Elmar L. Kuhn

Die deutsche Provinz der Pauliner 14.-16. Jahrhundert


Spiritualität und Wirken

Die Spiritualität der deutschen Pauliner ist noch schwerer zu fassen als die Praxis ihrer Organe, zumal meist nur Abweichungen von der Regeltreue aktenkundig werden. Hinweise könnte die Novizeninstruktion „Liber, qui dicitur informacio religiosi“ in der Sammelhandschrift des Klosters Grünwald aus dem späten 14. Jahrhundert bieten, die erst jüngst als Werk des Franziskaners David von Augsburg identifiziert wurde92. Während im 15. Jahrhundert noch mit weitgehender Beachtung von Regel und Konstitutionen gerechnet werden kann, monierte die Gräfin von Montfort 1520 Missstände im Kloster Langnau, und 1601 wurde dem Prior dort vorgeworfen, „die horas canonicas ...niemalen absolviert“, lange Zeit nicht gebeichtet, die Fasten nicht gehalten, aber einen ärgerlichen Lebenswandel im Konkubinat zum Schaden seines Klosters geführt zu haben93.

Eben dieser Provinzial und Prior schrieb auf Aufforderung der österreichischen Beamten den Mönchen in Rohrhalden 1582 eine detaillierte Ordnung des Stundengebets vor: Sie sollten im Sommer die Matutin um 2 Uhr absolvieren, es folgten die Prim um 6 Uhr, unmittelbar darauf die Terz, die Sext um halb 8 oder 8, darauf die Konventsmesse, der Tag wurde abgeschlossen mit der Vesper um 4 Uhr und der Komplet nach dem Abendessen94. In den kleinen Konventen mit ihrer größeren Eigenverantwortung des einzelnen Bruders bestand immer die Gefahr, dass man sich nicht an die strenge Ordnung des Gemeinschaftslebens hielt95.

Die vita contemplativa trat gegenüber der vita activa zurück, wenn die Seelsorgeverpflichtungen viele Kräfte banden. Gleich drei Pfarreien hatte Goldbach zu besetzen, Anhausen zwei, Bonndorf, Grünwald, Kirnhalden, Langnau und St. Peter auf dem Kaiserstuhl jeweils eine. Zwei Filialkirchen versah Donnersberg, je eine Argenhardt, Bonndorf, Gundelsbach und Rohrhalden. In Blümlistobel, Ebnit, Maihingen und Rotes Haus beschränkte sich der Gottesdienst auf die eigene Kapelle, in Tannheim auf die Klosterkirche, die auch Filialkirche für das Dorf war. In Langnau wurden Wallfahrer aus dem regionalen Umkreis zum Sel. Arnold, in Tannheim zum Sel. Kuno dem Schweiger betreut96. Dazu kamen in den größeren Klosterkirchen beträchtliche Jahrzeitstiftungen von Seelenmessen97. Eine herausgehobene Funktion erfüllten die Klosterkirchen von Anhausen und Langnau als Grablegen ihrer Stifterfamilien, der Herren von Bebenburg und der Grafen von Montfort98. Die Niederlassungen, die am ehesten eine vita eremitica ermöglichten, wurden schon bald wieder aufgegeben. In den anderen eher mit pastoraler Geschäftigkeit befassten Konventen erinnerten nur die ländliche Lage, die geringe Zahl der Brüder und oft noch die von den bescheidenen Einkünften erzwungene einfache Lebensführung an die eremitischen Anfänge.

Wissenschaft und Studium fanden bei den deutschen Paulinern noch geringeres Interesse, als im Orden erwünscht. Ein einziger Mönch hat offensichtlich studiert und führte einen Doktortitel99. In Rohrhalden wurden die Konventualen zwar 1582 ermahnt, „sich ...über die biecher befleißen und studieren“, aber nur damit „sy den gotsdienst in alweg one clag zue versechen wissen“100. Als die Goldbacher Bibliothek mit insges. 76 Büchern 1551 inventarisiert wurde, konnte von 14 Büchern kein Titel festgestellt werden, 16 waren Breviere, Psalter oder Gebetbücher, 13 Messbücher, 11 Predigtsammlungen, vier Bibeln und zwei Wörterbücher, also vor allem geistliche Gebrauchsliteratur. Unter den wenigen feststellbaren Autoren fanden sich Albertus Magnus, Gerhard de Zutphen, Guilelmus Durandus, Jacobus de Voragine, Michael Lochmayer und Paulus von Bernried, woraus sich kaum Schlüsse auf geistige Orientierungen ziehen lassen. Nur je drei Bücher wurden als gedruckt und deutschsprachig vermerkt101.

Gegenüber der Reformation verhielten sich die deutschen Klöster ablehnend mit Ausnahme von Anhausen. Dort verließen um 1529 vier Mönche ihr Kloster und auch der letzte verheiratete Prior zeigte Sympathien für die neue Lehre 102.

Findet sich in der Reihe der Ordensautoren kein einziger deutscher Bruder103, so hob der Ordenschronist Gyöngyösi immerhin drei deutsche, aber anfangs des 16. Jahrhunderts offensichtlich in Ungarn weilende Brüder wegen ihrer künstlerischen bzw. kunsthandwerklichen Fähigkeiten hervor: „Joannes organipar et organista ... ipse in ordine organa multiplicavit ... viccarius et prior in Alemania“, „Servatius organista, natione Alemanus“ und „Joannes Alemanus scriptor, … qui elegantes libros in ordine in multis monasteriis cum magna diligentia scripsit“104.

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