Die Rollen der Akteure haben sich gewandelt. Der König dankte ab, die Hofkammer mit ihrem riesigen Grundbesitz um die Stadt betreibt ihre Geschäfte diskret. Der Staat wagt kaum mehr, übergeordnete Gesichtspunkte gegenüber der Interessenpolitik einer großen Kommune, insbesondere ihre Stadtplanung, durchzusetzen. Die Kommunalpolitik wird kaum nach großen Konzeptionen betrieben. Bemerkenswert ist immerhin der Bau des Graf-Zeppelin-Hauses, der die Position der Stadt im Kongreß- und Kulturtourismus wesentlich verbessert hat. Aber Friedrichshafen ist heute in erster Linie eine bedeutende Industriestadt; der Aufenthaltstourismus, der eine Stadt erst zur Kurstadt macht, tritt stark zurück. Geblieben ist der Ausflugs- und Kurzzeittourismus. Die günstige Verkehrslage hat sich in ihr Gegenteil verkehrt, die Stadt, insbesondere die Altstadt, ertrinkt im Verkehr wie andere Städte am See auch.
Mit der ersten Verkehrsrevolution, der Eisenbahn, begann das Zeitalter des Tourismus, eines Tourismus des Mittelstands in Friedrichshafen, die zweite Verkehrsrevolution, die Motorisierung, in Friedrichshafen noch vor der Massenmotorisierung, zog den Massentourismus an.
Eine der seinerzeitigen Hauptbeschäftigungen pflegen heutige Gäste nicht mehr: Sie gehen nicht mehr spazieren. Man promeniert vielleicht einmal an der Uferpromenade entlang, man wandert vielleicht auch, aber spazieren? Wo könnte man auch? Der ehemalige Neustadt-Corso ist jetzt innere Hauptdurchgangsstraße mit regelmäßigem Stau, die Bäume fielen ihrer Verbreiterung zum Opfer. Der vernachlässigte Riedlewald zwischen Industriegebiet und Messegelände lockt keine Fremden mehr auf der Riedleparkallee an. Alle anderen Alleen wurden beseitigt. In Manzell schottet sich ein Industriebetrieb ab, nach Berg führt der Weg durch die Vororte, fällt vom Hügel der Blick vorab auf sie. Geblieben ist eigentlich nur der an schönen Tagen überlaufene und von der Friedrichstraße durchlärmte Uferpark. Eine Stadt für Besuche, aber nicht mehr für einen Urlaub in Muße, aber vielleicht gerade deshalb eine Stadt für den Urlaub von heute? Die schattigen Alleen von einst nur noch Erinnerung, oder doch die allein menschenwürdige Zukunft, die aus der Vergangenheit herüberscheint? Gehen "war die bürgerliche Weise, von der Stelle zu kommen: Physische Entmythologisierung, frei vom Bann des hieratischen Schreitens, der obdachlosen Wanderschaft, der atemlosen Flucht. Menschenwürde bestand auf dem Recht zum Gang, einem Rhythmus, der nicht dem Leib vom Befehl oder Schrecken abgedrungen wird" (Adorno 1980). "Fortschritt" hieße eben auch für Urlaub, "das Bestreben, wieder auf die alte Höhe zu kommen" (Hesse 19) "Alles würde besser gehen, wenn man mehr ginge" (Seume 1805 nach Warneken 1889). Aber die Friedrichshafener Betriebe befassen sich damit, die Bewegungskapazitäten immer mehr zu steigern. So kommt man immer schneller weiter weg, weil man nirgends mehr sein kann.