Elmar L. Kuhn

Luftschiffbau - Friedrichshafen - 1920er Jahre


Dornier

Claude Dornier hatte im 1917 gegründeten Zeppelin-Werk Lindau GmbH mit Fabrikgebäuden im Seemoos und Lindau-Reute mit zuletzt 2.000 Personen große Flugboote entwickelt und Zulieferteile für andere Konzernfirmen in Friedrichshafen und Staaken hergestellt. Wegweisend für den weiteren Flugzeugbau war die Erprobung der Konstruktionsmerkmale Ganzmetall- und Schalenbauweise sowie der Flossenstummeln am Bootskörper zur Stabilisierung im Wasser. Zur Serienreife gelangte der Flugbootbau hier jedoch nicht mehr. Mit dem Kriegsende entfielen die Aufträge des Reichs. Nach dem Verbot der Produktion von Flugzeugen durch die Entente wurde das Werk Lindau aufgegeben, in Seemoos versuchte Dornier mit 80 Beschäftigten durchzuhalten. Mit der „Produktion von Eimern, Badewannen und ähnlichem Gerät“ kam man auf keinen grünen Zweig. Da gelang es, mit der niederländischen Marine mit Metallschwimmern für ihre Seeflugzeuge ins Geschäft zu kommen. „Und so konnten wir mehr als 2 Jahre lang unseren kleinen Betrieb allein aus dem Erlös des Schwimmergeschäfts über Wasser halten“ (Dornier 1966, S. 110, 112).

Das Verbot des Flugzeugbaus unterlief Dornier mit z. T. legalen, z. T. illegalen Praktiken. Bauteile eines Marineaufklärungsbootes hatte Dornier unter dem Hallenboden in Seemoos vor alliierten Kontrollkommissionen versteckt gehalten. In der Schweiz bei Rorschach wurde ein alter Schuppen gemietet, um diese Teile zu montieren. Den Deutschen war es nicht untersagt, im Ausland Flugzeuge zu bauen. Die versteckten Teile wurden über den See gebracht und in Rorschach in abgeänderter Version zu einem Verkehrsflugboot (Gs I) zusammengebaut. Nach Probeflügen nach Holland, über der Nord- und Ostsee wurde das Boot am 25. April 1920 versenkt, um es nicht an die Alliierten ausliefern zu müssen. Aber in Seemoos waren die Entwicklungsarbeiten an Flugbooten weitergegangen. Ende 1920 konnte ein kleineres Boot für 4 bis 5 Passagiere, der Delphin I und im Sommer 1921 ein noch kleineres für 3 Passagiere, die Libelle I, ihren Erstflug unternehmen. Die Teile für sie wurden unbemerkt in Seemoos gefertigt, fertig gebaut wurden sie wie die Gs I in Rorschach. Später vorgestellte Delphin-Typen unternahmen ab 1925 bis in die 30er Jahre für den Bodensee Aero Lloyd Rundflüge über den See.

An den Bau größerer Flugzeuge war in Rorschach nicht zu denken. 1921 erwarb der Luftschiffbau deshalb über die neu gegründete Tochtergesellschaft „Societa Anonima Italiana die Costruzioni Meccaniche“ mit italienischer Beteiligung in Marina di Pisa unmittelbar am Meer eine Fabrikanlage. „Aufträge lagen ... keine vor. Wir hatten in Seemoos ein Aufklärungsflugboot, das die Marine bei uns am Ende des Krieges bestellt hatte, weiterbearbeitet. Die Zeichnungen für die Fabrikation waren fertiggestellt. Das Material war vorhanden. Man entschloss sich, auf gut Glück eine Serie von 6 Stück dieser Boote in Arbeit zu nehmen, in der Hoffnung, dass sich bis zur Fertigstellung ein Käufer finden werde ... In dem Momente, in dem die Lage anfing, kritisch zu werden, kam der spanische Auftrag“ (Dornier 1966, S. 139, 172). Das zunächst für Spanien entwickelte Flugboot, der bekannte „Wal“ brachte Dornier den Durchbruch und wirtschaftlichen Erfolg. Vom Wal wurden ca. 250 Stück in mehreren Versionen, Größenklassen und Entwicklungsstufen gebaut, außer in Pisa, später auch am Bodensee und in Lizenz in Holland, Spanien und Japan. „Der Wal hat die Firma Dornier von einem kleinen Versuchsunternehmen zu einer international bekannten Firma gestempelt. Seine Bedeutung für die Entwicklung unseres Unternehmens kann nicht überschätzt werden. Ja, man kann sagen, der Wal hat Dornier gemacht“ (Dornier 1966, S. 174).

Nach diesem Erfolg und nachdem einige Bestimmungen der Alliierten über den Flugzeugbau gelockert worden waren, siedelte die 1922 in Dornier Metallbau GmbH unbenannte Stammfirma von Seemoos in größere Fabrikbauten nach Manzell über. Der Luftschiffbau hatte dieses Gelände, von dem aus Graf Zeppelin bis 1909 seine ersten Luftschiffbauten unternommen hatte, von der Nachfolgefirma des liquidierten „Flugzeugbaus Friedrichshafen“ (s. o.) gekauft. Aber nach wenigen Jahren erwiesen sich diese Anlagen ebenfalls als wieder zu klein. Eine Erweiterung in Friedrichshafen war schon wegen der „Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse“, d. h. des Mangels an beidem, nicht möglich. In Marina di Pisa schwand „der Einfluss der Dornier-Metallbauten aus politischen Gründen mehr und mehr“ (LBZA, MB 1925 X). „Solange dieses Werk vorwiegend im Besitz des Konzerns war, ist es eine der wenigen Flugzeugfabriken gewesen, die sich aus eigener Kraft ... entwickeln und mit gutem Gewinn arbeiten konnten“ (Colsman 1933, S. 188). Von jedem verkauften Flugzeug hatte die Firma in Pisa 5, bald 7,5 % als Lizenzgebühren an die Dornier Metallbau zu entrichten.

Um sich aus Pisa zurückziehen zu können, suchte man „ein anderes Werk im Auslande und zwar in der Schweiz am gegenüberliegenden Ufer des Bodensees zu gründen, um dort die Auslandsaufträge auf Militärflugzeuge erledigen zu können und u. U. auch den Bau von Großflugzeugen aufnahmen zu können“ (LBZA, MB 1925 X). 1926 wurde ein Gelände an der Rheinmündung bei Altenrhein erworben und das damals modernste Werk der europäischen Luftfahrtindustrie fertiggestellt. Die Werft Altenrhein war in ihrer Größe bereits ausgelegt für den Bau des damals schon geplanten riesigen Verkehrs-Flugschiffes Do X. Dieses heute legendäre und nur in drei Exemplaren produzierte Flugschiff konnte 1929 zum Erstflug starten. Im gleichen Jahr erreichte es einen 20 Jahre lang unübertroffenen Beförderungsrekord mit 169 Passagieren. Im Normalbetrieb konnten 66 Passagiere und 14 Besatzungsmitglieder mitfliegen. 1930, nur 2 Jahre nach LZ 127, unternahm die Do X einen Amerikaflug, von dem sie nach einigen Unterbrechungen 1932 zurückkehrte. 1932 hatte Wolfgang von Gronau mit einem Wal einen Weltflug unternommen, 3 Jahre nach LZ 127. Zu den Flügen von Do X und zur Begrüßung Gronaus nach seiner Rückkehr fanden sich wie früher zu den Luftschiff-Aufstiegen wieder Tausende am See ein. Sonderzüge wurden wieder eingesetzt. Redner und Zeitungen schwelgten jeweils im nationalistischen Pathos. So wie immer noch das Luftschiff, so wurde jetzt auch das Flugschiff als das Beförderungsmittel für Langstrecken propagiert. Schon glaubte man an einen Flughafen Altenrhein als „europäischen Zentralflughafen“ für den Interkontinentalverkehr. Aber wieder hatte man auf einen Saurier gesetzt. 1934/1935 wurden alle drei Do X stillgelegt, da mit ihnen kein wirtschaftlicher Verkehr zu erreichen war.

Aber Dornier hatte sich längst in zwei zukunftsträchtigeren Sparten betätigt. Seit 1922 wurden mit Komet und ab 1925 mit Merkur kleinere Landverkehrsflugzeuge hergestellt, von denen insgesamt ca. 80 Stück verkauft werden konnten, die im Linienverkehr in Deutschland und Russland eingesetzt wurden. Langfristig dachte man an den Bau von Militärflugzeugen. Damit hatte Dornier angefangen und die größte Erfahrung. Angesichts des großen Bedarfs an Militärmaschinen hatte Dornier nie aufgehört, sich mit ihrer Entwicklung zu beschäftigen. Schon der Wal war für militärische Zwecke gebaut worden. Im gleichen Jahr 1922 wurde das Jagdflugzeug Falke in einer Land- und Seeversion fertiggestellt. Vom Aufklärungsflugzeug Do D konnten fast 30 Stück abgesetzt werden, davon 24 für Jugoslawien und 3 für die illegale Luftrüstung des Reichsverkehrsministeriums. Weitere wurden in Lizenz in Japan hergestellt, ebenso wie ab 1926 Bomben-Großflugzeuge Do N. Auch der Auftrag für Do X kam auf ominöse Weise aus dem Reichsverkehrsministerium. „Dornier, das Geld haben wir. Machen Sie sich keine Sorgen ... Sie werden mit dem Verkehrsministerium einen Vertrag machen und von dieser Seite fließt Ihnen das Geld zu. Fragen Sie nicht weiter“, sicherte eines Tages der Präsident des Bundes der Deutschen Luftfahrtindustrie, ein Admiral a. D., zu. „Das war ein Auftrag der Marine. Der Do X sollte Torpedos und eine 10-cm-Kanone tragen“ gab später ein Dornier-Manager preis (Michaels 1985, S. 20). Der Transporter Do P, wie später weitere neue Typen, wurden auf der geheimen Erprobungsstelle für Militärflugzeuge in der Sowjetunion getestet, die 1922 in einem Geheimabkommen zum Deutsch-Sowjetischen Rapallo-Vertrag zugesichert worden waren (Wieland 1975, S. 9).

Auch bei den Zivilflugzeugen konnten militärische Überlegungen und deshalb staatliche Förderungen einfließen. „Die Flugzeugbauer erhielten Aufträge zur Entwicklung von schnellen Reiseflugzeugen, aus denen später Jagdflugzeuge wurden, oder zur Entwicklung von Schnelltransportern und Frachtflugzeugen, die sich später als Bombern mauserten“ (Tittel 1984, S. 74). Man kann diese Aktivitäten durchaus verfassungsfeindlich nennen, denn sie wurden am Parlament und z. T. auch an der Regierung vorbeibetrieben und finanziert. Schon ab 1920 waren im Reichsverkehrsministerium die geheimen Planungen für die Vorbereitung und Aufstellung von Flugverbänden angelaufen. So war man 1933 vorbereitet, als die Nazis an die Macht kamen und die deutsche Aufrüstung sofort mit großem Aufwand betrieben. Nun konnte „Dr. Dornier seine Erfahrungen im Bau von Kampfflugzeugen, mit denen er sich jahrzehntelang in uneigennütziger Weise beschäftigt hatte, nutzen“ (Dornier 1940, S. 42 f.) Noch 1933 konnte Dornier mit Do 11, Do 13 zwei aus dem 1932 fertiggestellten „Fracht- und Postflugzeug“ Do F weiterentwickelte Kampfflugzeugtypen anbieten. Vom 1934 beschlossenen Flugzeugbeschaffungsprogramm der ersten Welle der Luftaufrüstung mit insgesamt etwa 4.000 Flugzeugen bekam Dornier einen Auftrag über 400 Flugzeuge, also etwa 10 % des Beschaffungsprogramms (Völker 1967, S. 56 f.) Dieser Auftrag von 400 Flugzeugen überstieg die gesamte Produktion von Dornier seit seiner Gründung. Nach Abschluss dieses Beschaffungsprogramms konnte sich die Luftwaffe 1935 enttarnen.

Auch wenn kaum präzise Zahlen vorliegen, scheint Dornier zumindest nach 1922 nie mehr in ernstliche Schwierigkeiten geraten zu sein. Die Höhe der Reichszuschüsse ist freilich nicht bekannt. Allein für den Ausbau der Werft Manzell stellte das Reich 1927 0,8 Millionen in Aussicht. Die Beschäftigungszahlen stiegen von kanpp 100 auf den Höchststand von 1.118 im Jahr 1927, um dann wieder zurückzugehen. 1926 musste eine Halle des Luftschiffbaus gemietet werden, um den Tragflächenbau unterzubringen, der dann 1928 wieder nach Manzell zurückverlegt wurde. Ganz blieb die Firma freilich von den Auswirkungen der Krise nach 1929 nicht verschont.

Unbeschränkter Herrscher im Unternehmen war Claude Dornier. Der mehrfache Versuch des Konzerns, ihm einen zweiten Geschäftsführer beizugeben, scheiterte jeweils rasch. Eine Zusammenarbeit erwies sich als unmöglich. Das Verhältnis zum Konzern war wohl immer etwas gespannt. Nach dem Tod des Grafen Zeppelin fingen „die Gesellschafter an, meine Geschäftsführung und meine Leistung als Ingenieur zu bekritteln“ (Dornier 1966, S. 157). Colsman hatte den Amerika-Flug von Do X als ebenso unnötig riskant abgelehnt wie die Interkontinentalflüge des Luftschiffes. Unter Eckener verschlechterte sich das „ungesunde Verhältnis“ weiter. „Beide Gesellschaften waren darauf angewiesen, vom Staat Unterstützungen anzunehmen. Es kam vor, dass Dr. Eckener im Ministerium weilte, um für sein Luftschiff zu werben, während ich gleichzeitig ... versuchte, Mittel für den Bau unserer Flugzeuge zu bekommen“ (Dornier 1966, S. 198). Als Dornier 1932 vorschlug, alle Anteile am Unternehmen zu erwerben, fand er bei Eckener ein offenes Ohr. Dieser hatte nach dem Ausscheiden Colsmans die Diversifikationsstrategie aufgegeben und konzentrierte alle Mittel auf die Förderung der Luftschifffahrt. Bei den Dornier Metallbauten war die Luftschiffbau GmbH (seit 1923 auch die Zeppelin-Stiftung) Mehrheitsgesellschafter mit (zusammen) 60% des Stammkapitals. 30 % besaß seit 1922 die Aero-Union, hinter der die AEG und HAPAG standen, an der wiederum mit gleichem Anteil die Dornier Metallbauten beteiligt war und die später in der Lufthansa aufging. Dornier selbst besaß 10 % des Kapitals. Mit 80 % des Nennwerts des Stammkapitals konnte er die Firma ganz in seine Hand bringen. Damit hatte Eckener unter Wert „denjenigen Konzernbetrieb ausgestoßen, der in der Lage gewesen wäre, die Aufgabe, die Luftfahrt zu fördern, weiterzuführen“ (Oesterle, in: Italiaander 1981, S. 272).

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