Elmar L. Kuhn

Texte des Bauernkrieges


Verfassungstexte

„Freiheit forden hieß notwendigerweise Herrschaft aufkündigen“.20Was in den Zwölf Artikeln zunächst nur negativ bestimmt war, zumindest Schwächung, wenn nicht letztlich Beseitigung feudaler Herrschaft, wurde in Bundes-, Landes-, Predigt-Ordnung und den Schwörartikeln positiv neu bestimmt: die „Christliche Vereinigung“ als Organisationsform für den Kampf, aber auch schon als neues Verfassungsmodell. Die Bundesordnung, deren zeitgenössischer Titel martialischer klingt: „Handlung, Artickel und Instruction, so fürgenomen worden sein vonn allen Rottenn unnd hauffen der Pauren, so sich zesamen verpflicht haben“, versucht anfangs Verständigungsbereitschaft gegenüber den Herrschaften zu signalisieren: „niemantz, er sei geistlich oder weltlich, zu Verdrus und Nachteil“, aber gleich mit der Einschränkung: „so vil das Evangelium und götlich Recht inhalt und anzeigt“.21Eine Reihe von Bestimmungen sind als temporäre Regelungen für eine Phase des unentschiedenen Kräfteverhältnisses gedacht. Bisherige Leistungen sollen, soweit ihre Pflicht urkundlich nachgewiesen werden kann, weiterhin erbracht werden. Gericht und Recht sollen wie bisher ihren Fortgang haben. Niemand soll mit Gewalt gegen seine Herrschaft vorgehen. Allerdings soll die Macht der Gegner neutralisiert werden. Die Burgen dürfen nicht mit Geschütz bewehrt werden und die Besatzungen müssen aus ihren Eiden auf die Herrschaft entlassen werden und sollen auf die bäuerliche Vereinigung schwören. Ungeklärt und vorläufig in der Schwebe bleibt das Verhältnis der bisherigen feudalen Ordnung, die prinzipiell ja nicht, wohl aber de facto in Frage gestellt wird, zur genossenschaftlichen Selbstorganisation der Bauern, deren Grundzüge in den Verfassungsdokumenten der Bauern entwickelt werden.

Als dauerhafte Verfassungsprinzipien und Grundwerte sollen göttliches Recht, Gerechtigkeit und brüderliche Liebe durchgesetzt werden. Schon in der Benennung als Christliche Vereinigung kommt der neue Maßstab der politischen Ordnung zum Ausdruck. Erkennbar wird eine politische Ordnung Oberschwabens in drei Stufen: Gemeinde, Haufen und Christliche Vereinigung als Bündnis der drei Haufen. In der konkreten Organisation während des Aufstandes formieren sich zwei weitere Ebenen zwischen Gemeinde und Haufen, die jeweils an Markteinzugsbereichen orientierten Plätze und Abteilungen, so dass sich ein fünfstufiger Aufbau ergibt. Alle Organe werden durch Wahlen bestimmt, an der Spitze jedes Haufens stehen vier Räte und ein Oberst. Der Rat der Organe der drei Haufen, zusammen 15 Männer, bilden kollektiv die Exekutive der Christlichen Vereinigung. Wichtige Angelegenheiten werden in der „Gemeinde“, den Vollversammlungen der einzeln Organisationsstufen beraten. Diese politische Organisationsstruktur ließ sich kaum mehr aus der Bibel begründen. Sie stützte sich auf die jahrhundertealten Erfahrungen kommunaler Selbstverwaltung, die bäuerlichen Repräsentationskörperschaften, die „Landschaften“ in einzelnen Herrschaften, verband sie mit der Heeresorganisation der Landsknechte, den Haufen, und griff Vorbilder älterer südwestdeutscher und Schweizer Bünde auf. Von dieser genossenschaftlich- bündischen Ordnung war „zur Republik [...] nur noch ein kleiner Schritt.“22Es war kein utopisches Modell, das in Oberschwaben angestrebt wurde. In Graubünden mit seinen „Gemeinen drei Bünden“ war es bereits Realität und verfestigte sich dort weiter.23

Die Landesordnung beschrieb nochmals Entscheidungsebenen und Führungsstruktur, wurde aber auf eine neue Situation hin entworfen, den offenen Kampf.24Nun galt es das bäuerliche Heer möglichst effektiv zu organisieren. Truppeneinteilung, Alarmierung, Wachen, Finanzierung, Lagerorganisation, Beuteverteilung mussten geregelt werden.

Beute gab es bald keine mehr zu verteilen, die Bauern selbst wurden zur Beute, mit Ausnahme der Seebauern, die aufgrund ihrer militärischen Stärke den Krieg entscheiden hätten können. Die Hilfe des Himmels war ihnen zu ungewiß, die brüderliche Liebe zu riskant, so scherten sie aus der Christlichen Vereinigung rechtzeitig aus und ließen sich dafür Straflosigkeit vertraglich zusichern.

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