Elmar L. Kuhn

Biographie


Dr. Lorenz L. Göser
Lorenz L. Göser:
Kulturpreis für Elmar L. Kuhn. Vom Werden und Wirken eines ober- schwäbischen Meisters - von Kressbronn an, im Kreiskulturamt und darüber hinaus. In: Kressbronner Jahrbuch 29, 2016, S. 73-79.

Der Geehrte, sein Laudator und worum es geht

Dass auf den hier und heute Geehrten ausgerechnet ich die Laudatio halten soll und darf, mag damit zu tun haben, dass ich in Kressbronn 13 Jahre lang im Kleinen ein bisschen Ähnliches gemacht habe, was Elmar Kuhn 30 Jahre lang für den ganzen Bodenseekreis im Großen und ungleich umfassender geleistet hat: nämlich Kulturarbeit - also alles!

Ausschlaggebender für seinen ehrenvoll an mich gerichteten Wunsch war aber wohl die frühe Bekanntschaft und Freundschaft, die uns seit gemeinsamen Zeiten in der katholischen Jugend über viele Begegnungen und Diskussionen hinweg mal enger, mal loser verbunden hat und verbindet. Und so darf es ihn und Sie, werte Gäste,nun nicht wundern, wenn ich heute erst einmal ganz auf jene Anfänge rekurriere, während die 2.Hälfte dann der Amtszeit und Oberschwaben gewidmet sein soll.

Nachdem Elmar 1979 - als Assistent von der Uni Bielefeld kommend und vom Kreistag glückhaft erkoren - das für ihn maßgeschneiderte Amt eines hiesigen Kreisarchivars angetreten hatte, wurde rasch klar, dass er sein künftiges Berufsdasein nicht primär zwischen Regalreihen verbringen würde - und bald waren er und sein Amt erste Adresse im Kulturleben. Seither kennen Sie ihn alle und wissen um sein Können und Wirken in vielen Bereichen, um seine Leidenschaft und seinen Arbeitseifer, seine Freude an Erkenntnis und daran, sie anderen angenehm weiterzugeben. Kein Wunder, dass eine solche Persönlichkeit auch jenen Stellen nicht verborgen blieb, die Ehrungen und Auszeichnungen zu vergeben haben - was heute auch die Kunst-& Kulturstiftung des Bodenseekreises ehrt.

Wir alle wissen also, wer Elmar Kuhn ist, was er geleistet hat, warum und wofür er früher schon geehrt wurde und heute noch mal geehrt wird.

Aber: Wie wird man so wie Elmar Kuhn, was hat ihn zu dem gemacht, der er ist? Gibt es Anzeichen für seinen Werdegang schon in der Jugend? Wie fand er - wie findet man - so etwas wie sein Lebensthema, oder sagen wir: eine erfüllende, sich und andere beglückende Aufgabe - und erlangt darin obendrein sogar Ruhm?

Johann Wolfgang wäre vermutlich nicht der Goethe geworden, ohne einen background, der dafür sorgte und es ermöglichte, dass er mit Zehn statt 'Karl May' schon Dante gelesen hat. Elmar aber ist aus kleinen Verhältnissen heraus Ordensritter und Dr. h.c. Kuhn geworden, - als Erstgeborener eines strengen Arbeitervaters, der allerdings Homer im Originaltext zitieren konnte, und einer clanbewußten Hemigkofener Kaufmanns-, Gemeinde- und Kirchenpflegerstochter, die beide für den Aufstieg und das Wohl ihrer Kinder - inkl. Peter & Irmgard - unermüdlich tätig waren: Gott hab' sie selig!

Vielversprechende Anfänge in Kressbronn

Nach Höherem streben, das hieß - neben dem stets hochgehaltenen Andenken an den Vorfahr - sich 9 Jahre lang morgens um 6 als Fahrschüler ins Graf-Zeppelin-Gymnasium zu begeben und nach dem Abi dann - um das Studium zu verdienen - Zeitsoldat "Zett-zwo" zu sein - und nach dem Kirchgang bisweilen über Kriegsdienstverweigerung zu diskutieren.

1960 schon, also mit 16, ist Elmar Ludwig Kuhn durch eine Artikelserie in der "Kleinen Seepost" über die keltische Lenensburg als angehender Heimatforscher aufgefallen; aber davor schon hat mir sein Bruder heimlich und stolz Einblick in Elmars Sammlung gegeben: mit Versteinerungen und Steinzeitfunden, mit Römermünzen und Montfortwappen, mit der Gattnauer Chronik und mit Dokumenten in einer für uns unlesbar schönen Federkielschrift: - Und das ist damals schon im Fernsehen gekommen!

Elmars Jugendgruppe hat mehr Kirchen besichtigt als Fußball gespielt. Als Pfarrjugendführer hat er das "Kressbronner Spiegelchen" erfunden und darin schon Kirchen- und Gemeindepolitik kritisch kommentiert. Elmar hat den Filmring ins Leben gerufen und mit uns Fachtagungen besucht. Filme wie das "Tagebuch der Anne Frank" oder "Sterne" haben in der Unterkirche viele Besucher zum ersten Mal mit der Judenvernichtung konfrontiert, - und mit Jacques Tatis "Die Ferien des Monsieur Hulot" gab er uns Einblick in seinen Humor. Dass der japanische Klassiker "Rashomon" nur 7 Besucher ins Kino gelockt hat, war ein Beweis für unser Niveau.

In Kooperation mit seinem Psychologie studierenden Bruder Peter organisierte Elmar die erste Meinungsumfrage in Kressbronn, für die HAP Grieshaber einen Druckstock beigesteuert hat! Ihm und weiteren oberschwäbischen Künstlern hat mich Elmar auch bei Besuchen der Sezession Oberschwaben vorgestellt. Unvergessen bleibt auch ein Besuch zu Fernsehaufnahmen bei Martin Walser in Nußdorf; dito in Winterreute beim Maler Bräckle. In der neuen Festhalle von Kressbronn haben wir damals eine große Foto-Ausstellung von Rupert Leser gezeigt: "Oberland schwarz-weiß".

Lange bevor Elmar in Überlingen mit den Grünen liebäugelte, bildete er mit einer beachtlichen Schar die "Junge Union" Kressbronn, die ihn mühelos zum Kreisvorsitzenden hätte küren können, - und der damalige Vorsitzende Elmar Kolb ist aus dieser Position heraus ja Bundestagsabgeordneter geworden! Aber eine Polit-Karriere schien Elmar Kuhn nicht zu interessieren. Ein bisschen Furore hat er 1968 dennoch gemacht - mit einem Artikel in der Schwäbischen Zeitung über "Drei Jahre Kressbronner Kommunalpolitik". Der hat, wie es heißt, "auch außerhalb Kressbronns starke Beachtung gefunden". Kein Wunder, denn Kuhns These, wonach "die Stellungnahme des Bürgers nur erwünscht (ist), wenn sie allen getroffenen Maßnahmen Lob spendet", konnte auch in anderen Gemeinden verifiziert werden - und soll sogar heute noch da und dort demokratische Defizite kennzeichnen.

So engagierte sich Elmar Kuhn auch in der Jungen Union gleich gegen den Strom und gegen die anstehende Kreisreform - von der er jedoch bald ebenso wunderbar profitieren sollte wie der neue Bodenseekreis von ihm. Aber bleiben wir noch bei den Vorgeschichten, die Elmars frühe Interessenkonvergenz mit seinem späteren Amt aufzeigen und fahren wir daher fort mit einer:

Hommage an die Weinbergstraße, die Mühle und die Bücher

1. Das erste Domizil am Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre

In der grün-orangen Dachwohnung von Elmar und Hildegard grüßten von den Türblättern lebensgroße Reproduktionen von gelockten Montfortgrafen; an den Wänden hingen Bilder von Domes, Malchus Weissenrieder, Holderried-Kaesdorf, HAP Grieshaber und Wolfgang Franz.

Vom Plattenspieler oder dem Cassettenrecorder hörte man oberschwäbische Orgeln und Choräle ebenso wie Degenhardt oder Joan Baez. Aber oft vergaß man - ob der lebhaften Gespräche - überhaupt Musik abzuspielen. In bleibender Erinnerung sind mir diesbezüglich einige Kapitalschulungen, wie Peter Renz sie in seinem ersten Roman beschrieben hat, aber auch ein Literaturabend mit Josef W. Janker um 1970 berückte Enthusiasten unter der Kuhnschen Dachschräge. In den Regalen umgaben einen wie Freunde und treue Wegbegleiter, Bücher, an die ich in einem alphabetischen Auszug erinnern möchte:

2. Leseerfahrungen: Aus Kuhns Bücher-ABC zwischen 68 und 79

Adorno und Benjamin sind als Lieblinge und Leitfiguren auch mit Fotos präsent und mit Bloch hoffen wir auf jenes "etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat". Aus der Geschichte heraus, in nicht entfremdeter Demokratie, die Voraussetzungen für solche Heimat zu schaffen, zählt wesentlich zur Lebensaufgabe von Elmar Kuhn. Unter C scheinen uns die Mahnungen des "Club of Rome" von 1973 bezüglich der "Grenzen des Wachstums" dringender denn je. Bei Hilde Domin waren wir 1971 zur Drostepreis-Verleihung in Meersburg und Enzensberger wird noch immer gerne goutiert. Frisch und Fromm standen so frei und froh im Regal wie Erich Fried, und Grass hat zu seiner Wahlhelferzeit auch uns "Örtlich betäubt". Horkheimer und Habermas lieferten zwar "Kritische Theorie", aber der "herrschaftsfreie Diskurs" lässt noch immer auf sich warten. Hegel und Hölderlin hingegen teilen sich ein Brett mit Heiligenlegenden. Überfliegen wir I mit Ivan Illichs "Fortschrittsmythen", Janker mit seinem ungeraden Weg als "Umschuler" und K mit Kant und Kuhn und Kluge. Reinhard Lettau hat die Mondtorkeleien der Apollostrolche als solche entlarvt. Überfliegen wir auch M wie Mao, Marx und Mitscherlich - aber auch Herbert Marcuse: "Der eindimensionale Mensch" und N wie Oskar Negt. Seinen Liebling Paul Nizon zitiert Kuhn auf der Homepage: "Ich glaube, am Reichtum der Ahnen, die in einem gegenwärtig sind, ermisst sich die Tiefe, der Reichtum, die Bedeutung." Der Schultheiß im Stammbaum lässt grüßen! Orwells "1984" war damals noch ein bisschen Fiktion. Chlodwig Poth hat uns mit seinem "progressiven Alltag" so manches Mal den Spiegel vorgehalten und Spaß gebracht bevor "es" zu ernst wurde, und selbst der grantlige Qualtinger hat uns zeitweise makaber unterhalten. Psychopapst Horst Eberhard haben wir ein bisschen demontiert, Rutschky hingegen geschätzt. Peter Schneiders "Lenz" hat 1974 auch - Zitat: "unsere Ärsche" (Ende) in Bewegung - und Subjektivität ins Spiel gebracht. Theweleits "Männerphantasien" haben nicht gefehlt und bei U denken wir an Ludwig Uhland als dem Verfechter des ‚guten alten Rechts‘ und das V mag hier für den Aufklärer Voltaire stehen. Martin Walser wurde mit jeder Neuerscheinung präsenter und daneben stand Robert mit seinem schmalen "Jakob von Gunten". Druckfrisch lieferte Peter Weiss seine "Ästhetik des Widerstands" und Dieter Wellerhoff die "Auflösung des Kunstbegriffs". Bleibt noch X wie Xaver Kroetz mit seinen derben Unterschichtsstücken. Zu Ypsilon fällt mir nichts ein, aber zu Z zumindest Gerhard Zwerenz, der die Erde so unbewohnbar fand wie den Mond und das nicht nur, weil er Oberschwaben nicht kannte.

Alle Bücher standen und stehen übrigens bei Kuhns nackt im Regal, also ohne den schnöder Werbung geschuldeten Schutzeinband - bis auf die Suhrkampbändchen, die ihre Regenbogenmäntel anbehalten dürfen.

3. Wann und warum liest er das alles?

Verzeihung, ich wollte Sie mit dem einen Prozent der Buchtitel - die Abos habe ich schon weggelassen - nicht langweilen, sondern auch in Ihnen jene Jahre wachrufen und durch Lektüren Einblick geben in Quellen und Partner für Elmar Kuhns Geisteswelt - wie anders wäre einem solchen "homme de lettres" gerecht zu werden und sein Weg dorthin zu zeigen?

Seine Umgebung freilich konnte allenfalls nippen und fragte sich ständig wie und wann er das alles liest, manchmal auch warum, und war tief beeindruckt nicht nur von seinem umfassenden Wissen und seiner durchdachten Argumentation auf allen Gebieten, sondern nicht weniger von der Selbstdisziplin und dem Fleiß, mit denen er früh seinen Interessen nachging, - letztlich um sich und uns die Welt zu erklären, - was aufgrund ihrer Lebendigkeit eben eine nie endende Aufgabe ist, an der unablässig zu arbeiten nicht ginge, wenn sie nicht auch mit Neugier und Freude verbunden wäre. Und bei aller Befriedigung über gefundene und beschriebene Zusammenhänge bleibt immer noch genug offen, um ständig weiter zu lesen und zu forschen, so dass schließlich Denken und Schreiben und Reden ganz zum intellektuellen Handeln wird, - oder was sonst ?!

4. Übergänge: Tübingen und Bielefeld, die Alb und Afghanistan

Dass zwischendrin auf Abitur und Bundeswehr ein Studium in Geschichte folgte, hat keinen verwundert; eher schon Geographie, die freilich auch Erdgeschichte und Heimat enthält. Und Politik lag sozusagen in der Luft und wird, notabene, Jahrzehnte später von Sohn Benedikt fortgesetzt.

Zwischen Tübingen und Kressbronn liegt hoch auf der Alb Deilingen, in dem Angelika und ich Junglehrer waren und Zwischenstation für Elmar - und in antiautoritären Zeiten suchten wir - mit "Summerhill" im Kopf - Pädagogik zu reformieren.

Weil wir davon erschöpft als Entwicklungshelfer nach Afghanistan gingen und Kuhns nach Bielefeld zogen, wo Elmar Bauernkriegseminare hielt und Hildegard die Emanzipation weiter verfolgte, haben wir uns eine Weile nicht mehr gesehen und haben Verlags- & Kneipen & Landlebenphantasien fallen gelassen, - und leider hat der geprüfte Geograph uns nie am Hindukusch besucht, wo er Mittelalter live gesehen hätte, und wo wir im Alltag erfahren konnten, was Elmar längst aus der Geschichte wusste: dass nämlich unser Lebensstil und unsere Gegenwart nicht die einzig möglichen sind.

Angelika und ich sind 1978 getrennt aus Jalalabad heimgekehrt und Kuhns bezogen wegen Elmars Kreisstelle bald darauf die historische Mühle in Oberteuringen, die dann auch sie getrennt wieder räumten.

5. Teuringer Fallobstlese mit Frau Brigitta

Seine Freunde ließ und lässt Elmar Kuhn an den Lesefrüchten nicht nur in Gesprächen teilhaben, sondern versorgt sie auch mit gelegentlichen Readern, z.B. unter dem Titel "Teuringer Fallobst." Doch das war später: "Auf- und ausgelesen" wurde dieses 1987 und 88 zusammen mit Frau Brigitta Ritter-Kuhn, also während bereits gut etablierter Amtsjahre: Schön, dass er auch dafür noch Zeit fand! Aber wie anders wäre Freizeit schöner auszufüllen?!

Der Rückblick auf die Genesis ist damit abgeschlossen, es beginnt Teil II.

Einblicke in eine erfüllende Aufgabe:
Geschichte und Kultur im Kreis und in der Region

1. Zwischenbilanz der Kuhn'schen Amtsjahre

Elmar Kuhn hatte das Glück und die Fähigkeit, das Interesse und die Vision, aus dem zunächst ja etwas spröde beschriebenen Amt mehr zu machen als ursprünglich vorgesehen, mehr zu gestalten als verwalten. Dennoch steht die schön gestaltete Bilanz seiner "30 Jahre Kulturamt Bodenseekreis im Landratsamt Bodenseekreis" unter dem Motto: "Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung."

In der Zeitschrift "Allmende" (Nr. 48/49, 16.Jg., 1996) ist 1996 eine Zwischenbilanz des Kulturamtsleiters zu lesen, die Laien eine Vorstellung von der Fülle der Tätigkeiten geben kann:

"In 17 Jahren hat unser Amt ca. 60 Bücher zur Geschichte, ca. 30 Bücher zu Baudenkmälern und zur Kunstgeschichte, 4 zur Literatur herausgegeben, haben wir viele, so rasch nicht nachzählbare Aufsätze verfasst, ca. 60 Ausstellungen konzipiert und gezeigt, zu mehr als 250 Veranstaltungen eingeladen. Wir betreuen im Archiv etwa 1 km Akten, verwalten eine Bildsammlung von ca. 25.000 Fotos, besitzen die größte wissenschaftliche Bibliothek im Kreis mit ca. 35.000 Bänden und haben ein Auge auf die Galerie Bodenseekreis im Landratsamt mit Bildern der regionalen Kunst des 20. Jahrhunderts." - Oha, möchte man da staunend rufen.

Aber dennoch wurden damals aus dem Viereramt gleich zwei Mitarbeiterinnen "eingespart" und der ohnehin knappe Etat gekürzt. "Schon immer war dem Bodenseekreis die Kultur weniger wert als den Nachbarkreisen" schreibt der Amtsleiter daraufhin fast verbittert und stellt lakonisch fest: "Mit weniger Geld und weniger Personal kann man weniger tun."

Wie wir wissen, sind die Veröffentlichungen, Ausstellungen, Veranstaltungen, Aktenkilometer etc. während den darauf noch folgenden 13 Kuhn'schen Amtsjahren dennoch weiter gewachsen und auch der Dienstherr konnte die Tüchtigkeit, das Engagement und die Wirksamkeit seines Behördenleiters nicht länger mehr übersehen - was heute aufs Schönste zum Ausdruck kommt.

2. Zum Geschichtsverständnis eines lesenden Arbeitersohnes

Aus einem geordneten Archiv - in dem dann schon eine Menge Arbeit steckt - kann der Kundige seinen Interessen entsprechend Dokumente heranziehen und sie befragen, wie etwas früher gewesen ist oder gewesen sein könnte. Die Ergebnisse hängen aber nicht nur von der Materiallage und vom Fachverständnis ab, sondern auch von der Betrachtungsweise. Und welche Facette der einstigen Wirklichkeit oder gar der Wahrheit am nächsten kommt, darüber streiten die Gelehrten, Leute also wie Elmar Kuhn.

Seine Mutter war wie gesagt am Bürgertum orientiert, der Vater arbeitete in der Fabrik und baute nach Feierabend noch ein Häuschen. Dabei dürften die Elternhäuser der gymnasialen Klassenkameraden anders ausgesehen haben. Aber was ist da anders und warum? Inwiefern spielt da Gerechtigkeitsempfinden hinein und woran entwickelt sich überhaupt eins?

"Wer baute das siebentorige Theben? / In den Büchern stehen die Namen von Königen. / Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? / .Und .." - so weiter: Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" haben sich angesichts der Meersburg oder der Waldburg und angesichts barocker Pracht auch einem jugendlichen Oberschwaben gestellt, dessen Mitschüler im Auto gefahren wurden, während er zum Zug dappelte: Unterschiedliche Seinsweisen bedingen unterschiedliche Sichtweisen - ein alter Hut. Und wichtiger als zu werten ist schon allein, diesen Tatbestand zu erkennen und immer wieder zu benennen: dass nichts nur so sein kann, wie es gerade ist, dass auch Vergangenheit anderes birgt, als bloß "die Namen von Königen", dass es zu ihrer und unserer Erhellung von Interesse ist, sozusagen nach "Caesars Koch" zu fragen und danach, wer letztendlich "die Spesen" bezahlt.

Was ich hier zugegeben etwas hemdsärmlich darstelle, die Herangehensweisen an Geschichte - darüber hat Dr. Kuhn selbst natürlich wissenschaftlicher geschrieben und tausend Seiten dazu als Referenzliteratur angegeben. Sein Tenor aber ist erkennbar das, was man - vulgo - "Geschichte von unten" nennt, und früh habe ich von ihm gelernt, die Leitfrage "cui bono?" zu stellen: "Wem nützt es?"

"Geschichtsforschung", so zitiert Kuhn den Kollegen Braudel, sollte "nichts anderes (sein) als die andauernde Befragung der Vergangenheit im Namen der Probleme und der Wissbegier der Gegenwart".

3. Interesse für Bruchstellen und Regionalität, Kunst und Literatur

Elmar Kuhns Geschichtsinteresse zielt daher auf "Bruchstellen", in denen die Koexistenz verschiedener Daseinsformen und Interessenlagen aufbricht: so 1525, als die Bauern gegenüber dem Adel "ihr göttliches Recht" einfordern, so das Herüberschimmern der antiabsolutistischen Revolution aus Frankreich nach 1790, so die Paulskirchenbewegung um 1848 mit einer Hoffnung auf mehr Demokratie, so der Wandel nach dem Ersten Weltkrieg 1918/19 vom Kaiserreich zur Republik mit anfänglichen Arbeiterräten - und natürlich die Entwicklung zwischen 1945 und 49 von Nazideutschland zur Bundesrepublik - und DDR. All diese Bruchstellen erforscht Elmar Kuhn nicht allgemein und sonstwo, sondern in ihren Erscheinungsformen und Auswirkungen hierzulande, auf dass wir hier aus Geschichte lernen können.

So ist, neben der Vermittlung von Wissen, Regionalität ein Kuhn'sches Grundanliegen und damit genau passend für sein Amt im Bodenseekreis. Exemplarisch will ich das am kleinen Weiler Langnau im Argental zeigen, wo ein paar alte Klostermauern schon die Neugier des Knaben geweckt haben dürften und seither ein Bündel von Themen entfaltet haben. Elmar Kuhn hat Bezüge hergestellt zu den Montfortgrafen, die dort ihre Grablege hatten, zum Rappertsweiler Haufen, der es 1525 geplündert hat, zum Paulinerorden und zur Aufklärung, weshalb es von Österreich aufgelöst hat, zu Hiltensweiler, wo das Pfarrhaus aus den Abbruchsteinen gebaut worden ist, zum vertriebenen Paulinerorden, dessen Mönche er in Ungarn und Polen ausfindig gemacht hat, und der für Elmar Kuhn zu einem neuen Forschungsschwerpunkt wurde, der gut zu seinem schon länger bearbeiteten Thema "Kirchengeschichte des 19. & 20. Jahrhunderts" passt, wobei auch hier Kreis und Region den Rahmen stecken.

Und für allfällig gewordene Untersuchungen zum Thema "Industrialisierung" bot Friedrichshafen ja ideale Forschungsansätze: Man musste ja nur mal den Blick vom Jubel über den Zeppelinflug auf die Produktionsbedingungen und das Alltagsleben senken. So entstanden auch einschlägige Beiträge zur Sozialgeschichte jener Zeit, besonders zur Arbeiterbewegung. Lesenswert dazu sind die schon1984 erschienenen "Seegründe", mit 17 Beiträgen "zur Geschichte des Bodenseeraumes", darunter zwei von Elmar Kuhn.

Neben der Geschichte - sofern es da bei Kuhn ein Neben gibt - richten sich seine Kulturarbeit und seine verbleibenden privaten Stunden auf Kunst und Literatur sowie gelegentlich auf oberschwäbische Musik, von der uns das Büchele Quartett heute einiges bietet. Doch statt auf diesen schönen Komplex näher einzugehen - was verlockend ist - sei nur auf die vom Kulturamt herausgegebenen Reihen "Kunst am See" und "Literatur am See" verwiesen. -

4. Das Wirken des Archivars und Kreiskulturamtsleiters am Beispiel einer Kreisgemeinde (Kressbronn a.B.)

Konkret und exemplarisch will ich Kuhn'sche Arbeitsfelder gerne auch anhand eigener Erfahrungen im Kulturamt Kressbronn zeigen:

Berührungspunkte mit seiner beschriebener Rührigkeit auf so vielen Gebieten waren etwa Reden und Jahrbuchbeiträge zwischen 1982 und 2015 zu vielseitigen und doch stets regionalen Themen:

1982 zur Burg Gießen und zur Eligius-Kapelle, 1984 zum GEBO-Kreuz aus der Tunauer Kapelle und zum 50-jährigen Kressbronner Gemeindejubiläum, 1985 zu den Lebenserinnerungen von Oberpostrat Maier über "Kindheit und Alter am See", 1986 zur Geschichte der Kapelle Schleinsee: "Der Herr Dekan und seine Stiftung", 1988 zur "Schiffahrtsgeschichte von Kressbronn", 1996 zum 260. Geburtstag des Barockmalers Andreas Brugger, 1999 zu 1200Jahre Retterschen - im Jahrbuch und in einer Festschrift, 2001 zur Einweihung der neuen Kressbronner Ortsmitte nebst Rathaus, 2009 zum mittlerweile 75-jährigen Jubiläum der Ortszusammenlegung, zur Entwicklungsgeschichte des Tourismus am Bodensee mit „Bildergrüssen aus der Sommerfrische“ und schon nach der Pensionierung über "Glaube und Kirche in Oberschwaben. Vom Barock bis zur Gegenwart" und Hof und Verwaltung der Grafen von Montfort. Geradezu zum Hausschatz geschichtsbewusster Kressbronner Familien gehört seine 1978 zusammengestellte Mappe mit alten Ansichten mit dem dazugehörigen Begleitheft "Bilder der Geschichte - Geschichte in Bildern".

Aber alles, meine Damen und Herren, was ich da bzgl. meines und seines Heimatortes erwähnt habe, das könnten ähnlich eben auch die Vertreter der anderen 22 Kreisorte aufzählen, in denen er ja auch Festschriften gestaltet, Ausstellungen eröffnet, Archive besucht und von Mitarbeitern hat ordnen lassen, deren Geschichte er erforscht oder deren Erforschung er gefördert hat. Und darüber und vieles mehr sind wiederum Aufsätze zu finden in kommunalen und amtsseitigen Publikationen und von 1984 bis heute im Kreisjahrbuch "Leben am See".

Dienstliche Begegnungen gab es für mich bei den Vorbereitungstreffen für das alljährliche Bodenseefestival und - meist allerdings vertreten durch Frau Dr. Dargel - bei den Vorüberlegungen zum "Tag des offenen Denkmals" - der in Kressbronn dank passender Vorschlägen von Petra Sachs stets auf der historischen Hofanlage Milz begangen wurde und wird.

Die schönste und engste Kooperation war freilich unsere erstmals im Bodenseefestival 2002 zum Thema "Landschaft" kühn durchgeführte Literarische Wanderung "Auf den Spuren Martin Walsers durch das Kressbronner Hinterland" mit etlichen Wiederholungen.

5. Salvatorische Klausel - und beinahe Schluss

All das ist nur der kleinere, von mir eben unmittelbar miterlebte Teil von Elmar Kuhns Arbeit. Hätte ich mir seine Vita nebst Werkverzeichnis im Internet vor meiner Zusage und dem Vorbereitungsbeginn angeschaut und seinen Rechenschaftsbericht vor meiner Zusage nochmal zur Hand genommen - ich glaube ich hätte es nicht gewagt, hier über Elmar Kuhn zu sprechen. Mein Trost ist, dass Sie alle Elmar Kuhn kennen - manche Seiten besser als ich, der ich selber nur staunen kann. Tippen sie nachher doch mal www.elmarlkuhnde in Ihr smartphone und staunen sie auch!

Das klingt schon nach Schluss, aber ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit, wenn nicht gar seines Lebens, kann nicht unterschlagen werden, - und dieser Schwerpunkt heißt: Oberschwaben! Dazu bitte ich nochmal um Ihre Aufmerksamkeit:

Die Gesellschaft Oberschwaben und ihre Leitziele

In einer sehr persönlichen Würdigung stellte der erste Vorsitzende der 'Gesellschaft Oberschwaben', Herr Professor Dr. Peter Blickle, 2006 fest:

"Was Kuhn leistet, lässt sich im Rahmen der offiziellen Dienstaufgaben eines Kulturamtsleiters nicht erbringen. Folglich verlängert sich die Arbeit in die Freizeit, berufliche und ehrenamtliche Tätigkeit sind schwer zu trennen. Der Feierabend gilt nicht weniger der Kultur wie die Dienstzeit".

Und auch der "Ruhestand" geht mit Kulturarbeit weiter und Elmar Kuhn darin auf, nämlich in seinem außergewöhnlichen Engagement in der von ihm mitbegründeten "Gesellschaft Oberschwaben". Ausgangspunkt ist eine gleich nach Kriegsende gegründete Gesellschaft gleichen Namens, in der sich namhafte Köpfe in Aulendorf für drei Jahre selbst- und verantwortungsbewusst fast als Nabel Deutschlands, zumindest aber des Südwestens fühlten, wo es nach der Nazidiktatur ja nun galt, eine demokratische Verfassung in neuem Geist erst einmal zu denken - mit weitem Abstand zu den gerade vergangenen zwölf Jahren.

Mutig wurde dafür Oberschwaben als prädestinierter Ort angesehen, weil man aus der Regionalgeschichte heraus dem Republikanismus einen hohen Stellenwert zuschrieb und weil gelebter Glaube besondere Festigkeit in jetzt gefragten christlichen Werten versprach, die freilich fern von ideologischer Verbohrtheit als eine "heitere Moralität" daherkommen sollten, und zudem erschien die hier noch erlebbare Rückständigkeit als Schutz gegen die Bedrohungen des anderswo ungezügelt sich ausbreitenden sogenannten "Fortschritts". Höchst selbstbewusst formulierte man 1945: "Die oberschwäbische Idee hat der heutigen Welt viel zu sagen". - Sehr spannend nachzulesen im 2002 von Elmar Kuhn herausgegeben Buch: "Das große weite Tal der Möglichkeiten".

Fünfzig Jahre nach jener honorigen Aulendorfer Gesellschaft, 1996 formierte sich nun eine neue "Gesellschaft Oberschwaben". Zwar begrenzt sie sich im Untertitel auf die Bereiche "Geschichte und Kultur", doch sollen die zentralen Begriffe von damals - eben Regionalismus, Republikanismus, glückhafte Rückständigkeit und heitere Moralität, auch jetzt wieder "Leitziele für die Zukunft dieser Landschaft sein". "Denn", so fährt Elmar Kuhn in seiner Rede zur Ehrenpromotion an der PH Weingarten fort, "die Gesellschaft Oberschwaben versteht sich nicht nur als bloßer Geschichtsverein, sondern sieht laut Satzung die 'Entwicklung und Stärkung des oberschwäbischen Regionalbewusstseins' als ihre Hauptaufgabe."

Was nun jene "glückhafte Rückständigkeit" betrifft, um nur mal meinen Lieblingspunkt herauszugreifen, so weiß Dr. Kuhn selbstverständlich auch um dessen Dialektik, weiß auch, dass wir "auch in Oberschwaben keine isolierte Idylle bewahren (können). Irgendwo müssen die Autos ja gebaut werden, die auch die Oberschwaben fahren wollen." - Und Straßen ja auch, möchte man fortfahren und dies noch und das - "aber". Und dieses im "aber" implizierte "trotzdem" dürfen Sie selber weiterdenken und sich fragen, warum Sie so gerne Oberschwabe sind - oder gerne einer wären!

Hilfreich dafür sind die schon genannte Anthologie sowie das - von Dr. Kuhn redigierte - Mitglieder-Magazin der Gesellschaft Oberschwaben, die darüber hinaus eine Vielzahl von Vorträgen und Exkursionen bietet.

Preise und andere Auszeichnungen für einen - in glückhafter Rückständigkeit - rundum gebildeten Menschen - und Dank!

Es wird niemanden wundern, dass auch früher schon Leute und Gremien das Bedürfnis hatten, den auszuzeichnen und zu ehren, dem Ehre gebührt - Elmar L. Kuhn:

Zu den arbeitsreichen Ehrenämtern in der Gesellschaft Oberschwaben, seinem von Stiftungen gefragten Rat in Sachen Kunst und Literatur, zu seinem Ritterorden und dem Großkreuz will ich hier nichts weiter sagen, wohl aber ein paar Worte zu vier anderen Auszeichnungen:

Dass er 2005 die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen hat, haben seine Freunde fast schon als überfällig empfunden, weil sie in ihm längst den geradezu klassischen Gelehrten alter Schule gesehen haben - eben einen wirklichen "Doktor". Umso mehr freuen wir uns seither mit ihm über den "Doktor honoris causa" der Pädagogischen Hochschule Weingarten.

Die Aufnahme in den Paulinerorden als Confrater hat ihm 2008 u.a. eine mitbrüderliche e-mail-Adresse beschert: kuhn@paulinerorden.de.

In der Verleihungsurkunde des ihm 2013 im Rittersaal zu Tettnang verliehenen "Friedrich Schiedel Wissenschaftspreises zur Geschichte Oberschwabens" wird Dr. Elmar L. Kuhn "mit Fug und Recht als ein Universalgelehrter der Geschichte Oberschwabens" bezeichnet.

Und nun folgt also der Kulturpreis der Kunst- und Kulturstiftung des Bodenseekreises, über den wir gleich von Herrn Landrat Wölfle das nötige erfahren werden.

Danken wir abschließend nun dem Landkreis, der Stiftung und dem Landrat für diese Anerkennung eines dafür geborenen und dazu gebildeten, großen Kulturmitarbeiters und eines bleibenden oberschwäbischen Meisters und danken wir auch Dir, lieber Elmar Kuhn, für alles, was du uns durch deine Freundschaft und durch dein vielfältiges Wissen und Wirken im Amt gegeben hast - und für die Stärkung unserer glückhaft oberschwäbischen Identität!

Und wenn wir hier nicht in Baden wären, könnten wir Dir zu Ehren alle das Württemberger Lied singen: "Preisend mit viel schönen Reden!"

Mein und unser aller Glückwunsch !

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