Elmar L. Kuhn

Texte des Bauernkrieges


Die Beschwerden

Was die Prediger verkündeten und worauf die Flugschriften sich beriefen, das göttliche Recht als umfassendes Gestaltungsprinzip aller gesellschaftlichen Verhältnisse, griffen die Bauern rasch auf und beriefen sich darauf in ihren Beschwerden und Programmen.12 In aller Klarheit haben es die Bauern des Spitals Biberach kurz vor dem 16. Februar 1525 ausgesprochen: Sie „begeren erstlich jetz und furterhin fur uns zu nehmen das lebendig, ewig unertruckt Wort, das hailig Evangelium, so doch jetz in diser Zeit unser Vatter sich uber uns arm Sonder erbormet hat, und uns mit seinem Sun Christo Christo Jesu, der dan uns [...] worden ist die Weishait, Gerechtigkait und Erlösung durch sein unschuldigen Todt, den er uns zu Gutten ton hat, und sein ewigs Wort uns jetz zuletze gelassen hat, mit wölchem und durch wölches mir leben sollen und regieren, auch im nachvalgen.“13Die Memminger Bauern erklärten am 24. Februar: „Was uns dann dasselbig götlich wort nimpt und gibt, wöl wir alzeit gern annemen und bey demselben bleiben“, aber eben nur das.14Und auch die Rappertsweiler am Bodensee wollten Ende Februar 1525 nur noch geben , was „wir inen von gotlichem rechten schuldig sind“15

In den „Zwölf Artikeln“ legten die Führer der drei oberschwäbischen Bauernhaufen Mitte März ihren gemeinsamen Forderungskatalog vor und begründeten ihn fast durchweg aus dem Evangelium mittels Hinweisen auf Bibelstellen in den Marginalien.16Als ihr Verfasser gilt Sebastian Lotzer, der bei der Einleitung und den Bibelnachweisen von Christoph Schappeler unterstützt wurde. Die Artikel sollen auf einer Zusammenfassung der Baltringer Lokalbeschwerden basieren, sie decken sich aber in weiten Teilen, bis in den Wortlaut hinein, mit den Beschwerden der Memminger Dörfer, die wohl auch schon von Lotzer formuliert wurden. Möglicherweise hat Lotzer auch einen Text vom Oberrhein mitverarbeitet. Sein Entwurf wurde von den in Memmingen vom 6.-8. und 14.-16. März versammelten oberschwäbischen Bauernführern verabschiedet. In Oberschwaben wurde in der Folge kaum Bezug auf diese Artikel genommen, außerhalb traten sie einen wahren Siegeszug durch Süd- und Mitteldeutschland an. Ihre weite Verbreitung verdankten sie der Konzentration auf die Hauptbeschwerden der Bauern und der Offenheit ihrer Begründung aus dem göttlichen Recht für weitere Anliegen.

In der Einleitung wehrt Schappeler wie später Kessler den Vorwurf ab, das Evangelium sei der Grund des Aufruhrs. Vielmehr gebe gerade die Unterdrückung des Evangeliums Anlaß zum Widerstand. Da die Bauern nichts anderes als das „evangelion zuor leer und leben begerendt“, könne ihnen nicht Aufruhr vorgeworfen werden. In großem Sendungsbewußtsein werden die Bauern dem auserwählten Volk Israel gleichgestellt: „Ob aber got die pauren [...]erhören will, wer will den willen gotes tadlen? Wer will in sein gericht greyffen? Ja wer will seiner mayestet wyderstreben? Hat er die kinder Israhel zuo jm schreyendt, erhöret und auß der hand pharaonis erlediget? Mag er nit noch heut die seynen erretten? Ja, er wirts erretten! Und in ainer kürtz!“17Die soziale Bewegung erhält eine religiöse Weihe. Exodus 3 und 14 sollen belegen, daß Gott selbst die Führung des Kampfes übernommen hatte. Nie mehr wurden in Oberschwaben Sätze solcher Heilsgewissheit und solchen Selbstbewusstseins geäußert.

Die inhaltlichen Forderungen seien hier nur aufgezählt: Pfarrerwahl, Zehnten, Leibeigenschaft, Jagd und Fischerei, Holzrechte, Frondienste, grundherrliche Abgaben, Strafen, Allmende, Todfall. Zentral sind die Ziele der Pfarrerwahl durch die Gemeinden und die Abschaffung der Leibeigenschaft. Mit der Pfarrerwahl wird die hierarchische Kirchenstruktur entscheidend geschwächt und eignet sich die Gemeinde letztlich die Interpretationshoheit über das Evangelium und damit auch über die weltliche Ordnung an. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft wird das Feudalsystem der in den oberschwäbischen Kleinstaaten entscheidenden Grundlage beraubt. „Die Zwölf Artikel sind Beschwerdeschrift, Reformprogramm und revolutionäres Manifest zugleich.“18In der Begründung des dritten Artikels mischen sich selbstgewisse biblische Begründung, bleibende Hoffnung auf eine christliche Obrigkeit und Absehen von den revolutionären Konsequenzen: Christus hat uns „all mitt seynem kostparlichen pluetvergüssen erlößt unnd erkaufft [...] Darumb erfindt sich mit der geschryfft, das wir frey seyen und wöllen sein.“ „jn allen zimlichen und christlichen sachen“ wollen die Bauern gerne gehorsam sein, Obrigkeit stellen sie nicht generell in Frage gestellt, zumal sie hoffen, daß sie „unß der aigenschafft als war unnd recht christen geren endtlassen“ werden.19Soviel Nächstenliebe konnte kaum erwartet werden.

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