Elmar L. Kuhn

Fremdenverkehr in Friedrichshafen ...


 

Ausflügler und Kurgäste - Wer kommt nach Friedrichshafen?

Wir unterscheiden heute Kurzzeit- und Langzeit-, oder Ausflugs- und Aufenthaltstourismus mit je unterschiedlichen Bedürfnissen und Auswirkungen. Beide Kategorien werden schon in einem der ersten Berichte über den Friedrichshafener Fremdenverkehr unterschieden: "In der Regel (war) ihr Aufenthalt früher von kurzer Dauer, und erst im Laufe dieses Jahres sehen wir eine Neuerscheinung, nämlich eine nicht unbedeutende Anzahl von Badegästen, welche längere Zeit unter uns weilen" (SK 09.08.1849). An Ausflüglern und Durchreisenden mangelte es in Friedrichshafen seit dem Eisenbahnanschluß nie mehr. Am stärksten traten die Ausflügler aus dem württembergischen Ober- und Unterland in Erscheinung, die an schönen Sommerwochenenden die Stadt geradezu überschwemmten. Beliebt war Friedrichshafen besonders als Ziel von Vereinsausflügen, als Tagungsort, sei es nun der oberschwäbischen Turner, der Boodenseefeuerwehrleute, der württembergischen Verkehrsbeamten, Treffen, deren Höhepunkt es war, wenn die Teilnehmer oder wenigstens eine Delegation dem König ihre Huldigung vorbringen konnten, und wenn es nur ein Dampferpfiff bei der Vorüberfahrt vor dem Schloß war. Ein Sommersonntag, an dem die unterschiedlichsten Gruppen sich in der Stadt drängten, schildert das Seeblatt vom 15.07.1912:

"Der gestrige Sonntag stand im Zeichen eines starken Fremdenzuzugs. … Jeder Zug und jedes Schiff war stets bis auf den letzten Platz besetzt und alle brachten Ausflügler und größere Vereine zum Teil mit Musikkapellen hierher. Ein äußerst lebhaftes Bild bot der Hafen, ein beständiges Kommen und Gehen, ein fortwährendes Drängen und wieder Stillstehen." Im weiteren zählt der Bericht die Gruppen auf, die an diesem Sommer-Sonntag in der Stadt eintrafen: ein Sonderzug des Zentralverbands der Brauerei- und Mühlenarbeiter von Heilbronn, mit dem Schiff von Konstanz das Unteroffizierskorps eines hessischen Infanterieregiments aus Darmstadt, aus der Schweiz die katholische Vereinigung der italienischen Arbeiter des Kantons St. Gallen, der Posaunenliederchor Winterthur, ein Ferien-Sonderzug von Leipzig und Dresden.

"Fast beängstigende Formen ... nahm der Menschenstrom" (Sb. 05.08.1908) an, wenn wieder einmal Zeppelin-Aufstiege erwartet wurden und die "Züge aller Richtungen Menschenscharen brachten ohne Ende" (Sb. 09.10.1907). Als einen gewissen Indikator für die Entwicklung des Ausflugsverkehrs wird man die Personenbeförderungszahlen der württembergischen Bodenseeschiffahrt benutzen können, sie übertrafen die 50.000er Marke erst nach 1850 und stiegen dann bis Ende des 19. Jhs. relativ kontinuierlich auf 200.000 an. Die letzten Jahre vor 1900 brachten ein rascheres Wachstum auf 350.000, um dann nach einem Einbruch wieder schnell auf eine halbe Million bis zum Krieg anzusteigen (Kuhn 1990).

Weniger gern sah man eine zweite Kategorie von Touristen, die Durchreisenden. Schon in den Anfängen des Fremdenverkehrs wurde bedauert: "die 6 täglich von Friedrichshafen abgehenden Boote entführen freilich alsbald die Mehrzahl der auf der Bahn Ankommenden" (SK 22.07.1851). "Das Ziel der meisten Reisenden ist immer wieder Ragaz, Pfäfers, Chur, Via Mala" (SK 25.08.1858). Von den Klagen des letzten Viertels des 19. Jhs. haben wir schon gehört: "Das Seegebiet ist nicht mehr ... Mittelpunkt ... , sondern in der Hauptsache Durchgangspunkt des Verkehrs, die Zahl der Fremden (Kurgäste) verschwindet gegenüber der Zahl der Passanten" (SK 12.06.1897). Die Reiseführer nach 1900 hoben alle den starken "Durchgangsverkehr nach der Schweiz" hervor. "Wohl kennen viele den See noch als angenehmen, raschen Übergang zu den großartigen Naturschönheiten der Schweiz und Tirols" (Wais 1913, vgl. Ritz 1905). Mayer beschwört seine Leser geradezu: "Eile nicht flüchtig vorüber an dieser Stadt; halte dich wenigstens einige Tage darin auf" (Mayer 1908). Wohl nur wenige Jahre sorgte dann die "Zaubermacht des Namens Zeppelin", daß Friedrichshafen "von der untergeordneten Position als Durchgangsstelle zur bedeutungsvollen festen Reisestation avanciert in dem stetig wachsenden ungeheuren Andrang der begeisterten Menschenmassen" (Hoppe 1909). "Die Zeit hat diese Hoffnungen revidiert" (N. Jacques nach Sb. 20.09.1913).

Damals wie heute schätzte man am meisten jene Gäste, die anreisten, "um für Tage und Wochen der Saison hier einzumünden und Leib und Lunge zu stärken und zu recken" (Schobinger 1905) und dann gar wie Felix Dahn von 1874 bis 1995 16mal wiederzukehren und gedachten, "das bis an unser Ende fortzuführen ... und keinen anderen Ort ... zum 'buen retiro' (zu) küren, als jenes liebe Gartenstädtlein" (Dahn 1895). Zur Einschätzung von Bedeutung und Entwicklung des "Langzeittourismus" ließen sich nur folgende Zahlen ermitteln:

1850

über 9.800 Fremde

(SK 15.11.1850)

1887

8.429 Fremde (nur Juli bis Sept.)

(SK 06.12.1888)

1888

7.280 Fremde (dto.)

(a. a. O.)

1907

19.650 Personen (dto.)

(Sb. 22.02.1908)

1909

49.346 Personen (Juli bis Sept.: 21. 751)

(Sb. 14.02.1910)

zum Vergleich:

1932/33

44.578 Fremde (Sommerhalbjahr 35.286)

(Sb. 20. 02. 1933)

1986

111.339 Ankünfte

(IBV-Jahresbericht 1986/87)

Auch wenn die Zahlen nur bedingt vergleichbar sind, lassen sich an ihnen doch der erste Höhepunkt nach dem Eisenbahn­anschluß, die Depression im letzten Jahrhundertviertel und der starke Anstieg nach 1900, bedingt durch das "Zeppelin-Fieber" erkennen, wobei 1909 das Ergebnis durch viele Kurzaufenthalte verfälscht ist. Aber erst im Vergleich mit den anderen Uferorten erschließt sich der touristische Stellenwert Friedrichshafens.

Daß "der Zufluß von Fremden ein bei weitem größerer ist, als in der Stadt Lindau" (Schönhuth 1863), bezog sich wohl schon damals primär auf den Ausflugs- und Passantentourismus. Denn erst wenn man zu den Übernachtungszahlen "die große Zahl derjenigen Reisenden, welche den Ort bei Tag passierten, ferner ... den Besuch von etwa 5.600 Handwerksgehilfen x. (zählt) so erscheint eine Personenfrequenz, wie sich deren wenige Orte zu erfreuen haben" (SK 15.11.1850). Vergleicht man nur die Zahl der übernachtenden Fremden, fällt Friedrichshafen z.B. 1907 mit knapp 20.000 Fremden weit hinter Konstanz mit 88.000, Schaffhausen 77.000, Lindau 61.000, Bregenz 43.000, Ravensburg 38.000, St. Gallen 36.000, aber immerhin noch vor Überlingen mit 7.000, zurück. "Daraus geht hervor, daß im Obersee Lindau und Bregenz bevorzugte Punkte sind, daß aber auch Untersee und Rhein mit Konstanz und Schaffhausen sehr gern aufgesucht werden" (Sb. 22.02.1908, vgl. auch v.H. 1887 u. Woll 1962).

Bis heute ist die kurze Dauer der Saison ein Problem des Fremdenverkehrs am Bodensee. Das traf auf Friedrichshafen vor dem Ersten Weltkrieg offenbar noch viel ausgeprägter zu. "Die Fremdensaison ... , die sich in der Hauptsache auf die Monate Juli und August beschränkt", erreichte erst im August ihren Höhepunkt (Sb. 09.08.1912). "Die Erscheinung ist jedes Jahr die gleiche. Der Fremdenstrom beginnt mit Eintritt der Schul- und Gerichtsferien und endigt mit Schluß derselben" (SK 06.08.1895). Dann nützten auch Appelle nichts, daß "doch die Monate Mai und September bei uns einen mindestens ebenso schönen und genußreichen Aufenthalt bieten" (SK 24.05.1886).

Woher kamen die Fremden, die es sich leisten konnten zu sagen: "Es ist Hochsommer; die schwüle Luft wirkt beengend auf die Brust und drückend auf das Gehirn, darum sagt, wer da kann, dem Comptoir, dem Bureau, der Kanzlei und dem Hörsaale auf einige Zeit Lebewohl und wandert in die Canicularferien" (Bodensee 1870)? Gerne hob man die "Gäste aus dem Norden" (SK 07.09.1858), 1862 gar "eine Anzahl russischer Familien, welche sich über den hiesigen Aufenthalt sehr befriedigt aussprechen" (Sk 06.09.1862) hervor. "Sprachstudien" im Bad verrieten die Herkunftsbereiche: "Da hat man Gelegenheit, in gutem Oberschwäbisch, in etwas weniger derbem 'Stuagerterisch', dann in Niederschwäbisch, Fränkisch und Bayrisch, aber auch in Französisch und Englisch, hie und da auch Italienisch Ausdrücke des Behagens und Wohlgefühls zu vernehmen" (SK 30.08.1898). Aber in der überwiegenden Mehrzahl wählten doch "Beamte und Bürgerliche, zunächst aus Schwaben und vorab aus dessen Hauptstadt, Friedrichshafen zum Ort ihrer sommerlichen Erquickung" (Schobinger 1905). Für den neckarschwäbischen Honoratioren waren Friedrichshafen und Rorschach die "besuchtesten Orte am See". "Sie sind die Zentralpunkte für das schwäbische Kontingent der Uferbesatzung am See, und zwar ist die schwäbische Hauptstadt selbst bei weitem am stärksten vertreten" (SK 14.08.1878). "Es wird überhaupt in Württemberg wenige Geistliche, Professoren, Beamte, Fabrikanten, Kaufleute usw. geben, die nicht in diesem oder jenem Sommer einige Zeit Friedrichshafen besuchen" (Bodensee 1870).

Genaueren Aufschluß vermitteln uns nach 1900 für die Spitze der sozialen Gästehierarchie die regelmäßig veröffentlichten Gästelisten der besten Hotels. Da stiegen der Konsul aus Hamburg, die vielen Räte, der Kommerzienrat aus Berlin, der Ministerialrat aus Wien, der Ökonomierat aus München, der Justizrat aus Breslau, der Forstrat aus Wiesbaden oder Kunstmaler aus Paris und Unbetitelte aus New York im Kurgartenhotel ab, aber die Hälfte der Gäste stammten in der Regel doch aus Stuttgart und Nordwürttemberg. Das sah in den großen Hotels der Nachbarschaft ganz anders aus: der Anteil der Norddeutschen im Bayerischen Hof Lindau war beträchtlich größer, mit der Nationalität der Gäste im Inselhotel Konstanz konnte Friedrichshafen schon gar nicht konkurrieren. Erst im Ersten Weltkrieg, als man die Fremden nicht mehr gerne in der Stadt sah, entdeckte man unter ihnen "meistens Norddeutsche" (Sb. 21. 06. 1918).

Als erstes Hotel am Platze galt bis zum Bau des Kurgartenhotels das "Deutsche Haus", das der Posthalter Deeg um die Jahrhundertmitte rechtzeitig zum Eisenbahnanschluß östlich neben dem Stadtbahnhof erworben und dafür den Gasthof "Rad" am Hafen aufgegeben hatte. Seine Gärten bis zum See, die schöne Aussicht und die Ausstattung "mit allem Komfort" wurden in den Führern gepriesen. 1857 hielt ein Führer noch den "Schwanen" an der Einmündung der Karl- in die Friedrichstraße, "was Küche und Keller, Bedienung, Comfort, Aussicht usw. betrifft, für das erste Hotel Friedrichshafens und weiß, daß wenigstens alle norddeutschen Gäste darin mit ihm übereinstimmen" (Schnars 1857). Oberhalb des Schlosses anstelle der heutigen Bodenseeschule lag der "König von Württemberg", "einfacher eingerichtet, bietet aber eine recht gute Küche" (Schnars 1857), "mit Gartenanlagen und freier Aussicht nach allen Seiten" (Bodensee 1870). Der vierte wichtigere Gasthof, die "Krone", "die sich durch größere Billigkeit auszeichnet und einen kleinen Garten am See besitzt" (Schnars 1857), später aber auch "1. Rangs" (Bernhard 1879), stand in der Karlstraße anstelle des Stifts St. Antonius. Der Krone und ihrem Wirt, "mit dem und mit dessen ganzem Haus uns im Laufe der Jahre eine schöne, gemütvolle Freundschaft verknüpfen sollte", setzte Felix Dahn in seinen Erinnerungen ein literarisches Denkmal. Hier schrieb er "seit 1874 so viele, viele Dichtungen und wissenschaftlichen Werke" (Dahn 1895).

An weiteren preisgünstigeren Gasthöfen bestanden in dieser ersten Aufschwungphase des Fremdenverkehrs u.a. in der Friedrichstraße noch "Sonne" (später "Spezial-Haus für Geschäftsreisende") , in der Karlstraße "Grüner Baum", "Kreuz", "Adler", "Rad", in der Wilhelmstraße "Dreikönig". In der Depressionsphase mußte das "Deutsche Haus" seine Zimmer auf die Hälfte reduzieren, mußte ca. 1871 der "Schwanen" schließen, 1893 wurden der "König von Württemberg", 1897 die "Krone", am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 noch das "Deutsche Haus" verkauft, so daß am Ende unserer Epoche keines der renommierten Hotels vom Beginn unseres Zeitraums mehr existierte. Der Depression fiel auch das in den 70er Jahren nur kurzlebige Hotel I. Rangs "Bellevue" an der Friedrichstraße zum Opfer. Dagegen überlebten von den Neugründungen der 70er Jahre der "Seehof" beim Schloß und "Stern" in der Altstadt zwischen Karlstraße und See. Im neuen Aufschwung nach 1900 wurden die bestehenden Hotels und Gasthöfe vielfach vergrößert, aufgestockt und modernisiert, aber auch neue Etablissements eröffnet. Hervorzuheben sind das "Seehotel Müller" hinter dem Hafenbahnhof, das "Lamm" als westliches Pendant zum Deutschen Haus am Stadtbahnhof und der noch bestehende "Buchhorner Hof" in der westlichen Friedrichstraße.

Der wichtigste Neubau aber war das Kurgartenhotel 1909 anstelle des vorigen Kursaals und des heutigen Graf-Zeppelin-Hauses. Durch die "Zaubermacht des Namens Zeppelin" hatte sich "ein ständiges vornehmes Reisepublikum herausgebildet" und nun "fehlte es da ... an einem diesen gesteigerten Ansprüchen genügenden Hotel, an einer Unterkunftsstätte, die ... sich den besten Gasthöfen in Konstanz, Lindau, Bregenz usw. würdig zur Seite stellen konnte". Im Zusammenwirken von Luftschiffbau, Zeppelin GmbH, Stadt und König wurde ein "in vornehmer Einfachheit gehaltener Bau ... im reformierten modernen Hotelstil" mit 86 Betten erstellt (Hoppe 1909), in den alsbald Graf Zeppelin von seiner vorigen Wohnung im "Deutschen Haus" übersiedelte, das nunmehr vom ersten Platz verdrängt war. Im ganzen zählte die Stadt 1905 "27 Hotels, Gasthöfe und Wirtschaften. Diese Zahl war in den 1870er Jahren höher; sie hat sich eben seitdem wieder dem Bedürfnis angepaßt" (BuRh 07.06.1905).

Der weniger begüterte Mittelstand konnte in Privatwohnungen unterkommen. An ihnen war "kein Mangel, sowohl an eleganten Salons, als auch an einfachen Gelassen" (Faber 1873, vgl. Bodensee 1870). Ab 1887 wurden diese "Privat-Logis durch das unter dem Kur-Kommittee stehende Wohnungsbureau" im Bureau des "Seeblatts" vermittelt. Allerdings warnte Herr Schnars 1859: "Die Preise dieser Privatwohnungen sind teurer als in Lindau, Konstanz, Rorschach und anderswo, wie denn überhaupt das Leben an den Ufern des Bodensees nirgends ein sehr billiges zu nennen ist".

Trotz allem "bewunderswerten Aufschwung" (K. Stat. Landesamt 1915) stand der Fremdenverkehrsort Friedrichshafen "im Durchgangsreiseverkehr ... in vorderster Reihe, als Kur- und Seebadeort erfreut(e) sich die Stadt (zwar) lebhaften Besuchs", wurde aber von den Nachbarstädten doch auf einen mittleren Rang verwiesen.

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