1582 für das Kloster Rohrhalden erlassen. Prior und Konvent sollen „den Gottesdienst fleißig abwarten und nicht nur ihre Horen im Gebet complieren, auch alle Tage ein gesungenes Amt, sondern auch alle Sonntag, Fest und Feierabende eine gesungene Vesper halten138. Der Tag begann mit der Matutin im Winter um vier Uhr, im Sommer vor Sonnenaufgang um zwei Uhr. Es folgte die Prim bei Sonnenaufgang bzw. um sechs Uhr, der sich unmittelbar die Terz anschloss Die Sext wurde je nach Jahreszeit zwischen halb acht und neun Uhr gefeiert, vor dem Konventsamt. Von der Non war nicht die Rede. Die Vesper beging man um halb vier oder vier Uhr nachmittags, im Winter unmittelbar darauf die Komplet. Im Sommer endete der Tag mit Komplet nach dem Abendessen139. 1718 hatten sich die Tagzeiten in beiden formierten Konventen Langnau und Rohrhalden etwas verschoben, die Matutin begann auch im Sommer um vier Uhr, es folgten die Prim um halb sieben, die Terz um halb zehn Uhr, anschließend das Konventsamt und „sexta vel nona“, die Vesper um halb vier Uhr nachmittags, die Komplet um halb sieben.

Im gleichen Jahr begann der heftige Streit zwischen Ordensleitung und Provinz um den Zeitpunkt der Matutin. Schon 1604, 1611 und 1644 hatten Visitatoren und Generäle gefordert, wo immer drei bis vier Brüder einen Konvent bildeten, müsse die Matutin im Winter um Mitternacht, im Sommer vor Sonnenaufgang gefeiert werden140. Diese Anordnungen wurden nie befolgt, aber 1718 bestand der General für die formierten Konvente darauf. Das Generaldefinitiorium befreite zwar Langnau wegen der Studenten von dieser Pflicht, beharrte aber für Rohrhalden darauf, damit wenigstens in einem Kloster der Provinz die Statuten beachtet und die Novizen die strenge Observanz kennen lernen würden141. Auch die Drohung von Novizen mit dem Austritt und gar der Hinweis, seit die Rohrhaldener Konventualen um Mitternacht aufstehen müssten, seien besonders viele Todesfälle zu verzeichnen, konnten die Ordensleitung nicht erweichen142. In Langnau und mit der Vergrößerung des Konvents auch in Bonndorf, sollte man sich wenigstens an Hochfesten um Mitternacht zur Matutin erheben143. In den Residenzen wurde die Matutin wie in Bonndorf normalerweise um fünf Uhr erlaubt, die übrigen Tagzeiten sollten wie in den anderen Konventen nach Vorschrift gehalten werden. Der Streit um die Matutin erledigte sich 1733, als der apostolische Visitator der Luzerner Nuntiatur die Provinz generell von der Matutin um Mitternacht dispensierte und sie auf vier Uhr festlegte. Dann aber sollten die Oberen auch „strictissime ... et diligentissime“ dafür sorgen, daß wirklich alle Konventualen teilnahmen144. In den folgenden Jahrzehnten änderte sich an der Tageseinteilung kaum mehr etwas, außer daß die Komplet auf abends sieben bis acht Uhr verschoben wurde145. In den Residenzen wurden nur Matutin, Vesper und Komplet gemeinsam, die übrigen Horen privat gebetet.

Ein genauer vom Bonndorfer Prior gefertigter „ordo diurnus“ lag dann wieder 1789 dem bischöflichen Visitator vor146. Der Tag begann immer noch um vier Uhr mit der Matutin und der anschließenden halbstündigen Meditation. Ab sieben Uhr feierten die Mönche ihre Messen. Um neun Uhr wurden Terz und Sext gesungen, dann das Konventsamt gefeiert, dem sich die Non anschloss. Um elf Uhr wurde zu Mittag gegessen. Die Vesper wurde Viertel nach drei Uhr gesungen „in cantu chorali vel etiam figurali“. Das Abendessen nahm man um sechs Uhr ein. Um dreiviertel acht Uhr schloss der Tag mit Komplet, Meditation und Lauretanischer Litanei. In Tannheim beschränkte sich die gemeinsame Stundenliturgie dagegen auf die Matutin um fünf Uhr und die Vesper. In Grünwald gab es keine gemeinsamen Tagzeiten mehr, „quilibet agit, quod lubet“147. 1802 hatten sich die Gemeinsamkeiten weiter reduziert. In Grünwald und Tannheim betete nun jeder Professe das Brevier privat. In Bonndorf begab sich der Konvent noch dreimal gemeinsam in die Kirche, um sechs Uhr zur Mette und Meditation, um neun Uhr zu den Tageshoren und zum Amt, um 15.15 Uhr zu Vesper, Komplet und Meditation148.

Immer wieder mahnten die Visitatoren, die Oberen sollten sich dem gemeinsamen Chorgebet nicht entziehen und die Konventualen sich rechtzeitig in der Kirche einfinden. Im späten 18. Jahrhundert war den Patres je ein „Ausschlaftag“ in der Woche erlaubt149. 1736 wurde beklagt, „choralis cantus ac thonus religionis nostrae vere totaliter extinctus“. „Cantus figuralis“ sei nur an höheren Festtagen erlaubt. Die Patres, Studenten und Novizen sollten sich wieder täglich im Choralgesang üben150. Als eine Last wurde das von den Konstitutionen vorgeschriebene zusätzliche „Officium Beatae Maria Virginis“ empfunden, immer wieder wurde diese Pflicht eingeschärft. Bei der Visitation 1789 baten mehrere Patres um Erlass. Wurde die im Orden „ex antiquis patrum nostrorum traditionibus & scriptis“151 geübte Meditation seit den eremitischen Anfängen auch in der schwäbischen Provinz bis zum Schluss gepflegt, so bereitete die ebenfalls in der kontemplativen Tradition begründete Schweigepflicht mehr Schwierigkeiten. Für die Tischlesungen schärften die Visitatoren immer wieder ein, dass regelmäßig die Konstitutionen sowie die Beschlüsse der General- und Provinzkapitel verlesen werden sollten.

Im Wochenablauf sollte in den formierten Konventen am Mittwoch eine „conferentia casuum conscientiae“ zur Erörterung moraltheologischer Fragen und am Samstag das Wochenkapitel mit einer Ansprache des Priors und den Schuldbekenntnissen der Professen abgehalten werden152. 1789 fanden die Schuldkapitel noch fast regelmäßig und die theologischen Konferenzen einige Male im Jahr statt. Einmal im Jahr, entweder in der Advents- oder Fastenzeit, sollten alle Brüder und Patres an zehntägigen „exercitia spiritualia“ teilnehmen. Auch 1789 und 1802 wurden diese Exerzitien noch weitgehend gehalten, bis auf die Kriegsjahre.

Die ursprünglich vorgeschriebenen drei Abstinenztage in Woche reduzierte das Generalkapitel 1628 unter Vorsitz des schwäbischen Generals Rudolf Bihel auf Mittwoch und Freitag153. Dass die Provinziale zu leichtfertig Dispense von den Fastenzeiten im Jahresablauf erteilten, beanstandeten die Visitatoren mehrfach. „Mortificationes extraordinariae“154 scheinen aus der Übung gekommen zu sein, auch wenn 1739 der Rohrhaldener Prior aufgefordert wurde, darin „exemplo Christi“ voranzugehen155. Geißelungen wurden 1724 als Bußübung für die Fastenzeit noch angemahnt, aber 1721 als Strafe für Studenten verlangt, die sich in der Küche herumtrieben156.

Zwar hatten Visitatoren und Ordensobere so manche Abweichungen von Konstitutionen und Statuten zu beklagen, aber zumindest in den formierten Konventen scheinen die Grundpflichten geistlichen Gemeinschaftsleben und auch einige kontemplative Übungen bis zum Schluss beachtet worden zu sein.

Aber die Pauliner widmeten sich nicht nur „religiosorum profectui“, sondern auch „proximorum utilitati“157. Den Klöstern Langnau und Bonndorf waren schon seit der Gründung die Pfarrkirchen in Hiltensweiler und Bonndorf inkorporiert. In Bonndorf158 diente die Pfarrkirche gleichzeitig als Klosterkirche, außerdem hatten die Pauliner die Filialkirche Wellendingen, das 1662 errichtete Leprosorium bzw. ab 1789 das Spital zu betreuen. Grünwald wurde 1430 die Pfarrei Kappel inkorporiert. Das Kloster Tannheim versah die Filialkirche im Dorf, das eigentlich nach Kirchdorf eingepfarrt war, und Kloster Rohrhalden die Kaplanei in Kiebingen seit 1519159. Die Pfarrkinder schätzten die Seelsorge durch die Pauliner nicht immer, da die Vikare von Hiltensweiler, Kappel und Kiebingen nicht im Dorf residierten und meist nach wenigen Jahren wechselten160.

Zur Pfarrseelsorge bedurften die Mönche jeweils einer Zulassung durch das bischöfliche Ordinariat in Konstanz auf Zeit oder auf Dauer161. Als Seelsorger unterstanden die Pfarrvikare seit dem Tridentinum der bischöflichen Aufsicht und gehörten den Landkapiteln an. Dennoch weigerten sich die Pauliner immer wieder, sich von den bischöflichen Kommissaren visitieren zu lassen. Der Prior von Bonndorf lehnte 1695 und dann 1736 trotz mehrfacher Exkommunikationsandrohungen ab, sich als Pfarrer einer bischöflichen Visitation zu stellen. 1403 hatte der Bischof von Konstanz in seiner Bestätigung der Stiftung auf alle bischöflichen Rechte verzichtet und das Kloster aus dem Kapitelverband eximiert162. Aber 1738 entschied der Luzerner Nuntius unter Berufung auf das Konzil zu Trient, daß Pfarrvikar und Pfarrkirche soweit sie die „curam animarum erga personas saeculares extra monasterium habitantes“ betrafen, die beschöfliche Visitation zu dulden hatten163. 1749 flackerte der Streit dennoch wieder auf. In Hiltensweiler verweigerte der Pfarrvikar 1735 dem Dekan den Zugang zur Kirche und rückte erst nach Gewaltandrohung den Schlüssel heraus164. Für Kappel gestand die Provinz in einem Vertrag 1730 die Mitgliedschaft im Landkapitel und dem Dekan das Recht zur Visitation zu165.

Gelegentlich halfen die Pauliner auch der Nachbarschaft in der Seelsorge aus. 1802 sollte damit die Fortexistenz von Tannheim begründet werden166. Da die Pauliner sich den aufklärerischen Strömungen nicht öffneten, konnten sie bei auswärtigen Auftritten im späten 18. Jahrhundert Ärger erregen. So beschwerte sich 1771 der Fürst von Hohenzollern-Hechingen beim Bischof von Konstanz, ein Pater aus Rohrhalden habe in der Hechinger Franziskanerkirche „den Hl. Vater Franziskus dem allerhöchsten Gott selbst gleichgestellt und die Wunder des Hl. Franziskus für dauerhafter und verdienstlicher als die von Christus bezeichnet“167.

Durch die Wallfahrten nach Hiltensweiler, Langnau, Tannheim und in geringerem Maße nach Grünwald sowie durch die Bruderschaften in Bonndorf und Langnau erreichen die Pauliner mit ihrer Seelsorge einen weit größeren Kreis als ihre Pfarrkinder. In Hiltensweiler und Tannheim wurden lokale, von der Kirche nicht kanonisierte Selige verehrt, in Langnau und Grünwald sog. Katakombenheilige. Ein Kupferstich Mitte des 17. Jahrhunderts trägt die Unterschrift „Beatus Arnoldus ... jam ultra 500 annos miraculis clarus in ecclesia Hiltensweiler ... quiescit populique frequenti accursu pie colitur“168. Die „memorabilia“ der Provinz hielten neun dem Seligen Arnold zugeschriebene und attestierte Wunder aus den Jahren 1736 bis 1749 fest169. Aber das Kloster Langnau war „cum duplici thesauro spirituali“ gesegnet, „corporis nempe S. Valentini martyris in propria ecclesia publicae venerationi ab anno 1739 expositi“170. P. Ladislaus Himmer hatte 1734 bis 1737 zu Studien und als socius des Generalprokurators in Rom geweilt und brachte von dort die Reliquien der Katakombenheiligen Valentinus und Donatus nach Hause mit. Am 30. August 1739 zum Ende des Provinzkapitels, auf dem Himmer zum Langnauer Prior gewählt worden war, erfolgte die feierliche Translation in die Klosterkirche Langnau „accursu numerosae multitudinis populi“ von 5.000 Personen zu Fuß und 300 zu Pferd171. Der Aufwand bei den dreitägigen Feierlichkeiten172 in Anwesenheit des Abtes von Weißenau und der Grafenfamilie von Montfort überstieg nach Meinung des Abtes die Kräfte des Klosters, aber Reliquien eines bzw. einer Katakombenheiligen gehörten im Barock zum Pflichtangebot eines Klosters. Weitere Notizen über „memorabilia“ verzeichneten sechs vom Hl. Valentin bewirkte Wunder von 1745 bis 1747. Der Leib des Hl. Donatus kam nach Bonndorf. Über seine Verehrung ist in der Chronik nur notiert, dass 1783 der Donatus-Altar wieder beseitigt und die Reliquien auf den Josefs-Altar übertragen wurden173. Ein auf Dauer populärer Kult entstand weder um Valentin noch um Donatus. Grünwald erhielt 1693 das Haupt des Hl. Märtyrers Luzidus geschenkt. Die Spenden der Pilger ermöglichten die Renovierung der Klosterkirche174.

In Tannheim wurde der Selige Kuno mit dem Beinamen „der Schweiger“ verehrt, der dort als Eremit vor der Übergabe der Klause an den Paulinerorden gehaust hatte. „Ab immemorabili tempore, devoto fidelium accursu honoratur & frequentibus gratiis ac miraculis ... celebratur“175. In 40 Jahren hielten die Prioren in ihren Mirakelbüchern 565 Wunder fest176. Noch 1802 stellte der Visitator fest, „das angebliche Grab des Frommen Kuno ... (wird) noch immer von den umliegenden Dörfern fleißig besucht, wo sich diese vorzüglich bei Krankheiten von Leibesbrüchen viele Hilfe versprechen und mit Rücklassung der Bruchbänder beweisen, dass sie die angehoffte Hilfe auch wirklich gefunden haben. Das Grab mit einem eisernen Gitter umgeben ist immer noch offen, und die Leute nehmen aus diesem etwas Erde mit sich nach Hause, um den Schaden zu verbinden, der ihnen so viele Schmerzen verursacht, welches öfters sollte geholfen haben”177. Der Selige wurde auch in ostmitteleuropäischen Paulinerkirchen verehrt, wovon eine Plastik an einem Seitenaltar in Marianosztra in Nordungarn und Bilder in Cakovec in Nordkroatien und in Mährisch Kromau zeugen178.

Über den Einzugsbereich der 1690 gegründeten Rosenkranzbruderschaft in Bonndorf ist nichts bekannt, sie scheint von eher lokaler Bedeutung gewesen zu sein. Sie unterstand der Visitation der Dominikaner, von der sie die Pauliner übernommen hatten179. Große Volksmengen fanden sich dagegen zum Fest der Schutzengelbruderschaft im Kloster Langnau jeweils im Oktober ein. Papst Urban VIII. hatte auf Antrag König Sigismunds von Polen dem Paulinerorden 1626 das Privileg eingeräumt, Bruderschaften zu Ehren der Hl. Schutzengel zu errichten und gewährte entsprechende Ablässe. Diese Bruderschaften können gewissermaßen als Ersatz für einen den Paulinern fehlenden dritten Orden oder ein Oblateninstitut angesehen werden. 1669 bat die schwäbische Provinz das Generaldefinitorium um die Erlaubnis, auch in Schwaben Schutzengelbruderschaften wie in Polen zu errichten180, doch kam es erst 1727 dazu. In den ersten Jahren ließen sich jeweils über 1.000 Männer und Frauen, in den 70er Jahren immer noch jedes Jahr Hunderte aufnehmen, vor allem aus dem nordöstlichen Bodenseeraum, aber auch aus Rottenburg, Vorarlberg und der benachbarten Schweiz, unter ihnen die Dominikanerinnen von Zoffingen in Konstanz und die Zisterzienserinnen von Magdenau. 1736 gründete der Langnauer Prior und Provinzial Franz Wizigmann außerdem eine Paulusbruderschaft181. Beide Bruderschaften hatten den gemeinsamen „Endzweck, daß wir in diesem JammerTal blind irrende Menschen durch die mächtige Fürsprache des Hl. Pauli, und Anleitung der SchutzEngel den Weg zu dem himmlischen Vaterland wandern, ein engelfrommes Leben führen, eines guten Todes sterben und endlich miteinander in der himmlischen Zusammenkunft uns einverleibt sehen“182. Die Schutzengel blieben allerdings als Patrone sehr viel populärer als der Hl. Paulus von Theben.

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