Elmar L. Kuhn

Luftschiffbau - Friedrichshafen - 1920er Jahre


Die Stadt

Die Bevölkerung der Stadt wuchs auch in den 20er Jahren und frühen 30er Jahren weiter trotz des Auf und Ab der Beschäftigungslage bei den Großfirmen. Um knapp 30 % mehr Menschen wohnten 1933 in Friedrichshafen als 1919. Die Wohnungsnot blieb deshalb ein Dauerproblem. Mehrere hundert Familien suchten immer ausreichenden Wohnraum. Der private Wohnungsbau reichte nicht aus. In den ersten Nachkriegsjahren hatte die Zeppelin Wohlfahrt noch etwa 100 Wohnungen geschaffen. Später war sie bei der schlechten finanziellen Lage der Konzernfirmen dazu nicht mehr in der Lage. Trotz Widerstrebens der bürgerlichen Parteien musste die Stadt der größten Not abhelfen und baute in den 20er Jahren selbst weit über 100 Wohnungen. Aber die Wohnungsnot war nur eines der sozialen Probleme, mit denen sich die Stadtpolitik konfrontiert sah. In den ersten Nachkriegsjahren blieb die schlechte Ernährungslage ein Dauerthema. 1922 litten 40 % der Schulkinder an Unterernährung. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise verloren immer mehr Erwerbstätige ihren Arbeitsplatz und waren nach der Einstellung der Arbeitslosenunterstützung auf die städtische Fürsorge angewiesen. Auch wenn auf dem Höchststand mit etwa 10 % die Arbeitslosenrate in Friedrichshafen weit unter den Reichs- und auch unter dem Landesdurchschnitt blieb (Reich 26 %), so beanspruchten die Wohlfahrtsaufwendungen für die maximal 600 Arbeitslosen 1932 etwa ein Drittel des städtischen Haushalts.

Trotz der Bevölkerungszunahme mussten kaum neue Baugebiete erschlossen werden. Die Stadt konnte sich im wesentlichen darauf beschränken, das schon in den Vorkriegsplanungen vorgesehene Straßenraster im Norden und Osten allmählich zu füllen. Auch die Infrastruktureinrichtungen, die geschaffen wurden, waren meist schon lange geplant: das Strandbad 1919/1927, der Schulneubau ab 1924, die Erweiterung der Technischen Werke ab 1924, die Kanalisation 1931. Neue Akzente im Stadtbild setzten die Canisiuskirche 1927 und vor allem der Neubau des Hafenbahnhofs 1928 bis 1933 mit der Neugestaltung des dortigen Bahnareals und der Straßenführung. Der hohe Damm, auf dem die Bahngleise verlegt wurden, schloß nun wie eine Festungsmauer die Altstadt nach Norden und Osten ab.

Die vordem so engen Beziehungen zwischen Konzern und Stadtvorstand kühlten sich ab. Colsman schied 1920 aus dem Gemeinderat aus. Der im gleichen Jahr neu gewählte Stadtschultheiß orientierte sich eher an den Interessen des örtlichen Mittelstandes und zog sich deshalb bisweilen heftige Kritik des Hauptsteuerzahlers, der Konzernführung des Luftschiffbaus, auf sich. Tiefer war der Riss, der sich durch die Bevölkerung selbst zog. Mehrheitlich links orientierte Arbeiterschaft und eingesessenes Kleinbürgertum waren sich in den ersten unruhigen Jahren der Republik mehrfach feindlich gegenüber gestanden. Zweimal drohte der offene Bürgerkrieg in der Stadt. Die Arbeiter vergaßen ihre Hoffnungen auf eine besser fundierte demokratische und sozialere Republik nicht, die Bürger nicht die vermeintlich „gute alte Zeit“ vor dem Krieg, in der sie in der Stadt allein das sagen hatten. Bürgertum und Regierung misstrauten der Arbeiterschaft derart, dass ab 1919 in Löwental sog. Sicherheitstruppen (später die kasernierte „Polizeischar“) stationiert wurden. Dass sie 1923 auf eine Betriebsversammlung der ZF schossen, konnte nur knapp vermieden werden.

Die Nazis traten schon früh, 1923, in der Stadt auf. Ihr Erfolg bei den Wahlen blieb schwächer als im Reich, schwächer vor allem als bei der Landbevölkerung der Umgebung. Von ihrer Mitgliedschaft her war sie jedoch eine „moderne“ Partei. Besonders stark waren in der Ortsgruppe die Ingenieure und Angestellten der Konzernfirmen vertreten. In nüchternem Kalkül sahen sie voraus, dass die angekündigte „Politik der Stärke“ und Aufrüstung den örtlichen Großfirmen zugute kommen musste.

Copyright 2024 Elmar L. Kuhn