Elmar L. Kuhn

Texte des Bauernkrieges


Das Vermächtnis

Die Texte, die Zitate belegen es, der zentrale Begriff in der Literatur des Bauernkriegs ist das „göttliche Recht“, sie zeigen aber auch, wie interpretationsfähig die biblischen Texte, das „reine Evangelium“, sind. Beide Seiten, die Bauern und die Herrschaften, nehmen für sich in Anspruch, den Willen Gottes zu exekutieren. Beide wissen mit Pathos Gott auf ihrer Seite, beide vergleichen sich mit dem Volk Israel, dem Gott selbst beim Auszug aus Ägypten in der Wolke voranzog. Die Sicherheit, das göttliche Recht zu erkennen, ist geschwunden, wenn überhaupt noch danach gefragt wird. Das ist gut so, denn es ist ein missbrauchbarer, missdeutbarer Begriff. Weder genügt ihm die bloße um jeden Preis zu sichernde Ordnung, noch darf von der Zweck-Mittel-Relation abgesehen werden. Aber dennoch muss das Kriterium der göttlichen Gerechtigkeit, wie säkular auch immer verstanden, dauerhaft ein Stachel bleiben, ein Anspruchsniveau, an dem sich soziale Realität zu messen hat. Als Aufforderung, Kritik und Maßstab von Realität, Ziel und Weg ist dieser Begriff das Vermächtnis, das uns die oberschwäbischen Bauern und ihre Texte hinterlassen haben.

Veröffentlicht in: Ulrich Gaier u.a. (Hg.): Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800. Ulm: OEW, 2003, S. 829-842.

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