Elmar L. Kuhn

Luftschiffbau - Friedrichshafen - 1920er Jahre


Zeppelin-Wohlfahrt

Neben seinen spektakulären Produkten verdankte der Zeppelin-Konzern sein Ansehen zumindest in der Region auch seinem Image als soziales Unternehmen. Entsprechend der Ausgliederung von einzelnen Produktionsbereichen wurde auch der soziale Bereich verselbständigt und 1913 die Zeppelin-Wohlfahrt gegründet. Ihre Gründung entsprach nicht nur sozial-caritativen Erwägungen, sondern auch der wohlkalkulierten Bestrebung, die Voraussetzungen für den Zuzug weiterer Arbeitskräfte zu schaffen und die Lebenshaltungskosten in Friedrichshafen so niedrig wie möglich zu gestalten. Durch eine vorausschauende Grundstückserwerbspolitik sollten außerdem die Bodenpreiszuwächse durch das industrielle Wachstum nicht anderen überlassen, sondern teils verhindert, teils selbst ausgenutzt werden. In ihrer Organisation unterschied sich die ZW durch folgende Prinzipien von Wohlfahrts-Einrichtungen anderer Firmen:

  • Die ZW wurde als selbständige GmbH geführt.

  • Aus den Erträgen der gewerblichen („werbenden“) Betriebe der ZW sollten die rein sozialen Aufgaben finanziert werden.

  • Die Einrichtungen der ZW standen zum größten Teil nicht nur den Konzernangehörigen, sondern allen Einwohnern zur Verfügung (vgl. Wurm 1938, S. 50).

Aus der Zielsetzung, lebensnotwendige Güter möglichst günstig anzubieten, erwuchsen bis Ende des Weltkriegs so viele Einzeleinrichtungen, dass fast wieder von einem kleinen Konzern im großen Konzern gesprochen werden kann. Finanzielle Erträge sollten die „werbenden Betriebe“ der Bauverwaltung, Ziegelei, Landwirtschaft, Gaststätten und Lebensmittelversorgung abwerfen, womit die „sozialen Betriebe“ Wohnungen, Bäder, Saalbau, Bank, Fraueneinrichtungen und Bildung bezuschusst werden sollten.

Nach dem Krieg bei auf ein Drittel fallenden Arbeiterzahlen und wesentlich schlechterer Ertragslage der Firmen wurde das soziale Angebot reduziert. Im Wohnungsbereich wurde das Mädchenheim 1920 aufgegeben, die Gasthöfe Stern 1924 und Rad 1927 verkauft, das Lamm 1919 an das Kurgartenhotel verpachtet. Den Hof Lochbruck stieß die ZW 1924 ab, die Trautenmühle wurde 1919 verkauft, die Gärtnerei 1921 verpachtet, die Wäscherei ab 1920 nur noch für den eigenen Bedarf genutzt. Die Kantinen beim LBZ und in Reutin wurden 1919 aufgegeben. Die Konsum-Anstalt übernahm der sozialdemokratisch orientierte Konsumverein 1920. Die Sparbank wurde in der Inflation 1923 liquidiert und die Einlagen an die Oberamtssparkasse abgegeben. Im sozialen Bereich wurden die Frauenberatung 1919 und die Kinder- und Wöchnerinnenbetreuung 1927 eingestellt.

Über den Unterhalt der übrigen Einrichtungen hinaus wurden in den 20er Jahren kaum neue Akzente gesetzt. In den ersten Nachkriegsjahren wurden die Anstrengungen fortgeführt, die Wohnungsnot in Friedrichshafen zu lindern. Der Mangel an Wohnungen wurde jahrelang als entscheidendes Wachstumshindernis für die Friedrichshafener Industrie bezeichnet. Aus dem Kreis der Konzernbeschäftigten suchten 1918 172 und 1919 270 eine Wohnung. Für sie erstellte die Bauverwaltung der Zeppelin-Wohlfahrt 1919 bis 1922 nochmals knapp 80 bis 90 Wohnungen. 1919 – 1921 wurden das Zeppelindorf um 14 Häuser mit 37 Wohnungen erweitert und bot jetzt 142 Familien oder 735 Personen Unterkunft. Im Hüflerheim wurden die bisherigen Massenquartiere für ledige Arbeiter 1921 zu 14 Wohnungen umgestaltet. Von der 1918 geplanten großen Siedlung in den Stockwiesen südlich des Riedleparks konnten 1922 nur noch wenige Häuser errichtet werden. Darüber hinaus ließ die ZW Baracken mit Notwohnungen erstellen und kaufte noch einige einzelne Häuser auf. Insgesamt besaß sie am Ende der 1920er Jahre zusammen mit den 125 Häusern des Zeppelindorfes ca. 160 Häuser im Stadtgebiet, das waren immerhin 12 % des gesamten Hausbestands. Der Maybach Motorenbau hatte diese Bauten noch durch Zuschüsse unterstützt, außerdem aber auf eigene Rechnung nach dem Krieg noch 21 Häuser erbauen lassen. Zusammen konnten die Konzernfirmen über ca. 210 Häuser verfügen.

Neue Arbeitskräfte zu gewinnen, ohne ihnen Wohnungen anbieten zu müssen, versuchte der Konzern auch auf einem anderen Weg. Um die vermeintlichen Arbeitskraftreserven des Teuringer Tals zu erschließen und als Pendler anzuwerben, wurde 1919-1922 die Teuringer Talbahn angelegt und 1925 ihre Fortführung bis Bitzenhofen betrieben. Der Konzern argumentierte: „Ein Zuzug von Arbeitskräften aus dem Hinterlande befreit ... die Industrie ... von einem Teile der sozialen Lasten, die ihr durch Ansiedlung in der Stadt Friedrichshafen in Form von Steuern erwachsen ... In der Rücksicht auf die Konjunkturschwankungen der Industrie ist es erwünscht, wenn u. U. ein größerer Teil der Arbeiterschaft sich auf ländlichen Besitz stützen und zeitweise auf dem Land Arbeiten finden kann“ (LBZA, MB 1925 X). Die 1921 in Betrieb genommene Bahn erfüllte aber die an sie geknüpften Hoffnungen nicht. Der Personenverkehr blieb immer defizitär, schon 1923 – 1924 musste die Bahn vorübergehend eingestellt werden. An Bau und Geschäftsführung war die ZW führend beteiligt.

Größeren Erfolg hatte die ZW mit ihrer Lebensmittelversorgung, vor allem mit ihren landwirtschaftlichen Betrieben. Ab 1924 stellte sie die Höfe, insbesondere den von Verwalter Stöffler geleiteten Riedlehof und den Hof Unterteuringen, ganz auf Vieh- und Milchwirtschaft um. Beim Riedlehof wurden 1926 eine Molkerei eingerichtet, die durch Kühlung gut haltbare Flaschenmilch und erstmals für Württemberg eine gute Markenbutter von gleichbleibender Qualität anbot. Mit modernen Werbemethoden, einheitlichen Milchautos und gut organisierter Zulieferung wurde der Milchbetrieb in der Stadt bei den Firmen angekurbelt. Durch die Umwandlung von Dorfmolkereien in Zuliefer-Rahmstationen konnten die Verarbeitungsmengen an Butter gesteigert werden. Damit wurde gegen große Widerstände der Erzeuger und des Handels die Verwandlung der Milchprodukte von einem billigen, leicht zugänglichen, aber auch schnell verderblichen Lebensmittel mit knapper Handelsspanne und kurzen Vertriebswegen zu einer länger haltbaren, aber auch teureren Markenware eingeleitet. Um ein noch größeres Einzugsgebiet zu gewinnen, ging die Riedlehof-Molkerei 1929/1930 in der neugegründeten Oberland-Milchverwertung Ravensburg (Omira) auf, wo Stöffler zum Geschäftsführer avancierte. An ihn wurde auch der Riedlehof ab 1930 verpachtet, so dass der einzige neue Produktionsbereich der 20er Jahre, die Milchverarbeitung, sich damit von der ZW verselbständigte.

Natürlich wird man bei einer Beurteilung des Wirkens der ZW nicht übersehen, dass sie den Interessen der Konzernfirmen mindestens ebenso zu dienen hatte wie denen der Beschäftigten. Selbst einer Aussage wie: „Jeder Werksangehörige empfindet es als besonderes Glück, eine Wohnung im Zeppelindorf zugewiesen zu erhalten, da insbesondere die Gärten große wirtschaftliche Vorteile den Mietern bieten“ ist noch Ambivalenz anzuhören (LBZA, JB 1922). Und wenn der Konzern die sozialen Aufgaben an eine Tochterfirma abwälzte, die sowohl Rendite erbringen und soziale Aufgaben wahrzunehmen hatte, konnten beide Ziele miteinander in Konflikt geraten. Ohne beträchtliche Zuschüsse der Konzernfirmen hätte die ZW ihre Aufgabe deshalb auch nicht erfüllen können. In dem Maße, wie die anderen Firmen in Schwierigkeiten gerieten, musste folglich auch die ZW ihren Aktionsradius einschränken. So wird die Feststellung, dass diese Gesellschaft „ein lebensfähiges Wirtschaftsgebilde (darstellte), das die Gesamtwirtschaft im allgemeinen stärkte und der Friedrichshafener Großindustrie eine schätzenswerte Stütze bildete“ und „wiederholt ... preisregulierend“ wirkte (LBZA, JB 1920) wohl nur bedingt und für die frühen, m. E. für die mittleren Jahre der Republik zugetroffen haben.

In den kritischen letzten Jahren der Republik stellten sich der ZW erneut besonders dringliche Aufgaben. Da die Konzernfirmen meist in den roten Zahlen steckten, fehlten nun aber auch der ZW die Mittel. Doch bot sie in den Jahren der Wirtschaftskrise den kurzarbeitenden verheirateten Werksangehörigen, den Arbeitslosen und armen Alten eine „Winternothilfe“. An bestimmten Tagen konnten Fleisch, Wurst und Mehl zum halben Preis erworben werden. „Den Zeitverhältnissen Rechnung tragend, lässt die ZW auch ein billiges Volksbrot herstellen, im Saalbau warmes Essen zu mäßigen Preisen verabreichen, außerdem empfiehlt sie ihr Warmbad ... und ihre Bücherei (zum Aufwärmen), alles Dinge, die ihr zu Dank angerechnet werden müssen“ (Seeblatt 14. Dezember 1932).

Der Einschränkung der Tätigkeit entsprach der Personalrückgang. Am stärksten war die Bauabteilung betroffen. Beschäftigte sie allein bis 1918 250 Personen, so arbeiteten 1920 bis 1927 insgesamt im Durchschnitt nur noch 150 Personen bei der ZW. Die Zahl der Beschäftigten schwankte hier im Jahresablauf jeweils stark entsprechend dem Bedarf an landwirtschaftlichen Arbeitern. Leiter der Bauabteilung war seit 1915 der Architekt Paul Zeller, 1905-1915 Mitarbeiter von Paul Bonatz. Der schon damals berühmte Bonatz, Planer des Stuttgarter Hauptbahnhofs im Krieg, war gewissermaßen der Hausarchitekt des Luftschiffbaus (mit Ausnahme der Fabrikbauten). Er plante ganze Stadtviertel für die LBZ, wie das Zeppelindorf und die nur rudimentär verwirklichte Stockwiesenbebauuung, gab Gutachten über den Stadtbauplan ab und entwarf alle wichtigen Einzelbauten des Konzerns, wie die Colsman-Villa, den Saalbau und das Ledigenwohnheim.

Die Funktion des Direktors nahm mit Ausnahme der Jahre 1918 – 1920 (Regierungsrat Götte) bis zu seinem Ausscheiden aus dem Konzern Generaldirektor Colsman selbst wahr und dokumentierte auch damit die Bedeutung der ZW für die Konzernpolitik. Die Geschäfte führte wohl schon während dieser Zeit real Adam Wurm, der dann 1929 auch zu Direkttor befördert wurde.

Der Versuch, durch die ZW nicht nur auf die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Beschäftigten Einfluss zu nehmen, sondern das Gesicht der Stadt insgesamt in wichtigen Teilen zu prägen, musste nach dem Krieg abgebrochen werden. Vom Ziel, das Leben der Werksangehörigen über die Arbeit hinaus umfassend zu gestalten und zu bestimmen, blieb in den 20er Jahren nur noch eine Reihe nützlicher Einzeleinrichtungen bestehen, zur Freude des Stadtrats, der die Stadt schon in allzu große Abhänigkeit von den Planungen der ZW geraten sah. Als Modell für die umfassenden ursprünglichen Bestrebungen blieb das Zeppelindorf erhalten, wo auch einige Einrichtungen angesiedelt waren. Dass sich das Bewusstsein seiner Bewohner dennoch nicht im gewünschten Sinn beeinflussen ließ, zeigte sich bei den Wahlen.

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