Elmar L. Kuhn

Das Ende der Grafen von Montfort


Österreich

Die österreichische Politik insbes. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ließ sich immer weniger vom Wohl des Reichs und immer mehr von erbländischen Interessen leiten. An die Stelle indirekter Herrschaft über Klientelbeziehungen im Reich trat verstärkt die Stärkung der eigenen Position durch territoriale Zugewinne und Ausbau der eigenen Hausmacht. Angela Kulenkampff spitzt das dahingehend zu, dass Ziel der Politik des Staatskanzlers Kaunitz die „Umgestaltung der Reichsverfassung im Interesse Österreichs“ und eine „Neuorganisation Süddeutschlands, um von Süden her unter Einschluss der gesamten wittelsbachischen Länder die Brücke zu den südlichen Niederlanden zu schaffen“ gewesen sei. Sie überzieht jedoch, wenn sie die „Auflösung der süddeutschen Reichskreise 1780/81“ und die Eingliederung der schwäbischen Grafen „in den Untertanenverband Vorderösterreichs“ konstatiert47.

Österreich hatte den Niedergang der Grafen von Montfort im Spätmittelalter bereits nutzen können, um Vorarlberg zu einer fast geschlossenen Landesherrschaft auszubauen. Bis 1755 hat das Kaiserhaus dann die Grafen als seine Klientel eher gestützt, die Gläubiger immer wieder vertröstet und sich um die „Aufrechterhaltung des uralt katholischen, um das Hl. Römische Reich und das allerdurchlauchtigste Erzhaus Österreich in vielen Wegen hochverdiente gräfliche Haus von Montfort“ bemüht48.

Nun aber wurden die montfortischen Herrschaften zum Objekt eines ‚Wirtschaftskrieges’ zwischen Österreich und Bayern um die Steigerung des Salzexports in die Schweiz49. Um nicht gegen Österreich ins Hintertreffen zu gelangen, wollte Bayern ein „dominium“ am Bodensee als sicheren Ausfuhrhafen erwerben. „Es begann ein ‚Wettlauf’ zum Bodensee.“501752 hatte der Kaiser den Verkauf der bis 1592 montfortischen und unmittelbar an die Herrschaft Argen angrenzenden kleinen Herrschaft Wasserburg angeordnet, die im Besitz der Grafen von Fugger-Wellenburg mit 410 000 Gulden verschuldet war51. 1754 meldete sich der Kurfürst von Bayern als Kaufinteressent, um anstelle der bisherigen Salzfaktorei in Lindau eine eigene Salzniederlage in Wasserburg zu errichten. Ein Gutachten der österreichischen Staatskanzlei kam 1755 zu dem Ergebnis, dass man „die Herrschaft Wasserburg nicht aus Händen [...] lassen“ könne, da der „tirolische Salz-Verschleiß nach der Schweiz und Schwaben um so vieles abnehmen müsse, als der kurbayerische anwachse [...], weil [...] Kurbayern besseres Salz um ein wohlfeileres Geld liefere, und die Schweizer, so nur auf die Gelegenheit warteten, an sich ziehen könnte“. Es sei generell bedenklich, „wenn Kurbayern sich an dem Bodensee festsetze, den Getreidehandel mit der Schweiz an sich ziehe und die Gelegenheit erhalten sollte, der Grafschaft Bregenz die Zufuhr sperren und diesen Schlüssel zu Tirol und den italienischen Landen beunruhigen zu können“52. Mithilfe eines Kredits des Reichsstifts Salem erwarb daraufhin Österreich die Herrschaft.

Im gleichen Gutachten wird auch erörtert, dass „Langenargen, so gleichfalls an dem Bodensee sehr wohl gelegen und mit einem guten Hafen versehen ist, sich in des Grafen Montfort Händen befindet“, der wegen seiner Schulden dringend 500 000 Gulden gegen Verpfändung seiner Rechte in der Herrschaft und im Lindauer Hochgericht auftreiben müsse. Würden diese Rechte an das Haus Bayern gelangen, so sei mit einem Erwerb Wasserburgs gar nichts erreicht, da dann eben in Langenargen die „Beförderung seines Salz- und Getreidehandels“ betreiben würde. Gewähre Österreich dem Grafen den benötigten Kredit, so könne es sich „von den kurbayerischen Salz-Beeinträchtigungen und anderen nachteiligen Folgen beständig sicher ... stellen“. Bleibe der Graf mit den Zinszahlungen im Rückstand, so könne sich Österreich „in den wirklichen Besitz der besagten Herrschaft setzen“ und dem Grafen seien „die Hände völlig gebunden“ und damit „der Weg gebahnt, mit der Zeit die schöne und wohl gelegene Herrschaft Langenargen vollkommen an das durchlauchtigste Erzhaus zu bringen“. Die Argumente überzeugten, der Graf von Montfort bekam sein Darlehen, die Rechnung ging auf.

Gleichzeitig bot 1755 die verschuldete Reichsstadt Buchhorn Österreich das Hafen- und Stapelrecht an und wollte sich seinem Schutz unterstellen bei formeller Erhaltung seiner Reichsstandschaft. Dagegen legte aber der Schwäbische Kreis Protest ein. In Wasserburg und Argen gescheitert, versuchte daraufhin Bayern in Buchhorn Fuß zu fassen. Dort gelang es ihm, am 21. August 1755 den sog. „Salzvertrag“ zu schließen, wonach Bayern in Buchhorn seine Salzniederlage errichten konnte53. Dagegen erhob Österreich nach anfänglichem Widerstand aus unbekannten Gründen keinen Widerstand. Vielleicht war Österreich zufrieden, dass es Bayern immerhin nicht gelungen war, sich ein „dominium“ am Bodensee zu sichern. Wirtschaftlich operierte Bayern dagegen erfolgreich, die Schweiz wurde Bayerns größter Salzexportmarkt. 1777 beendeten Bayern und Österreich ihren Handelskrieg mit einem Transitvertrag.

1769 schien Bayern doch noch mit dem Erwerb eines „dominium“ am Bodensee Erfolg zu haben. Da die Straße von Ravensburg nach Buchhorn oft nicht passierbar sei und sich die Straße über Tettnang nach Langenargen in einem besseren Zustand befinde, verhandelte Bayern seit 1765 mit dem Graf Franz Xaver von Montfort über den Kauf der Herrschaft Argen und bot 800 000 Gulden als Kaufpreis. Unter Berufung auf sein Vorkaufsrecht konnte Österreich aber wiederum verhindern, dass sich Bayern am Bodensee festsetzte. Mit seinem Veto gegen den Verkauf an Bayern blockierte Österreich erfolgreich die letzte Möglichkeit einer Sanierung des Hauses Montfort. Die eigenen Verkaufsverhandlungen über einen Ankauf der Herrschaft Argen zögerte es so lange hinaus, bis 1773 die Hofkammer die Immission in die Kameralverwaltung der Herrschaft erwirkt hatte und 1776 der Graf seine Zahlungsunfähigkeit erklären musste.

Zwischen Hofkanzlei und Hofkammer stritten sich die Beamten zunächst noch um die Gewichtung der territorialen Interessen gegen finanzielle Bedenken und ob man nicht einfach den Rückfall der Herrschaften an das Reich nach dem Tod der beiden Grafen abwarten solle. „Mich dünkt immer, man sehe nur auf den Ertrag, wie er dato liegt, ohne auf die Jura und Regalia auch andere Vorteile [...] eine Rücksicht zu nehmen. Tettnang mit Zubehör ist und bleibt halt immer für das allerdurchlauchtigste Erzhaus eine sehr vorteilhafte Aquisition“54Schließlich entschloss man sich zum Kauf, da die „Aquisition nicht nur wegen der Lage der Herrschaften zu Verbindung der zerstreuten österreichischen Besitzungen sehr verträglich befunden“, und um alle Unwägbarkeiten eines noch lange dauernden Konkursprozesses und die Trennung der Allodien von den Lehen zu vermeiden. So wurde „die Verbindung der Landvogtei mit Vorarlberg und also eines großen Teils von Vorderösterreich, welche schon so lange gesucht worden“ sei, erreicht55. Der Erwerb der Grafschaft brachte Österreich zudem eine zweite Stimme im Grafenkollegium des Schwäbischen Kreises ein, nachdem es 1769 bereits mit dem Anfall der Grafschaft Hohenems eine erste Stimme erhalten hatte, womit es nicht nur direkten Einfluss auf die Kreispolitik gewann, sondern auch seine Vorarlberger Herrschaften arrondieren konnte.

Kurz vor der napoleonischen Flurbereinigung konnte Österreich seine Herrschaft in Oberschwaben weiter ausbauen: Nach der Säkularisation eignete es sich mittels des Epavenrechts ehemals geistlichen Besitz an, in der Herrschaft Tettnang die Rechte der aufgehobenen Klöster Weingarten und Weissenau, in Vorarlberg die Herrschaften Blumenegg und St. Gerold56. 1804 bewegte es den Grafen von Königsegg-Rothenfels zum Eintausch seiner Grafschaft Rothenfels im Allgäu gegen Besitzungen in Ungarn57und kaufte vom Fürsten von Bretzenheim die ehemalige Reichsstadt Lindau58. Damit war die Landbrücke zwischen Vorarlberg und der Landvogtei nun auf breiter Front geschlossen. Der Kauf der Grafschaft Weissenau zwischen Landvogtei und der Herrschaft Tettnang konnte nicht mehr vollzogen werden. Zweimal hatte ein Verlust von Tettnang abgewehrt werden müssen, 1802 hatte der Fürst von Bretzenheim eigentlich lieber Tettnang als Lindau haben wollen und 1804 wäre der Graf von Königsegg-Rothenfels lieber nach Tettnang als auf ungarische Güter umgezogen.

Dieser Ausbau der österreichischen Position am Bodensee kontrastiert allerdings zu den mehrfachen Überlegungen, ganz Vorderösterreich aufzugeben, so 1740 und wieder 1780 an Bayern und schließlich wurde im Wiener Kongress auf den Rückerwerb der Vorlande zugunsten des Zugewinns von Salzburgs verzichtet59. Es gab also im 18. Jahrhundert keine durchgehende stringente Strategie. Es konkurrierten

  • dominant die Linie des Ausbaus der schwäbisch-österreichischen Besitzungen vom 17. Jh. bis 1805,

  • flankierend die Strategie indirekter Herrschaft über Klientelbeziehungen. So wird Anfang des 18. Jh.s den Liechtensteinern und Ende des Jh.s den Thurn und Taxis der Erwerb von Reichsgrafschaften ermöglicht. Beide Grafschaften, Vaduz-Schellenberg und Friedberg-Scheer, hätten auch gut zur Abrundung österreichischer Besitzungen getaugt.

  • die wiederkehrenden Überlegungen, sich die ganzen Vorlande als Ballast vom Hals zu schaffen.

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