Elmar L. Kuhn

Die schwäbische Provinz des Paulinerordens ...


Von Ebnit 1351 nach Passau 2002

Keine Klosterkirche der Pauliner hat sich in Südwestdeutschland erhalten, Langnau und Rohrhalden wurden kurz nach der Säkularisation abgebrochen, Bonndorf und Grünwald brannten im 19. Jahrhundert aus, Tannheim wurde noch Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen. Geblieben sind der Rohrhalder Hof in Rottenburg als einziges intaktes Gebäude, zwei Klosterflügel in Langnau, ob der vielen Umbauten kaum mehr erkennbar Argenhardt und Goldbach, am eindrucksvollsten die „Anhäuser Mauer“, eine auf freiem Feld aufragende Chorseite der Klosterkirche Anhausen mit den Grabmälern der Stifterfamilie. Wer diese Mauer, das Rohrhalder Tal, die Kirche Grünwald, die Gedenkkapelle Tannheim aufsucht und dort zeitenthobene Stille vorfindet, wird sich vielleicht vorstellen, wie die schwäbischen Pauliner dort den eremitischen Impulsen ihrer Anfänge über die Jahrhunderte treu geblieben sind. Aber die Pauliner der frühen Neuzeit waren keine Wüstenväter wie ihr Ordenspatron, sie waren auch keine Eremiten mehr, und wie ihre Bauten waren ihre Bauherren nicht der Geschichte enthoben, sondern hatten eine Geschichte, mehr sie erleidend als prägend.

Um deutlichere Akzente in der südwestdeutschen Klosterlandschaft mit ihren ca. 350 Klöstern und insges. 17.000 Klerikern376 zu setzen, war der Paulinerorden mit seinen fünf kleinen Klöstern und maximal 50 Ordensangehörigen in Schwaben zu klein und zu wenig begütert. Die Ausstrahlung der bis auf die drei Schwarzwaldklöster relativ weit voneinander entfernten Ordenshäuser überschritt ihr lokales Umfeld kaum. Gegenüber den Einflüssen und Beispielen der sie umgebenden südschwäbischen Klosterlandschaft hatten es die Pauliner schwer, ein eigenes Profil zu wahren. Sie waren der Orden eines halben Jahrhunderts, der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, einer Krisenzeit im Südwesten mit Pest, Bevölkerungsschwund, Kämpfen zwischen Habsburg und der Schweiz, zwischen Adel und Städten, zwischen Patriziern und Zunftbürgern, zwischen den Anhängern zweier Päpste. Eremitische Weltflucht lag da nahe. Aber Schwaben war nicht die Wüste der Thebais377. Zwar lagen die meisten Paulinerklöster außerhalb von Siedlungen, aber das nächste Dorf war jeweils nahe, die Sitze der landesherrlichen Beamten oder gar die Residenzen nicht fern, in Bonndorf schaute man auf das dicht bebaute Dorf und landesherrliche Schloss, die Klosterkirche war gleichzeitig Pfarrkirche, in Langnau verwaltete man eine ansehnliche Grundherrschaft. Die Seelsorgeverpflichtungen banden Kräfte. Mit der „vita contemplativa“ konkurrierte immer mehr die „vita activa“. Die vom Papst oktroyierten und jesuitisch inspirierten Konstitutionen von 1644 führten die Klöster im Provinzverband näher zueinander und öffneten den Orden weiter für die pastoralen Aufgaben. Die Pauliner suchten alle Möglichkeiten des Ordenslebens miteinander zu verbinden: „Vita eremitica und Cura annimarum in einem monastischen Orden mit mendikantischer Organisation“378. Eben diese Offenheit und Anpassungsfähigkeit mag das Überleben der Pauliner in Südwestdeutschland bis zur Säkularisation, in Polen bis heute trotz aller Krisen ermöglicht haben379.

Die schwäbischen Pauliner zeichneten sich weder durch besondere Askese380 oder wissenschaftliche Leistungen aus, aber ihre monastischen Grundpflichten erfüllten sie bis zum Schluss redlich, soweit die Zahl der Konventualen geistliches Gemeinschaftsleben zuließ. Sie wollten Pauliner bleiben bis das Ende absehbar war, auch wenn sie immer wieder einen Trennung von der Ordensleitung anstrebten. Die Einbindung in die schwäbische Klosterlandschaft bestimmte im Konflikt das Bewusstsein der Patres stärker als ihre Bindung an die Ordensleitung, verdrängte aber ihr Selbstverständnis als Pauliner nicht.

Der Orden hat lange Zeit nur in zwei Klöstern in Polen überlebt, heute ist es ein junger Orden, der expandiert. Pauliner sind wieder nach Süddeutschland zurückgekehrt und haben mittlerweile sechs Klöster gegründet. 2002 hat das Generalkapitel des Ordens beschlossen, wieder eine deutsche Provinz zu errichten. Wieder ging die Initiative von Ostmitteleuropa aus und wieder führen die Verbindung zur Ordensleitung nach Osten381. In den neuen Konstitutionen von 1987 hat der Orden Flexibilität zur Norm erhoben: „Elastizität, wie auch die ihr folgende Verschiedenheit der unternommenen Erfordernisse, Aufgaben und seelsorgerliche Aktion, war ein dauerhaftes Element in der Prägung des Charakters unserer Ordensfamilie“382. Der Orden versteht sich heute aufgrund seines Zentrums in Tschenstochau als Marienorden. Damit hat er sich weit von seinen Anfängen und von seinem Gründungscharisma383 entfernt. Das Gründungscharisma, das „Leitbild einer Eremitengruppe, die sich von der Bürgerkirche absetzte ..., urchristliche Überzeugungen verfocht (...) und nicht im Tageslärm aufging“384 wäre wieder aktuell in einer Zeit, die in ihren wesentlichen Zügen wieder mit der Spätantike verglichen wird385. Die Pauliner haben sich gegen das „Christentum des Maximalismus“ der Wüstenväter entschieden386, getreu ihrer Geschichte und nicht gegen ihre Geschichte. „Solus cum Deo solo“ blieb ihr Wahlspruch in Erinnerung an das Vorbild des Ordenspatrons, aber seit Jahrhunderten wandern sie „communes in peregrinatione per tempora“387.

Veröffentlicht in: Kaspar Elm u. a. (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Paulinerordens. Berlin: Duncker & Humblot, 2000 (Berliner Historische Studien 32, Ordensstudien 14), S. 209-280

Copyright 2024 Elmar L. Kuhn