Elmar L. Kuhn

Luftschiffbau - Friedrichshafen - 1920er Jahre


Der Konzern

Fast alle Konzernfirmen waren Ende der 20er Jahre in eine existenzgefährdende Krise geraten, aus der die Konjunkturentwicklung kaum einen Ausweg versprach. Der Luftschiffbau selbst hatte kein ausreichend stabiles zweites Standbein gefunden und hing mit seinen Luftmonstern von Staatszuschüssen ab, wie Dornier mit seinen allerdings zukunftsträchtigen Flugzeugen von Staatsaufträgen. Maybach konnte nur durch die Verdieselung des Schienenverkehrs der Reichsbahn gerettet werden. Fortschritte der Motorisierung und des Straßenbaus, auf die Maybach und vor allem die ZF angewiesen waren, konnten sich wiederum nur nach entsprechenden staatlichen Maßnahmen durchsetzen. Mit weit mehr als zur Hälfte des Produktionsvolumens hing der Konzern am staatlichen Tropf, der kleinere Teil der Nachfrage reagierte über den Markt indirekt auf staatliches Handeln. Der Sparkurs der Reichsregierung musste die Friedrichshafener Industrie besonders hart treffen, wenn sie auch bei allen Sparmaßnahmen noch glimpflich davonkam.

Die Situation wurde verschärft durch den Sieg Eckeners über Colsman in der Konzernleitung. Als 1928 Freiherr von Bassus starb, wurde Eckener sein Nachfolger als Vorsitzender des Vorstands der Zeppelin-Stiftung und des Aufsichtsrats der Zahnradfabrik. Als zweites Mitglied des Stiftungsvorstands wurde der Geschäftsführer der ZF, Graf von Soden, berufen. Colsman sah dies als „persönliche Enttäuschung und sachliche Beschränkung seiner Kompetenzen“ gegenüber Eckener, „der sich gegen die kaufmännische Vorsicht Colsmans diktatorisch durchgesetzt habe. Colsman glaubte, die geschäftliche Verantwortung für das Unternehmen nicht mehr tragen zu können“ (Stuttgartert Neues Tagblatt 13. Juni 1929, S. 3). Zum 1. Juli 1929, kurz nach einem gescheiterten Versuch einer zweiten Amerika-Fahrt, vor dem erfolgreichen zweiten Start, trat Colsman als Generaldirektor zurück. Die Presseerklärung des Luftschiffbaus stellte den entscheidenden Konflikt klar heraus: „Der Geschäftsumfang der Konzerne sei in den letzten Jahren allmählich kleiner geworden, in dem Maße, als der Luftschiffbau Zeppelin alle für ihn nicht lebensnotwendigen Unternehmungen abstieß, um deren Mittel seiner eigentlichen Aufgabe, d. i. den Bau und Betrieb von Luftschiffen zuzuführen. In diesem Umstand liegen denn auch vornehmlich die Gründe für das übrigens bereits seit geraumer Zeit feststehende Ausscheiden Dr. Colsmans“ (KA S-Fri 95.529 Luf, unbez. Ztg. 16. Juni 1929).

Colsman hatte auf Diversifikation gesetzt, den Erhalt oder gar den Ausbau der Produktpalette bis hin zur Markenbutterherstellung. Er ging davon aus, dass die Firmen im Wettbewerb des Marktes zu bestehen hatten. Luftschiffbau war aber ohne dauernde staatliche Förderung gar nicht möglich. Eckener ordnete dagegen dem Luftschiffbau alle anderen Firmen und Produktionen unter. So ließ Eckener den Ausverkauf Dorniers zu, verzichtete damit auf das aussichtsreichere Luftfahrzeug und verstieß so letztlich auch gegen das Vermächtnis des Grafen Zeppelin, der in seinen letzten Lebensjahren auch bereits auf den Flugzeugbau gesetzt hatte. Colsman hatte allerdings die propagandistische Bedeutung der riskanten Amerika-Fahrten Eckeners und der Dornier-Flugboote verkannt. Ihre Erfolge schwächten Colsmans Stellung. Doch die Luftschiffe waren zu Dinosauriern der Luft geworden, 1940 kam das endgültige Ende der Luftschifffahrt. Eckener hatte einen Pyrrhus-Sieg errungen. In den 30er Jahren haben die Töchter ihre Mutterfirma weit überrundet.

Von einer straffen Führung durch die Konzernspitze ist allerdings auch unter Colsman nichts zu spüren. Er überließ es den Tochterfirmen selbst, ihr Produktionsprogramm zu finden und zu entwickeln. So war es offenbar wenig mehr aufeinander abgestimmt. Maybach und die ZF stellten Getriebe her. Tochterfirmen ließen in Singen gießen, während die Aluminiumgießerei des Luftschiffbaus ungenutzte Kapazitäten hatte. Viel mehr als ein Verschiebebahnhof für die Finanztransaktionen war die Konzernabteilung offenbar nicht. Solange die Firmen Erträge erwirtschafteten oder nach Durststrecken noch erwarten ließen, konnten sie relativ unabhängig operieren.

Der Zeppelinkonzern am Ende der Weimarer Republik, das war ein wenig aufeinander abgestimmter Firmenkomplex, der sich gerade selbst amputiert hatte, und im wesentlichen nur noch aus zwei maroden Unternehmen und der noch leidlich wirtschaftenden ZF bestand. Eine längere Dauer der Wirtschaftskrise hätte wohl den Ruin bedeutet. Eckener, Maybach und Soden waren gewiss keine Nazis, Eckener ihr dezidierter Gegner. Aber auch ihnen musste klar sein, dass mit den Nazis „der Weg für die Betätigung gerade derjenigen Produktivkräfte offen (war), die man für große Rüstungen braucht und die jetzt in der Wirtschaftskrise brachlagen, weil sie sich über die Fassungskraft der Marktökonomie hinaus entwickelt hatten“. „Wenn keine Nachfrage echter Art vorhanden ist, so muss eine andere Nachfrage ... geschaffen werden ... Um Nachfrage dieser Art effektiv zu machen, bedarf es einer Staatsmacht, die die Bezahlung für solche Produktion der Bevölkerung aufzwingt“ (Sohn-Rethel 1973, S. 193, S. 50). Die Ingenieure der Konzernfirmen hatten die Aussichten früher erkannt, die ihnen die „Vernichtsungsökonomie“ bot. Sie stellten einen überproportionalen Anteil an den lokalen Mitgliedern und Funktionären der NSDAP.

Risiken, die mit den nach 1933 üppig einsetzenden Staats- und Rüstungsaufträgen verbunden waren, wurden von den Firmen durchaus gesehen. Artikuliert und befürchtet wurden nur die marktwirtschaftlichen, nicht die politischen Gefahren: „Bei den nahezu überall und mitunter sehr stark hervortretenden Bestrebungen zur Nationalwirtschaft ist es auf die Dauer sehr schwer, den Exportumsatz zu halten“ (MTUA, JB MM 1933). Diese „Strukturänderung“ sei „mit einem außerordentlich großen Risiko verbunden ..., wenn bei Aussetzen oder auch nur Einschränkung der staatlichen Spezial-Beschaffungsaufträge ein genügender Ausgleich ... am freien Markte nicht mehr erzielbar wäre“ (MTUA, JB MM 1934).

Copyright 2024 Elmar L. Kuhn