Elmar L. Kuhn

Fremdenverkehr in Friedrichshafen ...


 

Das touristische Kapital: Ein Luftschiff über dem König vor dem Alpenpanorama - Warum kamen die Touristen nach Friedrichshafen?

Was suchten sie hier, was fanden sie?

In einem waren sich die Bodenseeführer einig, das Stadtbild lohnte einen Besuch Friedrichshafens nicht. Den Engländern wurde es schonend beigebracht: "the appearance of Friedrichshafen is not striking" (Capper 1881). "An stattlichen eleganten Gebäuden ist Friedrichshafen nicht reich ... die eng und unregelmäßig gebaute Altstadt ... bietet überhaupt wenig Sehenswertes dar" (Schönhuth 1863, vgl. Zingeler Ende 19. Jh.).

Die Front zum See und zum ab 1851 ausgebauten Hafen wurde durch den riesigen langgestreckten einfachen Baukörper des Salzstadels bestimmt. An ihn lehnte sich östlich der Hafenbahnhof an, 1850 - 85 nur ein "einfacher Holzschuppen". Der dann errichtete Neubau von 1885/86 wurde schon damals als "Holzhaufen" und "Hütte" verspottet, bestand als "Provisorium" aber bis 1933 (Mayer 1983b, FA 18.05.1901). Die Häuser der Neustadt kamen in der Regel besser weg, doch finden sich auch hierzu negative Urteile: sie "bieten gerade keine architektonischen Schönheiten" (SK 20.11.1850). Und noch 1897 wird der "Eindruck des Unfertigen, Unzulänglichen, welcher der Friedrichstraße anhaftet" (SK 16.06.1897) bemängelt. Die Führer hatten Mühe, selbst hier im vornehmen Westen wenigstens einige bemerkenswerte Villen aufzuzählen, genannt wurden insbesondere immer wieder die Villen Taubenheim (K. württ. Oberstallmeister 1805-94), Mittnacht (Württ. Ministerpräsident 1876 - 1900) nördlich des Schlosses und später Bühler (Hofrat und Reichstagsabgeordneter, gest. 1892) in der heutigen Uferanlage. Sonst stachen im 19. Jh. nur noch das Hotel "Deutsches Haus" und als einziges öffentliches Gebäude, der Stadtbahnhof hervor.

Herr Dahn schätzte freilich gerade "die Mischung des Freundlich-Sauberen der kleinen Landstadt mit ihren schmucken Häuslein und ihren sorgfältig gepflegten, blumenbunten Vorgärtlein - dieses kleinstädtische Wesen also ... das durchaus nicht den vollen Reiz des Ländlichen ausschloß, wie die durch die Hauptstraße uns freudig brüllend entgegenwandernden Kühe darwiesen - nebst Spuren ihrer Vorgängerinnen!" (Dahn 1895).

Auch der heute als so malerisch empfundene Abschluß der Bucht nach Osten durch die Schloßsilhouette beeinflußte das Urteil über das Stadtbild erst in diesem Jahrhundert. Die eigentlichen Attraktionen hier waren viel eher die Schloßbewohner und der Schloßpark. Barockbauten fanden im 19. Jh. noch wenig Gefallen. Nur ein einziger Reiseführerautor verstieg sich zum Urteil, daß Schloß Friedrichshafen "den feenhaften Königsschlössern in Oberbayern und am Starnberger See nichts nachgibt" (Woerl 1889). Zu Beginn dieses Jahrhunderts fallen dann die Würdigungen nach dem Bau "einer stattlichen Schar neuer freundlicher Landhäuser" und "Verschönerung der Gebäude" der Altstadt freundlicher aus (SK 22.08.1912). Nun verschwanden auch die Misthäufen aus der Innenstadt. Aber auch jetzt warnt noch der ortsansässige Lehrer: "Erwarte in dieser Stadt nichts Großartiges. Vergebens suchst du da glänzende Privatgebäude" (Mayer 1908).

Mehrfach wurde nun auch "das wenig repräsentative Aussehen der staatlichen Gebäude am Hafen in Friedrichshafen" diskutiert (Sb 20.07.1902). Es kam dann zwar zum Neubau des Postgebäudes und des kommunalen Rathauses, nicht mehr aber zur geplanten historistischen "Dekoration" des Salzstadels (vgl. Kuhn 1985, S. 211 - 216). Die damals vorgetragene Warnung, "das altertümliche Ufer vom Hafen bis zum Spital zu einem Tummelplatz hochmoderner Baustile umzugestalten" (Sb. 26.07.1902), wurde erst in den letzten Jahrzehnten nicht mehr beachtet.

Statt des wenig rühmenswerten Stadtbildes nennt ein Artikel in der Fremdenverkehrs-Fachzeitschrift "Bodensee und Rhein" drei andere Faktoren, die Friedrichshafen "zu einer bevorzugten Stätte am Bodensee ... aufleben ließen". Wir gruppieren sie hier etwas um:

  • "Was die Natur selbst dem herrlichen Fleck Erdboden alles geschenkt hat" in Verbindung mit der Verkehrslage,

  • "Die Landesherren haben das Aschenbrödel zu einer Prinzessin gemacht",

  • "Was die Luftschiffe des genialen Mannes für Friedrichshafen zu bedeuten haben" (BuRh 27.07.1912).

"So unbestritten auch Konstanz den ersten Rang unter den Städten des Bodenseeufers einnimmt, so sehr Bregenz im Aufschwung begriffen und Lindau als alte Inselstadt weit bekannt ist, so bleibt doch Friedrichshafen nicht nur unter allen Uferpunkten derjenige, von welchem der Blick in die Alpenwelt der umfassendste ist, sondern der See selbst macht von hier aus auch den großartigsten Eindruck!" (v.H. 1887). Den Preis der schönen Aussicht unterließ kaum ein Autor. Unterschiedliche Akzente setzten sie im poetische Aufwand oder in der präzisen Benennung jeden Berggipfels. Der Vergleich mit Lindau fiel in diesem Punkt stets zugunsten Friedrichshafens aus. "Der Blick auf See und Gebirge ist ... schöner als in Lindau, wo sie nur die linke Flanke füllen, während gerade in Friedrichshafen - etwa in der Mitte des Sees - die blauen Fluten den Vordergrund und die ganze Bergkette ... majestätisch abschließend den großartigen Hintergrund bilden. Beleuchtungen von Vordergrund, See und Gebirge ... zählen zu dem Allerschönsten, das ich diesseits der Alpen kenne" (Dahn 1895, vgl. Schwab 1827, Schönhuth 1863, Faber 1873, dagegen Schnars 1859) .

Schwerer fällt die Argumentation Autoren, die sich gemüßigt fühlen, den Bodensee und Friedrichshafen im Vergleich mit der Schweiz oder gar gegen Attacken des Baedekers zu verteidigen, "daß die (Bodensee-)Landschaft mit derjenigen anderer Schweizer Seen sich nicht messen könne". Nur der "Neuling (könne) den See zu groß, die Ufer zu fern, die Berge zu niedrig" finden. Dagegen hebt der Autor einer ausführlichen Analyse der Fremdenverkehrs-Baisse Ende des Jahrhunderts den "Reichtum der Farben", die "Mannigfaltigkeit der Beleuchtung" und die "feierliche, erhabene Ruhe ... über dem Bilde" hervor. Seine Hoffnung, daß sich die "Gunst der reisenden Welt ... wieder so wie früher unserem See zuwenden wird", ging schnell in Erfüllung (SK 12.06.1897). Dazu trug zweifellos auch der "große Vorzug der zentralen Lage" bei, die Wais 1913 fast in einem Zuge mit der "herrlichen Lage" nennt. "Die Ruhe und Schönheit einer großen Natur muß hier nicht ... erkauft werden durch ein umständliches Reisen mit langsamen Lokalzügen und teuren Stellwagen. Nicht weniger als 20 Eil- und Schnellzüge, 70 Personenzüge und Motortriebwagen sowie 64 Dampfboote laufen auf der Station Friedrichshafen täglich aus und ein" (Mayer 1908). 1824 nahm von hier aus das erste Dampfschiff seine Fahrt auf und 1847 wurde Friedrichshafen als erster Ort am See an die Eisenbahn angeschlossen; um 1900 war mit der Fertigstellung der Bodenseegürtelbahn auch die Ost-West-Richtung ausgebaut worden. Die Stadt besaß zwei Bahnhöfe, auf dem Hafenbahnhof war ein unmittelbarer Übergang von der Bahn auf das Schiff möglich. Die amtliche Oberamtsbeschreibung von 1915 faßt diese Vorzüge knapp zusammen: "Friedrichshafen ... hat eine der schönsten Lagen am See. Es hat vor den anderen Seestädten die zentrale Lage voraus, es hat den gewaltigen Gebirgszug der Ostschweizer und Vorarlberger Alpen vor sich, es hat um und hinter sich ein fruchtbares Vorland, es ist Endpunkt einer württembergischen Hauptbahn, es ist in steigender Entwicklung begriffen" (K. Stat. Landesamt 1915).

Zu dieser "steigenden Entwicklung" hatte auch mehrfach das württembergische Königshaus beigetragen, ganz unmittelbar förderte die königliche Familie durch ihre regelmäßigen Sommeraufenthalte im Schloß den Fremdenverkehr. "Die Anwesenheit der Majestäten ... zieht manchen Fremden und natürlich viele Württemberger an" (Bodensee 1870, vgl. Zingeler, Ende 19. Jh.). Deutlicher sprach es die Schwäbische Kronik aus: "Der Sommeraufenthalt des königlichen Hofs ... durch welchen allein schon ein reges Leben in der Stadt seinen Einzug hielt" (SK 29.09.1899) und in seinen Jubelworten bringt es das offizielle Touristikorgan auf den knappen Nenner: "In der Königsstadt Friedrichshafen haben wir nun Hochsaison: der königliche Hof ist da! Glückliches Friedrichshafen!" (BuRh 27.07.1912, vgl. v.H. 1887). Ironischer sieht es der Pfarrer Hans Jakob aus dem benachbarten Hagnau, der sich mokiert: "Im Kurhaussaal war 'die große Welt' vom Hafe versammelt zu einem Konzert und die große Welt vom Hafe war damals groß. Die 'Saison' hatte begonnen, es waren manche Stuttgarter da, bessere Bürger, Bürger und solche Leute, denen der Atem ausgeht, wenn der Hof die Residenz verläßt und die deshalb dem Hof nachreisen, in Friedrichshafen die Kur gebrauchen und gesund bleiben, wenn sie nur jeden Tag einen Hofkavalier oder einen Kammerdiener oder faute de mieux ein Pferd vom königlichen Gestüt sehen" (Hansjakob 1893/1969).

Weilte der Hof im Schloß am See, meldeten sich fast täglich hochrangige Gäste zur Audienz: Minister, Gesandte, Generäle, Offiziere, Präsidenten, Kammerherren, Fürsten und Barone. Aber auch über die Friedrichshafener Gäste ohne offizielle Mission wußte der König genau Bescheid. Jeden Morgen hatte ihm die Hafendirektion die Liste der in der Stadt Nächtigenden vorzulegen und der eine oder andere Feriengast "von Stand" hatte dann die Ehre, zur königlichen Tafel "gezogen" zu werden (vgl. HSAS, E 151 c 11, Bü 146 und Dahn 1895). Die Attraktivität der Fremdenstadt wurde noch erhöht, wenn "Besuche gekrönter Häupter der verschiedenen europäischen Höfe im königlichen Schloß und die damit verbundenen Festlichkeiten auch den vorübergehend anwesenden Fremden wie den Badegästen unvergeßliche Bilder" gewährten (v.H. 1887) und "bis sechs Stunden Entfernung der Zudrang groß" war (SK 18.07.1881).

Die dritte Hauptattraktion der Stadt, die Luftschiffe, verschafften Friedrichshafen endlich eine entscheidende Zusatzsensation gegenüber seinen Konkurrenten und zogen in Massen auch ungekrönte Häupter an. "Wieviel tausend Deutsche und Ausländer mögen schon dieses Ballons wegen dem früher so stillen Städtchen zugepilgert sein?" (BuRh 27.07.1912).

Der stets besonnte Ausblick auf See und Alpen, der Anblick des heimischen Königspaares und (nach 1900) darüber ein stolzes Luftschiff kreuzend: Das erhoffte sich der Feriengast in Friedrichshafen, mehr konnte ihm kein Aufenthalt in einer anderen Bodenseestadt bieten.

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